Auch an der Berlinale geht das Thema nicht vorbei, das derzeit Deutschland bewegt: die Flüchtlingskrise. Auf dem Programm stehen Filmbeiträge über Vertreibung und Integration und zahlreiche ungewöhnliche Aktivitäten.
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Film ab: Vorausschau auf die 66. Berlinale
"Das Recht auf Glück" heißt das Motto der Berliner Filmfestspiele. Festivalchef Dieter Kosslick verspricht sich von vielen Filmen Einblicke in die Gefühlslage der Menschen - von Kino-Stars, aber auch von Flüchtlingen.
Bild: picture-alliance/dpa/M.Kappeler
Agiler Chef: Dieter Kosslick
Ein großes Festival ist immer so gut, wie die Macher, die hinter Organisation und Filmauswahl stehen. Dieter Kosslick, der die Berlinale seit 2001 leitet, versteht es ausgezeichnet, gute Laune zu versprühen, aber auch Filme zu präsentieren, die die Schattenseiten des Lebens zeigen. Die 66. Berlinale (11.-21.2.) steht auch im Fokus der Flüchtlingsthematik.
Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen
Thema Flüchtlinge
Das Motto der 66. Berlinale, "Das Recht auf Glück", kann vieles bedeuten. In diesen Monaten muss sich ein Filmfestival natürlich auch um das Thema Nr. 1 kümmern. Der Wettbewerbsbeitrag "Fuocoammare", eine Dokumentation aus Italien, blickt auf die Mittelmeerinsel Lampedusa. Dort geht es auch ums Recht auf Glück - um das der Inselbewohner und das der dort gestrandeten Flüchtlinge.
Bild: Berlinale
Das Glück der Stars
Ein großes Filmfestival wie die Berlinale wird auch immer daran gemessen, wie viele Stars des internationalen Kinos auf dem berühmten Roten Teppich erscheinen. In diesem Jahr wird unter anderem die französische Schauspielerin Isabelle Huppert erwartet. Sie spielt in dem Wettbewerbsbeitrag "L'avenir" eine Lehrerin auf der Suche nach dem ganz persönlichen Glück.
Bild: L' avenir/Mia Hansen-Løve
Hollywood-Präsenz
Das große Kreischen der Fans wird ausbrechen, wenn die Hollywood-Stars nach Berlin kommen. Damit geht´s gleich zur Eröffnung los. "Hail! Cäsar" der Brüder Joel und Ethan Coen läuft zum Auftakt des Festivals. Der Film wirft einen Blick hinter die Kulissen des Filmgeschäfts - mit Scarlett Johansson, George Clooney und Josh Brolin (unser Bild) sind gleich mehrere hochkarätige Stars dabei.
Bild: Universal Pictures
Ein deutscher Beitrag
In diesem Jahr ist im Wettbewerb um den Goldenen Bären nur eine rein deutsche Produktion vertreten. Anne Zohra Berracheds Film "24 Wochen" schildert das Leben einer jungen Frau, die ein Kind erwartet. Sie weiß, dass es behindert sein wird. Ein Film über einen privaten Schicksalsschlag und die Frage, wie man damit umgeht. Prominent besetzt mit Julia Jentsch und Bjarne Mädel.
Bild: Friede Clausz
Blick aufs schwarze Amerika
Mit Spannung erwartet wird das neue Werk des US-Regisseurs Spike Lee. Der hatte sich jüngst an die Spitze der Anti-Oscar-Bewegung gesetzt, weil die Akademie in Los Angeles in diesem Jahr ausschließlich weiße Darstellerinnen und Darsteller nominiert hatte. In Spike Lees neuem Film "Chi-Raq" geht es um die HipHop- und Rapper-Szene in Chicago.
Bild: Parrish Lewis
Filmnation Iran
Das Filmfestival in Berlin zeichnet sich seit jeher durch einen besonders interessierten Blick auf die Filmnationen jenseits von Europa und Hollywood aus. Auf der Berlinale waren immer wieder insbesondere Filme aus dem Iran zu entdecken. 2016 im Wettbewerb dabei: "Ejhdeha Vared Mishavad!" ("A Dragon Arrives!") von Regisseur Mani Haghighi, der einen Blick auf das Land Mitte der 1960er Jahre wirft.
Bild: Abbas Kosari
Sie entscheidet: Meryl Streep
Aus dem Winken auf dem Roten Teppich wird sie in den kommenden Tagen wohl nicht mehr herauskommen. Hollywoodstar Meryl Streep hat 2016 den Vorsitz der Jury inne. Sie und ihre sechs Mitstreiter entscheiden über den Goldenen und die Silbernen Bären. Bei der Berlinale ist sie ein gern gesehener Gast, hier winkt sie 2012 dem Publikum zu.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen
Experimentierfreudige Sektionen
"Avantgarde, Experiment, Essay, Langzeitbeobachtungen, politische Reportagen und noch unbekannte Kinematografien", so beschreibt sich die Berlinale-Sektion "Internationales Forum des Jungen Films" selbst. Sie gilt als "risikofreudigste Sektion" des ganzen Festivals. Im Forum trifft man auf "exotische" Beiträge wie "Fei cui zhi cheng" ("City of Jade"), eine Dokumentation aus Taiwan/Myanmar.
Bild: Seashore Image Productions
Weltkino im Blick
Die umfangreichste Berlinale-Sektion - neben Wettbewerb und Forum - heißt "Panorama". Hier laufen Filme, die man in der Welt des Kinos gern als "Arthaus" bezeichnet - Kinokost, die anspruchsvoll, aber auch unterhaltsam ist. Gezeigt wird 2016 im Panorama beispielweise der Film "Já, Olga Hepnarová". Er erzählt vom wilden Leben einer jungen Frau zu Beginn der 1970er Jahre in der Tschechoslowakei.
Bild: Black Balance
Blick zurück: die Retrospektive
Die Berlinale ist in der Fachwelt berühmt für ihre sorgfältig zusammengestellten filmhistorischen Retrospektiven. In diesem Jahr blickt die Retro unter dem Motto "Deutschland 1966 - Filmische Perspektiven in Ost und West" zurück auf das Filmschaffen in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Mit dabei: das Filmdebüt des großen Schauspielers Bruno Ganz, hier in "Der sanfte Lauf".
Bild: Deutsche Kinemathek/Haro Senft
Wiederaufführung mit Musik
Gute Berlinale-Tradition ist auch die alljährliche Wiederaufführung eines Stummfilmklassikers der Kinogeschichte. Diese Filme aus der Frühzeit der siebten Kunst werden aufwendig restauriert, fit gemacht füts digitale Zeitalter und während der Berlinale dann mit großem Orchester in festlichem Rahmen gezeigt. In diesem Jahr kommt Fritz Langs Kinofilm "Der müde Tod" (1921) zur Aufführung.
Bild: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
Ein Amerikaner in Berlin
Die Berliner Filmfestspiele bieten Produzenten und Verleihern eine gute Plattform für eine festliche Vorpremiere ihrer neuen Filme. Deshalb laufen abseits der offiziellen Sektionen immer einige Highlights, die häufig nach der Berlinale direkt in den Kinos anlaufen. Michael Moores neuer Dokumentarfilm "Where to Invade Next" (2015) zeigt das US-Schwergewicht bei einer Reise durch Europa.
Bild: Dog Eat Dog Films
Premiere: Tagebuch der Anne Frank
Auch die mit Spannung erwartete Neuverfilmung des Anne-Frank-Stoffes feiert auf der Berlinale Weltpremiere, bevor sie dann Anfang März in die Kinos kommt. "Das Tagebuch der Anne Frank" von Regisseur Hans Steinbichler ist mit Martina Gedeck und Ulrich Noethen in den erwachsenen Hauptrollen prominent besetzt. In der Titelrolle der Anne beeindruckt die junge Lea van Acken.
Auch wenn im Wettbewerb um den Goldenen Bären neben ein paar Co-Produktionen nur ein einziger rein deutscher Film dabei ist: Auch die 66. Ausgabe der Berliner Filmfestspiele setzt wieder massiv auf das heimische Kino. 151 Filme aus Deutschland oder mit deutscher Finanzierung werden gezeigt. In der Sektion "Perspektive Deutsches Kino" läuft auch das Debüt "Agonie" von David Clay Diaz.
Bild: Julian Krubasik, David Clay Diaz
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"Der Clash der Kulturen ist meines Erachtens der wahre Grund, warum die Berlinale eine so große Ausstrahlungskraft hat", sagte Festivalchef Dieter Kosslick schon im Vorfeld der Berlinale 2015. Ein Jahr später steht jetzt das Flüchtlingsthema im Fokus der Filmfestspiele. Die Berlinale ist zwar eine große, internationale Kulturveranstaltung, setzt sich aber immer wieder mit gesellschaftlich und politisch relevanten Themen auseinander. Kosslick kann das mit Beispielen belegen. Der von ihm zitierte "Clash der Kulturen" ist bei der Berlinale tief verwurzelt, er gehöre zur "Berlinale-DNA", wie der umtriebige Festivalleiter stets betont.
Die Berlinale war schon immer ein politisches Festival
"Als die Berlinale vor 66 Jahren ins Leben gerufen wurde, waren in Europa auch Millionen Deutsche auf der Flucht oder von Vertreibung traumatisiert", heißt es von Seiten des Festivals. Die Berlinale habe es sich zur Aufgabe gemacht, Verständigung, Toleranz und Akzeptanz zu fördern. Seither habe sie immer auf gesellschaftliche Situationen regiert. Wenn die anderen großen Festivals des Kontinents, Cannes und Venedig, das von sich behaupten würden, wäre das viel weniger glaubwürdig.
Die Berlinale hingegen war immer ein politisches Festival, mal weniger, meist aber mehr. So politisch, dass gerade das dem Festival auch vorgeworfen wurde: die Berlinale zeige zwar viel gesellschaftlich relevantes Kino, widme sich aber zu wenig ästhetischen Entwicklungen des Films. Da ist durchaus etwas Wahres dran. Nicht selten hatte man in den letzten Jahren den Eindruck, dass die Gewinner der Silbernen und des Goldenen Bären nur deshalb ausgewählt wurden, weil sie "politisch wichtig" und nicht weil sie ästhetisch innovativ waren.
Dieter Kosslick: "2003 der intensivste Berlinale-Moment"
Trotzdem: Die Berlinale konnte schon immer mit Vielfalt punkten. In den diversen Festivalsektionen, vor allem in jenen abseits des glamourösen Wettbewerbs, laufen Jahr für Jahr Dokumentation, politisches Essayfilme, engagierte und kritische Spielfilme. Randgruppen der Gesellschaft kommen bei der Berlinale stets zu Wort. Auch Flüchtlinge standen so schon oft im Fokus der Berlinale.
Kosslick erinnert in diesem Zusammenhang an das für ihn bewegendste Ereignis, das er bisher als Chef des Festivals erlebt hat: "Der für mich intensivste Moment, im dem die Utopie der Realität und das Kino mit der Wirklichkeit zusammen kamen, war der letzte Tag der Berlinale 2003." Drinnen wurde der Sieger des Goldenen Bären verkündet, Michael Winterbottoms Film "In this World", der die Flucht dreier Afghanen aus dem vom Krieg zerrütteten Land zeigt; gleichzeitig demonstrierten draußen rund um den Potsdamer Platz über 400.000 Menschen gegen die Invasion im Irak. "Da waren die Berlinale und das Kino buchstäblich 'in this world'", erinnert sich Kosslick.
Berlinale-Motto 2016: "Das Recht auf Glück"
Für solch ein Zusammenspiel zwischen Film und Realität, zwischen Kultur und Politik, gibt es zahlreiche Beispiele in der Berlinale-Historie. 2006 wurde in Berlin das Bosnien-Drama "Grbavica" ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr gewann der in Teheran heimlich gedrehte Film "Taxi" von Jafar Panahi den Goldenen Bären der Berlinale. "Nicht nur ein mutiges Werk", wie Kosslick betont, "sondern eines, das das Recht auf Meinungsfreiheit auch in künstlerisch grandioser Form zum Ausdruck bringt."
"Das Recht auf Glück" heißt das Motto der 66. Berlinale, und zum Glück des Menschen gehören die Meinungsfreiheit ebenso wie das Recht auf Nahrung, die Wahl des Lebensmittelpunkts und die freie Religionsausübung. Natürlich hätte das Motto auch zu früheren Jahrgängen der Filmfestspiele gepasst, doch in diesem Jahr scheint es besonders gut gewählt. Etliche Beiträge in allen Sektionen des Festivals beschäftigen sich mit den aktuellen Themen Flucht, Vertreibung und Integration.
"Die Berlinale als Teil der Willkommenskultur"
Doch die 66. Berlinale engagiert sich auch über die reine Vorführung der Filme hinaus. Zahlreiche Aktivitäten sind angekündigt. Ticket-Ermäßigungen, freie Platzkontingente, Patenschaften - all das soll Flüchtlingen zugute kommen. "Im letzten Jahr haben 79.034 Menschen in Berlin Zuflucht gesucht", heißt es von Festivalseite: "Als Publikumsfestival und Großereignis der Stadt sieht sich die Berlinale in der Verantwortung, ihren Teil zur Berliner Willkommenskultur beizutragen."
Erstmals wird in großem Stil auch Geld gesammelt - beim Publikum, bei den zahlreichen Gästen aus aller Welt, bei der Prominenz: Geld, das Organisationen zugute kommen soll, die sich um Flüchtlinge kümmern, traumatisierten Menschen helfen und Sprachkurse fördern.
Das kann durchaus auch sinnliche Seiten haben: Eine Berliner Flüchtlingsinitiative macht mit kulinarischen Vorlieben der Menschen aus aller Welt bekannt. Und Flüchtlingskinder sollen bei Workshops etwas über den Umgang mit Medien in der westlichen Welt lernen.
Roter Teppich und Flüchtlingskrise bei der Berlinale
So wird die 66. Ausgabe der Berlinale ganz zweifellos dazu beitragen, dass das Thema Flüchtlinge im Fokus bleibt. Neben Glamour, Starrummel und Rotem Teppich, neben Preisverleihungen und Premierenpartys wird nachhaltig daran erinnert werden, dass die Berlinale auch in diesem Jahr das politischste der großen Filmfestivals auf der Welt ist. Der Zusammenprall der Kulturen, in den Kinosälen und auch abseits der Filmtheater, wird die "Berlinale-DNA" bestimmen.