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Politik

Berliner Ärztin wirbt für Budapester Klubrádió

Stephan Ozsváth
20. Mai 2021

Vera Braun versucht, bei deutschen Unternehmen Anzeigen zu akquirieren, um den unabhängigen ungarischen Sender zu finanzieren. Aber die Firmen wollen keinen Konflikt mit Premier Viktor Orbán riskieren.

Deutschland l Dr. Vera Braun, Berlin
Die Ärztin Vera Braun stammt aus Budapest und lebt in BerlinBild: Stephan Ozsváth

"Ja, bitte?", fragt eine Frauenstimme mit ungarischem Akzent über die Sprechanlage. Vera Braun empfängt in ihrer Altbauwohnung nahe dem KaDeWe in der Berliner City West. 1968 ist die Budapesterin nach Berlin gekommen, der Liebe wegen. Sie serviert Tee und salziges Gebäck im passenden Porzellanservice.

Mit Julia Váradi ist sie zur Schule gegangen, erzählt die frühere Amtsärztin. Ihre Freundin ist Redakteurin des unabhängigen Senders Klubrádió, den die staatliche ungarische Medienbehörde NMHH im Februar 2021 mit Entzug der Frequenz ins Internet abdrängte.

András Arató, Direktor und Inhaber des ungarischen Radiosenders KlubrádióBild: Felix Schlagwein/DW

"Nennenswert Hörer haben wir dadurch nicht verloren", beteuert Senderchef András Arató gegenüber der DW. Noch immer hörten in der Spitze bis zu 200.000 Menschen seinen Sender - aber werben will dort kaum jemand mehr. "Wir halten uns durch Spenden über Wasser", sagt Arató.

Die Probleme des Radiosenders fingen an, als Ungarns Premier Viktor Orbán nach seinem Wahlsieg 2010 die Spitze der staatlichen Medienbehörde NMHH ausschließlich mit Mitgliedern der Regierungspartei Fidesz besetzte. Dann entzog NMHH Klubrádió die Regionalfrequenzen und verweigerte lange eine Dauerlizenz für Budapest. "Was glauben Sie, wie viele Werbekunden Sie kriegen, wenn unklar ist, ob es das Programm, in dem der Werbespot laufen soll, nächsten Monat noch gibt?", fragt der Senderchef rhetorisch.

Kein Geld für Gehälter

Erst vor Gericht lenkte die Medienbehörde ein. Klubrádió bekam zunächst eine Lizenz für sieben Jahre. Ein Kreis von etwa 4000 Hörer:innen, der im Freundeskreis "Hadd szóljon" (Deutsch: Es soll senden) organisiert ist, spielt das Geld für den Sendebetrieb ein. "Da bin ich auch Mitglied", erklärt Vera Braun.

Eine Klubrádió-Moderatorin bei der ArbeitBild: Laszlo Balogh/AP/picture alliance

2013 besucht Klubrádió-Redakteurin Júlia Váradi Berlin für einen Vortrag über Ungarn. "Wir brauchen Geld", klagt sie gegenüber ihrer Schulfreundin. "Sie konnten nicht einmal mehr die Gehälter bezahlen", berichtet Vera Braun, die daraufhin den Berliner "Freundeskreis für Klubrádió" gründete. Etwa 3000 Euro sammelte sie auf einem Spendenkonto. "Vom ZDF bekam ich einen Lastwagen voller Bürostühle, Computer und Mikrofone."

Appell an deutsche Firmen

Mittlerweile schreibt die Ärztin auch Firmen an, die in Ungarn Geld verdienen: Bosch, Siemens, Henkel, Maggi, Babynahrungshersteller, Autofirmen und viele andere. In gut 100 Briefen und E-Mails appellierte sie bisher an die Unternehmen, "im ungarischen Klubradió für ihre Produkte" zu werben und "so über die Werbeeinnahmen zum Weiterbestehen des Senders" beizutragen.

Klubrádió-Werbung in Budapest vor Entzug der Frequenz für Ungarns HauptstadtBild: Felix Schlagwein/DW

Doch viele Firmen antworteten gar nicht, erzählt Vera Braun. Die meisten schickten allgemeine Absagen. Klartext schrieb einzig ein früherer Geschäftsführer der Drogeriekette DM in Ungarn. "Obwohl wir natürlich eine klare Meinung zur derzeitigen Situation hierzulande haben", so der Ex-Manager, "halten wir es nicht für sinnvoll, uns öffentlich politisch zu positionieren".

Keine Werbung in unabhängigen Medien?

Roland Kanyó, der heutige DM-Sprecher in Ungarn, teilt auf Anfrage der DW mit, das Unternehmen nutze nur lokale Rundfunk-Sender, wenn neue Filialen vor Ort beworben würden: "Wir machen Werbung vor allem im Schönheitsbereich in verschiedenen Fernseh-, Print- und Online-Medien für das breite Publikum." Dazu gehöre der unabhängige Budapester Sender nicht: "Wir haben und hatten keine Werbespots im Klubrádió", so Kanyó.

Ungarns Premier Viktor Orbán beim EU-Sondergipfel zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise am 19.07.2021Bild: picture-alliance/dpa/J. Neudecker

"Noch nie hat ein deutsches Unternehmen bei uns geworben", bestätigt Klubrádió-Gründer Arató gegenüber der DW. Anderen unabhängigen Medien in Ungarn ginge es ähnlich. Um die Unterstützung der Regierung nicht zu verlieren, wollte ein deutscher Autobauer keine Anzeige in der Wochenzeitung "Magyar Hang" (Ungarische Stimme) schalten.

Anzeigen für Loyalität

Die Budapester Regierung schüchtere Unternehmen ein, ist der Pécser Medienexperte Gábor Polyák überzeugt. "Es ist bedauerlich, dass auch Investoren mit westlichem politischen Hintergrund und viel Kapital dieses Spiel mitmachen" sagt er gegenüber der DW. Sie assistierten dabei, "dass Demokratie und Pressefreiheit in Ungarn kaputt gehen".

Das Klubrádió-Logo an einer Glastür in der Redaktion des unabhängigen Senders in BudapestBild: Felix Schlagwein/DW

Die Regierung behauptet regelmäßig, sich nicht in Medienbelange einzumischen; das regele der Markt. Von einem "Medienmarkt" könne in Ungarn allerdings keine Rede sein, schimpft Klubrádió-Chef Arató. Das bestätigt auch der ungarische Journalistenverband MUÓSZ: Anzeigen würde nicht da geschaltet, wo sie am meisten gesehen, gelesen oder gehört werden, meint MUÓSZ-Präsident Miklós Hargitai - sondern dort, wo man gegenüber der Regierung besonders loyal sei.

EU-Kommission: Situation "untragbar"

Vera Braun will weiter für ihren Lieblingssender trommeln. "Die Mitarbeitenden von Klubrádió machen einfach einen guten Job", erklärt die Ärztin ihr Engagement. Auf der alten Klubrádió-Frequenz 92,9 Mhz sendet mittlerweile Spirit FM, ein Sender der ATV-Gruppe, die nach Ansicht der Redaktion des unabhängigen Vorgängers einen Burgfrieden mit der Regierung Orbán geschlossen hat.

Die Tschechin Věra Jourová ist Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und TransparenzBild: Yves Herman/AP/picture alliance

Heute stehen in Ungarn etwa zwei Dutzend unabhängige Medien fast 500 regierungsnahen Redaktionen gegenüber. Diese sind - angeblich aufgrund ihrer strategischen Bedeutung für die Nation - unter das Dach der Orbán-nahen Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung (KESMA) geschlüpft. Das ist aus Sicht von EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová "nicht tragbar".

Jourová will deshalb neue Instrumente schaffen, um Medienvielfalt in der EU künftig besser abzusichern. Im Gespräch ist, unabhängige Medien direkt von Brüssel aus zu fördern - ohne den Umweg über die nationalen Regierungen.