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Berliner Staatsoper: Thielemann folgt auf Barenboim

29. September 2023

Die Berliner Staatsoper hat einen neuen Maestro: Christian Thielemann wird Nachfolger von Daniel Barenboim. Wer dirigiert, entscheidet ein Politiker für dieses renommierte Haus mit seiner bewegten Geschichte.

Staatsoper Berlin | Dirigent Christian Thielemann
Bild: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images

Im Januar war Daniel Barenboim, der die Berliner Staatsoper Unter den Linden als Generalmusikdirektor 30 Jahre lang prägte, aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Nach Monaten der Unsicherheit steht jetzt fest: Der Wagner- und Henze-Experte Christian Thielemann übernimmt das prestigeträchtige Amt im kommenden Jahr. Berlins Kultursenator Joe Chialo, der in diesem Amt auch der Vorsitzende der Berliner Opernstiftung ist, war am Mittwoch (27.09.2023) dem Vorschlag Elisabeth Sobotkas gefolgt. Auch sie übernimmt an der Staatsoper im nächsten Jahr einen wichtigen Posten - als zukünftige Intendantin wird sie das Haus ab September 2024 leiten.

Thielemann ist seit 2012 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Sein dortiger Vertrag läuft aber 2024 aus. Sein neuer Vertrag an der Berliner Staatsoper hat zunächst eine Laufzeit von fünf Jahren. Demnach sind ab 2025/26 etwa 20 Konzertabende pro Jahr vorgesehen. Lediglich eine Opernpremiere kündigte Elisabeth Sobotka an. Grund dafür sind Thielemanns bereits zuvor eingegangene, anderweitige Verpflichtungen für die kommende Saison.

Daniel Barenboim von Nachfolger überzeugt

Die Vorzeichen sind gut: Barenboim und Thielemann kennen sich seit Jahrzehnten - bereits als 19-Jähriger war Thielemann Assistent des argentinisch-israelischen Komponisten und Dirigenten. Dieser würdigte seinen Nachfolger in einem Grußwort als einen der herausragenden Dirigenten der Zeit.

Die Staatskapelle Berlin wählte Daniel Barenboim im Jahr 2000 zum "Chefdirigenten auf Lebenszeit"Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

"Ich stand über dreißig Jahre an der Spitze dieser so besonderen musikalischen Institutionen und bin mir sicher, dass sie unter der Leitung Christian Thielemanns ihre Ausnahmestellung im Berliner und internationalen Musikleben weiter halten und ausbauen werden", so Barenboim in dem von Joe Chialo verlesenen Statement. Er sei "voll Vorfreude auf das, was kommt". Elisabeth Sobotka bezeichnete Thielemann als "logische Nachfolge" Barenboims.

Thielemann will Neues wagen - das Orchester solle "alles spielen, vom Weihnachtsoratorium bis zum Happening" - und Altes bewahren: Den musikalischen Kanon der Staatsoper will er pflegen. "Man kann nur etwas Neues machen, wenn man mit beiden Beinen in der Tradition steht", sagte er.

Er und Daniel Barenboim hätten "eine enge Beziehung", so Thielemann bei der Pressekonferenz. Barenboims Einfluss auf seine Karriere sei entscheidend gewesen. "Ich stehe in seiner Schuld", sagte der 64-Jährige.

Trotzdem gab es in ihrer langen künstlerischen und privaten Beziehung auch Nebengeräusche. Die New York Times spricht von einer "komplizierten Geschichte": Als Thielemann an der Deutschen Oper war, beklagte er etwa die sehr viel geringere staatliche Unterstützung dieser im Vergleich zu Barenboims Staatsoper. Außerdem hielten sich lange Vorwürfe, der jetzige Nachfolger habe sich einmal antisemitisch über Barenboim geäußert. Thielemann bestritt dies vehement, auch will er mit Barenboim selbst über diese Lüge, die nun Thema eines Gesprächsmit Mathias Döpfner von der Tageszeitung "Die Welt" war, geredet haben.

Berliner Staatsoper: Einst größtes Opernhaus Europas

Die Staatsoper Unter den Linden ist ein renommiertes Haus. Das neoklassische Theater wurde nach dem Vorbild eines antiken Tempels gestaltet und war einst das größte Opernhaus Europas.

Kein geringerer als Friedrich der Große, ein großer Freund der Künste und Wissenschaften, gab den Bau der Staatsoper in Auftrag. 1743 von Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff fertiggestellt, war die Hofoper Teil eines großangelegten Städtebauprojekts, dem Forum Fridericianum, zu dem auch eine Bibliothek, eine Kirche und ein Palais gehörten.

Die Berliner Staatsoper gilt als eines der bedeutendsten Opernhäuser der WeltBild: Paul Zinken/dpa/dpa-Zentralbild/picture alliance

Die Staatsoper hat eine bewegte Geschichte. Mehrfach musste sie wieder aufgebaut werden: 1843 brannte sie fast bis auf die Grundmauern nieder. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude zweimal massiv beschädigt und anschließend rekonstruiert.

Spionage in der Staatsoper

Zu Zeiten der DDR war die Staatsoper das führende Opernhaus Ostdeutschlands. Nach Erkenntnissen des Historikers Ralf Stabel wimmelte es dort damals vor Spionen des DDR-Geheimdienstes. In seinem Buch zum Thema schrieb er, viele Tänzer hätten ihre Kollegen bespitzelt, um eine drohende Flucht der besten in den Westen zu verhindern. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde die Staatsoper an die Stadt Berlin übergeben.

Beliebt bei Spionen: Die Staatsoper 1978, zu Zeiten der DDRBild: imago images/Stana

Ab 2010 gastierte die Staatsoper für einige Jahre im Schillertheater im Westen Berlins. Grund war eine umfassende Renovierung des Gebäudes, deren Zeit- und Kostenplan zwar massiv überschritten wurde, an deren Ende das Publikum aber durch eine atemberaubende Akustik belohnt wurde.

Berlin leistet sich drei staatlich finanzierte Opernhäuser

Berlin unterhält gleich drei staatlich finanzierte Opernhäuser - neben der Staatsoper noch die Deutsche Oper im früheren West-Berlin und die kleinere Komische Oper. Das ist selbst für eine Metropole ungewöhnlich.

Der Bau der Deutschen Oper Berlin in Berlin-Charlottenburg verkörpert die NachkriegsmoderneBild: XAMAX/picture alliance/dpa

Alle drei Opernhäuser sind dafür bekannt, innovative und avantgardistische Produktionen auf den Spielplan zu nehmen. Gewalt und Nacktheit gelten dafür ebenso als Säulen wie Aufführungen, die Grenzen zwischen Oper, Film und zeitgenössischer Kunst überschreiten.

Thielemann hat die Staatskapelle bereits dirigiert

Auf die Akustik in der Berliner Staatsoper dürfte sich nun Christian Thielemann freuen. Er kennt sie bereits - genauso wie die Staatskapelle, sein neues Orchester, das drittälteste der Welt: Als Daniel Barenboim den eigens zu seinem 80. Geburtstag neu inszenierten Wagner-Zyklus "Der Ring des Nibelungen" gesundheitsbedingt nicht leiten konnte, sprang Thielemann ein. Das Publikum feierte ihn damals mit Ovationen, auch das Orchester war sichtlich angetan. Schon seine erste Probe mit der Staatskapelle sei ein "magischer Moment" gewesen, so Thielemann rückblickend.

August 2008, Bayreuth: Christian Thielemann (hinten rechts) neben Wolfgang Wagner, Katharina Wagner (hinten) und Eva Wagner-PasquierBild: dpa/picture alliance

Nach Stationen an der Deutschen Oper Berlin und Düsseldorf kam Thielemann 1988 als Generalmusikdirektor nach Nürnberg. 1997 ging er als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper nach Berlin, bevor er das gleiche Amt von 2004 bis 2011 bei den Münchner Philharmonikern innehatte. Neben seinem Amt als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden war er von 2013 bis 2022 Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg. 2022 stand er am Pult des Chicago Symphony Orchestra und führte Bruckners Achte Symphonie auf.

Die Nachfolge des mit dem britischen Gramophone Classical Music Award und weiteren Preisen für sein musikalisches und soziales Wirken ausgezeichneten Barenboim dürfte für Christian Thielemann gewiss nicht leicht werden. Der noch amtierende Intendant der Berliner Staatsoper, Matthias Schulze, sagte über den 80-Jährigen einmal: "Er hat schon immer fünf Leben gleichzeitig geführt: Als Dirigent, als Pianist, als Initiator von Projekten wie dem West-Eastern Divan Orchestra, als Familienmensch und als Weltkünstlerpersönlichkeit."

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