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Kriseneinrichtung

Michael Scaturro / db20. Dezember 2012

Eine Einrichtung in Berlin kümmert sich um Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund, die wegen familiärer Konflikte, zum Beispiel einer drohenden Zwangsheirat, von zu Hause geflohen sind.

Hände , gefesselt
Bild: Fotolia/macgyverhh

Aus Sicherheitsgründen möchte Eva ihren Nachnamen nicht nennen. Die blonde Frau um die 50 leitet die Berliner Dependence von Papatya, einer internationalen Organisation die Schutz und Hilfe für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund bietet.

In Deutschland kümmert sich Papatya vor allem um Mädchen aus türkischen, kurdischen und arabischen Familien, die Gewalt im Namen der Ehre innerhalb ihrer Familie fürchten. In Frankreich wenden sich mehr Frauen mit nordafrikanischen Wurzeln an Papatya; in Großbritannien sind es junge Frauen pakistanischer Herkunft.

Die Organisation hat gut zu tun. In der vergangenen Woche wandte sich ein junges Mädchen aus einem der westlichen Bundesländer an Papatya, erklärt Eva: sie war verlobt und wurde zu Hause missbraucht. "Ihre Eltern haben sie buchstäblich weggeschlossen", meint die Leiterin. "Ehrlich gesagt, grenzt die Art wie sie behandelt wurde an Folter. Ihre Familie hat gedroht, sie umzubringen, wenn sie nicht den Mann heiratet, den die Eltern ausgesucht hatten." Das ging der jungen Frau zu weit. Von Papatya erfuhr sie von einem Sozialarbeiter an ihrer Schule.

Dieses Mädchen - und die 65 anderen, die die Berliner Kriseneinrichtung jährlich aufnimmt - ist eher in der Minderheit. Die meisten türkischen und arabischen Mädchen werden nie mit ihrer Organisation Kontakt aufnehmen müssen, so Eva - aber für eine kleine Gruppe misshandelter Frauen ist Papatya die letzte Rettung.

Beispielhaftes Berlin

Eva erinnert sich noch gut an ein irakisches Mädchen, das per Email mit ihr Kontakt aufnahm. Sie lebte mit ihrer Familie in Deutschland, bis die Eltern sie in den Irak zurück schickten, weil sie sich weigerte, den Mann den man ihr ausgesucht hatte, zu heiraten. Sie wollte unbedingt nach Deutschland zurückkehren.

Das Mädchen hatte einen deutschen Pass, den ihr die Familie allerdings abgenommen hatte, nachdem man sie aus Europa herausgeschmuggelt hatte. "In diesem Fall haben wir die deutsche Botschaft im Irak gebeten, sich einzuschalten. Sie stellten ihr einen neuen Pass aus und zahlten ihr sogar den Rückflug nach Deutschland", erklärt die Leiterin. Das Mädchen sei dann sofort in eines der Papatya-Gruppenhäuser gebracht worden.

Zwangsehen entsprechen oft der FamilientraditionBild: picture alliance / dpa

Papatya arbeitet eng mit Berliner Kinderschutzeinrichtungen zusammen. Die Hauptstadt sieht sich als Vorreiter in Sachen Angebote für Mädchen mit Migrationshintergrund: Die Berliner Hotline Kinderschutz bietet neuerdings Beratung in den Sprachen Türkisch und Arabisch an. Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres erklärte auf einer Pressekonferenz, die Stadt versuche ein besseres Netzwerk an Hilfsangeboten aufzubauen, um misshandelten Frauen zu helfen. Berlin mache seine Sache gut, und andere Bundesländer schauten sich das genau an, meinte Scheeres.

Rückfall in alte Gewohnheiten

Hotlines und Kriseneinrichtungen sind aber nur ein Aspekt, gibt Eva zu bedenken. Jungen Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, ein Gefühl von Stärke und Selbstwert zu geben, sei ein langwieriger Prozess. Letztendlich müssten die Mädchen selbst entscheiden, ob sie sich auf Veränderungen einlassen wollen.

Auf ihren eigenen Füßen stehe eine junge Frau, wenn sie jahrelang alleine gelebt habe und eine Ausbildung habe, meint Eva. Sollten sie dann beschließen, nach Hause zurückzukehren, habe sich die Dynamik innerhalb der Familie vielleicht geändert. Die Berliner Papatya-Leiterin erklärt, die Familie erkenne dann oft, dass die Tochter stärker und selbstbewusster sei und sich nicht unterdrücken lasse.

Dennoch meint Eva, der einzige erfolgreiche Weg sei, nicht in die Ursprungsfamilie zurückzukehren. Dafür entscheiden sich etwa die Hälfte der Mädchen in der Kriseneinrichtung. Die andere Hälfte redet sich nach ein paar Wochen Abstand ein, die Familie könnte ihre Ansichten geändert haben. Solch eine drastische Veränderung in so kurzer Zeit ist allerdings nicht möglich, erklärt Eva. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Familien die Mädchen nach ihrer Rückkehr wieder misshandeln.

Der schlimmste Fall

Im schlimmsten Fall müssen die Mädchen um ihr Leben fürchten: Eva und ihr Team hatten auch schon mit Ehrenmorden zu tun.

Viele Hunderte Mädchen fanden bereits Schutz bei Papatya

An eine 15-jährige erinnert sich Eva noch gut. "Die Eltern haben uns versprochen, sie würden sie nicht zwingen ihren Cousin zu heiraten. Sie haben sogar einen Vertrag mit der Kinderschutzbehörde unterschrieben." Das Mädchen blieb vier Wochen in der Schutzeinrichtung und kehrte dann nach Hause zurück. Eva verlor den Kontakt.

Vier Wochen nach seiner Rückkehr schickte die Familie das Mädchen in die Türkei. Man zwang den Teenager, den Cousin zu heiraten, der sie misshandelte. Dem Mädchen gelang die Flucht nach Deutschland, wo ihre Eltern ihr sagten, sie müsse zu ihrem Ehemann zurück. Sie entschied sich dagegen, lernte einen anderen Mann kennen und ließ sich von dem Cousin scheiden. "Der Ex hat sie später am helllichten Tag auf der Straße ermordet", beschreibt Eva.

Das sei sicher ein Extremfall und nicht die Norm, erklärt die Leiterin. Es sei Papatya schon mehrfach gelungen, Ehen annullieren zu lassen, die Einstellung der Menschen jedoch komplett zu ändern sei eine nicht zu bewältigende Aufgabe. Und ergänzt, es gebe schon einen Zusammenhang zwischen Armut, einem Mangel an Bildung und der Misshandlung von Frauen.

Papatya bietet Mädchen und jungen Frauen anonyme Beratungen auf Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch und etlichen anderen Sprachen. Adresse und Telefonnummer sind geheim, erreichen kann man die Kriseneinrichtung unter beratung@papatya.org.

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