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Deutschlands erster "Copyshop" ist immer noch in Aktion

29. August 2019

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts stellt die Berliner Gipsformerei Kopien berühmter Skulpturen her. Sie ist einer der letzten Orte, an dem dieses einzigartige Handwerk ausgeübt wird. Die Auftragsbücher sind voll.

Gipsformerei, Berlin, Charlottenburg
Bild: DW/T. Rooks

Im Treppenhaus hängen Schätze. Etwa der berühmte Stein von Rosette aus Ägypten. Im Obergeschoss hängen Stücke vom Babylonischen Ischtar-Tor und Werke von Künstlern wie Michelangelo, Donatello und Rodin. Das gesamte vierstöckige Backsteingebäude in Berlin ist vollgestopft mit Kunst aus aller Welt. Fast jede Epoche ist mit dabei. Es ist eine unvergleichliche Sammlung. Aber nichts davon ist das, was es zu sein scheint.

Was wie originale Kunstwerke aussieht, sind in Wahrheit Gipsrepliken - Kopien, die nicht vom Original zu unterscheiden sind. Auch wenn sie nicht antik, aus Holz, Marmor oder Stein sind, so sind die Skulpturen und Reliefs, die sich in der Werkstatt der Berlins Gipsformerei befinden, heute dennoch etwas ganz Seltenes.

Die Manufaktur wurde vor 200 Jahren gegründet - durch königlichen Erlass am 8. Dezember 1819 - und ist damit fest verankert in der Vergangenheit. Ursprünglich wurde hier eine neue Industrie gegründet, mit der Geld gemacht werden sollte. Fast ebenso wichtig war es damals, auf Augenhöhe mit Paris zu sein. Die Hauptstadt Frankreichs hatte bereits eine solche Kopier-Werkstatt. Heute ist das Berliner Handwerksteam eine der wichtigsten Anlaufstellen für Kopien.

Hätten Sie sie erkannt? Kleine Hilfe: Das letzte Bild in diesem Artikel zeigt die berühme Dame, wie wir sie alle kennen.Bild: SMB/Rooks

Handarbeit als gewisses Extra

Früher waren Gipsabgüsse von bedeutenden Kunstwerken eine der wenigen Möglichkeiten für Künstler und Museen, Kunst und architektonische Details aus der ganzen Welt zu präsentieren. Bevor es möglich war, günstig rund um den Globus zu reisen und bevor erschwingliche Bildbände auf dem Markt kamen, waren solche Kopien üblich. Aber vor etwa hundert Jahren verschwanden diese Sammlungen fast vollständig.

Doch noch heute verdient die Berliner Gipsformerei Geld mit ihrer Kunst und hat die Konkurrenz in Paris in vielerlei Hinsicht überholt. In der Nähe des Schlosses Charlottenburg im westlichen Teil Berlins stehen in der Berliner Manufaktur Regale voll mit alten Formen. 7000 verschiedene Abgüsse können damit gemacht werden, darunter etwa die 42 Meter hohe Marcus-Aurelius-Säule aus Rom.

Die Werkstatt ist selbst ein Museum: Ein Schrank voll mit Erstabgüssen von Kunst aus Tausenden von Jahren.Bild: SMB/Rooks

Diese Formen sind das Werkzeug der Stuckateure. Sie sind aber auch ein wichtiges historisches Archiv. Die Hälfte von ihnen sind Abdrücke von Werken aus den Berliner Museen. Einige Formen stammen aus der Anfangszeit der Gipsformerei im 19. Jahrhundert. Viele der Originalkunstwerke sind allerdings verloren gegangen, zerstört oder durch Umweltverschmutzung beschädigt worden. Diese Formen sind die einzigen Zeugnisse der früheren Pracht der Originale.

"Oftmals sind die Werke gar nicht mehr da, sind verschollen oder im Krieg zerstört worden. Das ist das Besondere an unseren Werken, dass wir einen Zustand wieder reproduzieren können, der die Vergangenheit herstellt", sagte Miguel Helfrich, der Direktor der Manufaktur. Er weiß, wovon er spricht. Sein Vater, Klaus Helfrich, war der Direktor des Berliner Völkerkunde-Museums, so dass er umgeben von Kunst aus aller Welt aufwuchs.

Gibt es wirklich so einen Beruf?

Vor zwei Jahrhunderten ging der erste Mitarbeiter der Werkstatt, Domenico Bianconi, in 37 Tagen von Carrara in Italien zu Fuß nach Berlin, um dort zu arbeiten. Er blieb die nächsten 28 Jahre und war einer der wichtigsten Mitarbeiter. Heute ist es deutlich einfacher, nach Berlin zu kommen. Einfach ist es allerdings nicht, wenn es darum geht, einen Job in der Gipsformerei zu bekommen. Die Aufgaben in der Werkstatt sind hoch spezialisiert. Lernen kann ein Handwerker die nötigen Techniken nirgendwo anders als dort.

Während die anderen großen Kopie-Ateliers der Museen in Paris und Brüssel ihr Personal stark reduziert haben, beschäftigt die Berliner Werkstatt heute noch 26 Mitarbeiter. Seit Helfrich vor neun Jahren zum Chef ernannt wurde, ist niemand entlassen worden oder hat den Arbeitgeber gewechselt. Ein Handwerker, der hier einen Job bekommen hat, bleibt.

Eine "Juno Ludovisi" trocknet. Die monumentale Skulptur aus dem ersten Jahrhundert ist 116 cm groß. Also, allein der Kopf natürlich.Bild: SMB/Rooks

Für den gelernten Stuckateur Marc Miniers, der vor sechs Jahren in die Manufaktur kam, ist der Job in der Gipsformerei "ein Lottogewinn", wie er sagt. " Es ist die Endstation, oder ich würde sagen: Ich bin angekommen. Wenn man hier anfängt, muss man noch viel lernen. Es ist wie eine Schule."

Die Werkstatt bietet zwar kein offizielles Ausbildungsprogramm mehr an. Aber das ist für Helfrich, dem Leiter der Einrichtung, kein Problem: "Wir haben viele Bewerbungen von Menschen, die hier arbeiten möchten. Die bringen natürlich nicht die Voraussetzungen mit, das kann man sich hier aneignen."

Angst vor einer 3D-Revolution?

Ursprünglich gegründet um Kunst, Wissenschaft und Arbeitsplätze zu fördern, ist die Werkstatt ihrer Tradition immer treu geblieben. Wer kritisiert, dass Gipsabgüsse nur Kopien sind, übersieht möglicherweise, dass Nachdrucke seltener Bücher, Bronzeskulpturen, numerierte Kupferstiche oder ein Fotodruck ebenfalls "Kopien" sind. Doch mit dem Imageproblem des Kopierers hat die Gipsformerei derzeit sowieso nicht zu kämpfen. Die Kunden stehen Schlange.

"Das Besondere bei uns ist: Hier kann jeder bestellen. In der Regel sind es natürlich wissenschaftliche Institutionen oder Kunst und Kultur-Institutionen, die bei uns bestellen. Aber es sind auch Künstler, Architekten, öffentliche Einrichtungen, Privatsammler und auch der eine oder andere Privatmann", sagt Helfrich.

Neben der traditionellen und arbeitsintensiven Gipsform verwendet die Werkstatt inzwischen auch einfachere Silikonformen. Sie sind ebenso genau, halten aber nicht sehr lange, was in einem jahrhundertealten Unternehmen ein Problem ist. Inzwischen experimentiert die Manufaktur zusätzlich mit 3D-Scannern und -Druckern.

Die Nofretete ist ein "Star" der Manufaktur. Inzwischen gibt es sie nicht nur als Gipskopie, sondern auch als 3.D-Druck. Bild: SMB/DW/T.Rooks

Helfrich hat keine Berührungsängste mit der neuen 3D-Technologie. "Die Technik ist eine zusätzliche Methode. Diese 3D-Technologie ist hervorragend und wir nutzen sie auch sehr gerne. Aber im Moment ist es so, dass wir mit unseren konventionellen Technologien besser sind, deutlich genauer."

Die neue Technologie ist eine Ergänzung des Werkzeugkastens und kann für empfindliche Kunstwerke oder in Kombination mit traditionelleren Methoden verwendet werden. Derzeit arbeitet die Werkstatt mit der Technischen Universität Berlin an so einem hybriden kontaktlosen Abgussverfahren. Es ist eine Gratwanderung zwischen Tradition und Zukunft.

Bauen für die Zukunft

Obwohl die Liste der Bestseller im Laufe der Jahre sich extrem geändert hat, sind die Auftragsbücher der Werkstatt voll. Es gibt sogar eine Warteliste. Und statt kleine, billige Gegenstände für Museumsshops zu produzieren, hat sich die Gipsformerei zum weltweit anerkannten Spezialisten für große und komplizierte Objekte entwickelt, die nur die Handwerker hier reproduzieren können.

Die Preise für Einzelstücke liegen zwischen knapp einhundert Euro und am oberen Ende der Skala einem Betrag, der mit "Preis auf Anfrage" beschrieben wird. Es kommt auf den Aufwand an. Die größten Aufträge der Manufaktur können mehr als 12 Monate in Anspruch nehmen.

In einem erfolgreichen Jahr setzt die Werkstatt rund eine Million Euro um. Die Staatlichen Museen zu Berlin glauben daher an die Zukunft der Manufaktur. Sie planen derzeit einen Anbau an das Gebäude, das 1891 für die Gipsformerei errichtet wurde.

Mehr als 4000 Quadratmeter Fläche soll das neue Gebäude haben, einschließlich neuer Werkstatträume und großer Lagerhallen. Darüber hinaus will sich die Werkstatt mit einer Ausstellung in der neuen James Simon Gallery auf der Berliner Museumsinsel präsentieren.

Für Helfrich werden die nächsten Jahre Veränderungen bringen, aber die Manufaktur bleibt ihrer 200 Jahre alten Geschichte treu. Neben dem normalen Tagesgeschäft will sich der Betriebsleiter auf die Erforschung der einzigartigen Sammlung konzentrieren und daran arbeiten, sie zu erhalten.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung des Digitaldrucks und der Modernisierung der Gipsformerei mit eigenem Knowhow, um historische Herstellungsverfahren mit aktueller Technologie zu verbinden.

"Da ist ein Mensch, der sitzt am Rechner und fügt die einzelnen Ebenen zusammen. Da ist viel Handarbeit dabei. Und ich glaube fest daran, dass wir in fünf Jahren einen große Schritt Richtung digitale Manufaktur gemacht haben und unsere Kenntnisse deutlich verbessert haben", sagt Helfich.

Was auch immer kommt, die Tausenden von historischen Formen, die in der Gipsformerei gelagert werden, bleiben zusammen und bieten weiterhin einen einzigartigen Einblick in die Kunstgeschichte. Dort werden sie weiterhin Ihren Platz haben, auch wenn es nur Kopien sind - schließlich ist die Kopie die höchste Form eines Kompliments.

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