Berlins schwimmendes Hostel
14. März 2013Nur ein schmaler Metallsteg trennt das Schiff vom Festland. Das Zimmer - erste Klasse, Landseite - ist größer als erwartet, geschätzte fünf mal drei Meter, und erstaunlich hell. Durch zwei große eckige Schiebefenster blickt man auf den Souvenir-Shop der East Side Gallery - dem längsten Stück noch erhaltener Berliner Mauer, das derzeit für Furore sorgt, weil ein Teil abgerissen werden soll. Über dem Doppelbett hängt ein kunstvoll drapiertes, orangefarbenes Mückennetz. Das kleine Eckbadezimmer hat ein Waschbecken mit Spiegel, Dusche und Toilette. Die Hektik der Großstadt, so scheint es, lässt der Besucher an Land zurück.
Der Traum eines Weltenbummlers
"Auf dem Boot zu arbeiten, ist eine schöne Art Geld zu verdienen", sagt Betreiber Edgar Schmidt von Groeling, der sich mit dem Hostelschiff 2005 einen Traum erfüllt hat. "Die Gäste an Bord geben mir viel positive Energie." Backpacker aus aller Welt, aber auch Geschäftsleute, Rentner und Kleinfamilien übernachten auf seinem Schiff, erzählt von Groeling. Er ist ein großgewachsener Mann Ende vierzig in braunem 70er-Jahre-Hemd und beiger Kordhose. Der gelernte Architekt und Vater von zwei Kindern kam selbst viel rum: In Bombay geboren, wuchs er in Südafrika auf und reist noch immer jedes Jahr in verschiedene afrikanische Länder. Sechzehn Jahre lang lebte von Groeling im Berliner Stadtteil Wedding auf einem Hausboot, wo schließlich die Idee des schwimmenden Hostels entstand.
In Wilhelmshaven an der Nordseeküste fand er, was er suchte: ein ungenutztes Boot, kurz nach der Wende im brandenburgischen Genthin gebaut, das 2000 unter dem Namen "Rüstringer Friese" auf der Weltausstellung Hannover Besuchern als Hotel gedient hatte. Nach zähen Verhandlungen kaufte Edgar Schmidt von Groeling den Kahn und brachte ihn über Flüsse und Kanäle nach Berlin. Um die Brücken auf dem Weg passieren zu können, musste das gesamte obere Deck des Bootes abmontiert und auf einem zweiten Boot transportiert werden. Erst am Zielort, unweit der Oberbaumbrücke, wurde das Schiff wieder zusammengebaut.
Ein Ort mit Vergangenheit
Seitdem liegt die Eastern Comfort - wie der Name verrät - fest vertaut am Ostufer der Spree und damit mitten im Szenebezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Weil die Nachfrage nach den schwimmenden Zimmern so hoch war, kaufte von Groeling 2008 sogar ein zweites Schiff dazu. Von ihnen aus sind Berlins bekannteste Clubs wie das Berghain und das Watergate zu Fuß erreichbar. Und doch ist es angenehm ruhig, am Ufer hinter den Resten der Berliner Mauer.
Die Lage der Schiffe ist vor allem aus geschichtlicher Perspektive reizvoll. Weil bis 1990 durch die Mitte des Flusses die deutsch-deutsche Grenze verlief, war die Gegend Sperrgebiet, die Ufer auf beiden Seiten streng bewacht. "Niemandsland war das hier!", erinnert sich Diane Kleindienst, die auf der Eastern Comfort regelmäßig eine Abendveranstaltung mitorganisiert. "Als Ossi durfte ich nicht mal in die Nähe der Mauer kommen!" Mit viel Emotion erzählt die 52-Jährige den Gästen von ihrem Leben in Ostberlin, das sie schließlich aufgab, um in den Westen zu fliehen. Zu groß sei damals die Angst gewesen, verhaftet zu werden, nachdem sie Ende der 80er Jahre an ersten Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen hatte.
Versöhnung mit der Geschichte
Inzwischen erinnern nur noch Erzählungen an die Zeit, als bewaffnete Grenzbeamte der DDR und BRD einander vom Ufer aus misstrauische Blicke zuwarfen. Denn wo einst Grenzen gezogen wurden, kommen heute Menschen aus den verschiedensten Ländern zusammen, trinken an Bord der Eastern Comfort ein Gläschen und starten gemeinsame Streifzüge durch die wiedervereinte Stadt. Nur vom Ruf des Niemandslands ist ein bisschen was geblieben - gerade nachts, wenn die Wiese zwischen Schiff und Mauerstück menschenleer ist und nur die Straßenlichter sich im Wasser der Spree spiegeln. Dann ist die Eastern Comfort eine ruhige Insel, mitten in Berlin und doch fernab von Großstadttrubel.