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Berlusconi, Goethe und der Anwalt im Schneideraum

Interviewer: Oliver Samson und Sonia Phalnikar29. März 2006

Die böse Polit-Satire "Bye Bye Berlusconi" hat schon bei der Berlinale viel Wirbel verursacht. Ein Interview mit Regisseur Jan Henrik Stahlberg und der Drehbuchautorin Lucia Chiarla.

Der italienische Schauspieler und Berlusconi-Darsteller Maurizio Antonini bei der Berlinale in BerlinBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD: Herr Stahlberg, Frau Chiarla, Sie haben einen Film über die Entführung Silvio Berlusconis gedreht. In Italien, auf Italienisch, mit italienischen Schauspielern und einem täuschend echten Berlusconi-Double. Nur einen italienischen Verleih haben Sie noch nicht. Gefällt der Film den Italienern nicht?

Jan Henrik Stahlberg: Ich glaube, dass dies weniger eine Frage des Gefallens ist. Wenn wir mit Leuten gesprochen haben, die den Film nicht nehmen wollten, haben wir öfter zu hören bekommen: Es tut mir leid, ich kann damit kein Geld verdienen, weil ich ihn nicht ans Fernsehen verkaufen kann - und zweitens habe ich Familie. Wobei ich nicht jedem, der den Film nicht nimmt, unterstellen will, dass er keinen Mut hat. Der Film ist sehr skurril, sehr anarchisch und hat die große Unverschämtheit, Berlusconi so zu behandeln, wie wir denken, dass er behandelt gehört - in einem Film, wohlgemerkt. Ich würde ihn im richtigen Leben nicht entführen wollen. Aber der harte Ton kann verstören. Ich verstehe die Leute, die sagen: Das ist eine Unverschämtheit. Ich sehe das zwar anders, aber der Film ist ein zweischneidiges Schwert: Er ist saukomisch und sehr ernst.

Hier auf der Berlinale sorgt ihr Guerilla-Marketing für Aufmerksamkeit - vor allem wegen des täuschend echten Berlusconi-Doubles, das Sie sogar geschickt mit Angela Merkel zusammentreffen ließen.

Der Berlusconi-Darsteller Maurizio Antonini (v.l.), die italienische Schauspielerin Lucia Chiarla und Regisseur Jan Henrik Stahlberg bei der Berlinale-PremiereBild: picture-alliance/dpa

Stahlberg: Durch die enorme Resonanz hier auf der Berlinale sind endlich Verleiher an uns heran getreten. Die Kontakte sind da - wenn alles schnell geht, sind wir noch vor den Wahlen in Italien am 9. April in den dortigen Kinos. Wenn das klappt, wäre das für uns wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Wir hatten irgendwann nicht mehr daran geglaubt.

Wir waren die Reaktionen auf der Premiere?

Lucia Chiarla: Sehr gut. Ich glaube, das Publikum hat verstanden, dass das Thema Zensur und Medienmacht kein rein italienisches Problem ist. Das hat mich sehr gefreut.

Herr Stahlberg, Sie haben auf der Pressekonferenz gesagt, der Film wäre ganz maßgeblich durch die kreative Arbeit von Juristen entstanden. Wie haben wir uns das vorzustellen?

Stahlberg: Als wir die Idee hatten, Berlusconi zu entführen, fanden wir das super, haben viel Wein getrunken, am nächsten Tag etwas in den Computer gehackt und das meinem Anwalt gefaxt. Das Fax kam schnell zurück: Schönen Gruß, aber juristisch nicht möglich. Das kann ja wohl nicht wahr sein, dachten wir. Wir fanden die Idee so spannend: Mit den Helden, die keine sind, weil Entführungen natürlich immer Ultima Ratio bedeuten. Gleichzeitig sind sie aber sympathisch, weil sie etwas tun, was ich mir als ohnmächtiger Zuschauer auch wünschen würde. Wir haben dann auch mit dem Anwalt sehr viel Wein getrunken. Das Ergebnis: Entweder Berlusconi musste einverstanden sein - oder aber er durfte sich nicht wiedererkennen. Wir haben sehr viel mit dem Anwalt gearbeitet. Resultat: Wir durften Berlusconi nicht mal beim Namen nennen. Egal, habe ich gesagt, schließlich haben wir einen Doppelgänger, dann nennen wir ihn eben Mickey Maus - so wird Berlusconi in Italien manchmal genannt. Da sagte der Anwalt aber: Dann kriegste Ärger mit Disney und machst einen Zweifrontenkrieg auf. Also nannten wir ihn Mickey Laus. Der Anwalt hat am Schluss im Schneideraum sogar Szenen raus geschnitten - das musste sein. Dass ich einen eventuellen Prozess gewinnen würde, konnte mir zwar niemand garantieren, aber jetzt haben wir eine Chance, juristisch zu bestehen.

Jahrgang 1970: Regisseur Jan Hendrik StahlbergBild: picture-alliance/dpa

Wie hätte der Film denn ausgesehen, wenn Ihre erste Idee durchsetzbar gewesen wäre?

Chiarla: Auf jeden Fall weniger gut - es wäre keine Satire geworden. Wir dachten ursprünglich an die Entführung des italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro 1978, als von Staatsseite niemand mit den linksterroristischen Roten Brigaden verhandeln wollte. Auch eine lustige Seite sollte der Film haben, nämlich, dass Berlusconi niemand zurückhaben will - aber es wäre ein völlig anderer Film geworden.

Die Juristen haben den Film künstlerisch bereichert?

Stahlberg: Es war eine Bereicherung, weil der Film dadurch eine skurrile Note bekommen hat: Am Anfang kann man sich gut unterhalten fühlen, irgendwann fängt man als Zuschauer an, sich in den Klischees wohl zu fühlen. Ach, schau mal, was ist doch der Berlusconi für ein Idiot, was für ein Clown. Dann aber zeigen wir auf einmal, wie ernst man Berlusconi nehmen muss. Das schlimmste wäre, ihn zu unterschätzen. Hoffentlich ist diese Person ab dem 9. April Geschichte.

Im Film sind Realität und Fiktion oft bis zur Ununterscheidbarkeit miteinander verschränkt. Ein Beispiel: Das Filmteam im Film wird in Italien bei der Arbeit behindert und muss am Ende um das Leben fürchten. Haben Sie in der Realität auch solche Ängste ausstehen müssen?

Stahlberg: Genau das war von mir als Familien-Vater die zweite Frage an den Anwalt: Was machen die mächtigen Herren im Hintergrund, wenn man ihnen auf die Füße tritt? Er meinte: Nichts, wenn du nicht zu kräftig trittst. Die Mafia will ja im Hintergrund bleiben. Wenn man nichts Neues erzählt, was für die unangenehm werden könnte, hat man physisch nichts zu befürchten. Die normale Reaktion wird sein: den Film totschweigen, so lange es geht. Wenn das nicht mehr geht: Frontaler Angriff nach dem Motto: Das ist ein deutscher Besserwisser, der uns in Italien das Land madig machen will. Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, einen Prozess zu führen und Schmerzensgeld zu fordern. Wenn das kommen würde, wäre ich finanziell weg vom Fenster und müsste eine Kollekte machen. Wir haben aber eine 60:40-Chance den Prozess zu gewinnen, sagt mein Anwalt - und ich hoffe, dass er besser ist, als der im Film. Der ist nämlich ein Loser.

Chiarla: Berlusconi verklagt regelmäßig Menschen, die Bücher oder Theaterstücken gegen ihn schreiben. Die gewinnt er zwar fast nie, aber er kann es sich ja leisten.

Szenenfoto aus "Bye bye Berlusconi"Bild: berlinale

Stahlberg: Klar, Berlusconi ist eitel und klagefreudig. Er hat auch schon das schwedische Fernsehen verklagt und den schwedischen Botschafter einbestellt, als dort ein kritischer Clip über ihn lief. Wenn wir aber unter einer Art kritischer Masse bleiben und der Film nur auf Festivals, im Internet und auf DVD zu sehen ist, ist ihm das egal. Er ist ja nicht so doof, uns durch ein Verbot eine wunderbare Angriffsmöglichkeit zu bieten. Er wird das nur tun, wenn der Film in Italien herauskommt - was wir sehr stark hoffen - und ihm lästig wird. Oder aber er versucht, daraus politisch Kapital zu schlagen, um mal wieder die alte Leier zu bringen, die jeden Tag mehrfach auf seinen sieben Fernsehsender läuft: Dass die Kommunisten ihn unterlaufen wollen.

Frau Chiarla, im Film bezeichnen Sie sich als Berlusconi-Exilantin in Berlin. Realität oder Fiktion?

Chiarla: Real. Als Frau kann ich in Italien kein Fernsehen mehr sehen, weil ich mich gedemütigt fühlen muss. Als Bürgerin kann ich mich nicht von einem Ministerpräsidenten repräsentiert fühlen, gegen den 17 Prozesse laufen. Als Künstlerin wird die Arbeit immer weniger, weil Berlusconi den Kulturetat um 40 Prozent reduziert hat. Die meisten Filme werden von Berlusconi finanziert - ich habe dort momentan wirklich keinen Platz. Vielleicht wird das ab dem 9. April wieder anders.

Herr Stahlberg, Sie haben sich mit Ihrem Regiedebut nun mit einem der mächtigsten Männer der Welt angelegt. Sie spielen hier auf der Berlinale auch in Detlev Bucks umstrittenen "Knallhart" mit; ihr großer Erfolg "Muxmäuschenstill" war ebenfalls bitterböse …

Stahlberg: Also ich fand den saukomisch …

Komisch, aber böse. Auf keinen Fall jedoch leicht.

Stahlberg: Wenn ich das Wort Comedy höre, rollen sich bei mir im deutschen Zusammenhang die Zehennägel hoch. Kürzlich hat ein Journalist mir gegenüber Goethe zitiert: "Humor ist das Phänomen, das mich in Distanz bringt zur hilflosen Ohnmacht." Was mich nervt, ist, wenn man in Komödien den Doofmann spielt. Wir sind lächerlicher, als uns das lieb ist, und wenn man die Uneitelkeit besitzt, über sich selbst lachen zu können, dann finde ich das viel komischer.

"Muxmäuschenstill" und "Bye Bye Berlusconi" waren nun mal zwei Stoffe, die mich interessiert haben. Das eine Gesellschaftspolitik, das andere eine Geschichte über einen korrupten kriminellen Politiker. Mit Lucia mache ich derzeit ein Projekt namens "Harmony", das eine politische Liebesgeschichte erzählt - weil ich vermeiden will, dass die Leute denken: Der Stahlberg macht immer nur seinen politischen Scheiß. Wenn Sie sagen, "Muxmäuschenstill" war hart, dann gebe ich Ihnen Recht. Aber es wird auch andere Filme von mir geben, womit ich dann hoffentlich überraschen kann.

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