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Gesellschaft

Autorin Bernardine Evaristo im Interview

Kate Müser db
27. Januar 2017

Wie sollten Writers of Color auf Rechtspopulismus, den Brexit und Donald Trump antworten? Die britische Autorin Bernardine Evaristo fürchtet den Einfluss von Demagogen und fordert mehr Vielfalt im Literaturbetrieb.

Bernardine Evaristo
Bild: Hayley Madden


Die renommierte britische Schriftstellerin Bernardine Evaristo ("The Emporer's Babe", "Mr Loverman" und "Hello Mum") setzt sich schon seit Jahren für Inklusion und Vielfalt im britischen Literaturbetrieb ein. 2008 gründete sie das Mentorenprojekt "The Complete Works". Daraufhin stieg der Prozentsatz Schwarzer und asiatischer Dichter, deren Werke in Großbritannien gedruckt wurden, von einem auf zehn Prozent.

Bernardine Evaristo leitet vom 26. bis 28. Januar das British Council Literaturseminar, das seit 30 Jahren in Deutschland neue literarische Stimmen aus Großbritannien präsentiert.

DW: Der Brexit und Donald Trumps Amtseinführung wurden in der letzten Woche heiß diskutiert. Beide Themen hängen mit den wachsenden Ängsten vor kulturellen Unterschieden innerhalb der Bevölkerung zusammen. Wie können und sollten Schriftsteller darauf reagieren?

Bernardine Evaristo: Ganz egal, welchen Hintergrund wir haben: Es wird sehr schwer sein, das zu ignorieren. In den nächsten zehn Jahren werden wir bestimmt eine Menge Literatur erleben, die sich aus den verschiedensten Perspektiven mit Trump und mit dem Brexit auseinandersetzt.

Momentan sitze ich an einem Roman, der in der Gegenwart spielt, und denke mir: Oh Gott, das muss ich nochmal überarbeiten. Ich kann doch nicht diese Protagonisten im Hier und Jetzt agieren lassen, wo solche Dinge passieren und das alles außer Acht lassen.

Ich denke, es wird viel Protestliteratur und viel Satire geben - vor allem bezogen auf Trump, der ist dafür prädestiniert, wie wir ja schon gesehen haben. Eine ganze Generation junger Menschen wird momentan politisiert und das finde ich unglaublich.

Wir haben uns so gefühlt, als wären unsere Gesellschaften über diese Art rassistischer Rhetorik hinausgewachsen, wie wir sie in den USA und auch in der Anti-Europa-Kampagne in Großbritannien erlebt haben. Umso schockierender ist es, zu sehen, dass plötzlich Demagogen die Uhr um 20, 30 oder 40 Jahre zurückdrehen können - wir dachten doch, wir wären mittlerweile weiter als zu Zeiten des politischen Aktivismus der Siebzigerjahre, der so entscheidend war, um unsere nationalen Vorstellungen von Hautfarbe und Geschlecht neu zu definieren.

Plötzlich fühlen sich People of Color oder Menschen mit Migrationshintergrund in dieser Gesellschaft bedroht, sie spüren ein wenig von den Herabwürdigungen, die unseren Eltern damals entgegengebracht wurden. Es ist eine sehr schwierige Zeit. Künstler versuchen, die Dinge, die gerade vor sich gehen, einzuordnen und einen Weg zu finden, damit zu arbeiten. Es hat auch etwas Aufregendes, denn, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, damit haben wir ja niemals gerechnet.

Der neue US-Präsident, hier sein Konterfei in Wachs bei Madame Tussauds, fordert Satire geradezu heraus, meint EvaristoBild: picture-alliance/dpa/N.Ansell

Sie moderieren das British Council Literaturseminar in Berlin, das sich insbesondere mit zeitgenössischen Schwarzen Autoren auseinandersetzt. Welche Schwierigkeiten stellen sich Schwarzen Schriftstellern in Großbritannien?

Aus deutscher Sicht haben wir sicherlich eine lebendige Multikulti-Literaturszene in Großbritannien. Die Autoren, die am British Council Literaturseminar teilnehmen, haben eher keine Probleme, denn sie haben alle bereits Bücher veröffentlicht. Es ist eher generell ein großes Problem, dass Verlage in Großbritannien kaum Schwarze Autoren herausbringen.

Es herrscht so eine Art Alibipolitik: Ein, zwei Autoren werden sehr erfolgreich vermarktet und dann denken alle, das reicht. Es reicht aber nicht.

Rassismus ist Teil des Problems, aber auf der anderen Seite werden auch Stimmen aus der Arbeiterklasse und der LGBT-Community nicht beachtet. Das Problem geht über Hautfarbe hinaus.

Der Literaturbetrieb ist sehr weiß und sehr bürgerlich. Da müssten wir mehr Vielfalt hereinbringen. Bei Penguin Random House läuft seit einem Jahr ein großartiges Projekt: "Right Now". Sie haben fünf Redakteure mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen und Familienverhältnissen eingestellt, ganz anders als sonst im Bücherbusiness. Die wiederum suchen in ganz Großbritannien nach 10 neuen Autoren - so will man den Mangel an Diversität angehen.

Ihre Bücher, sowohl die Romane als auch die Gedichte, scheinen die Trennlinien zwischen allen Arten von Kategorien zu verwischen: Hautfarbe, kultureller Hintergrund, Sexualität und Zeit. "Mr Loverman" spielt in London und erzählt die Geschichte eines älteren homosexuellen Mannes aus Antigua, in "The Emperor's Babe" geht es um ein Schwarzes Mädchen im römischen London vor 1800 Jahren. Welchen Einfluss hat Ihre Herkunft auf Ihre Arbeit?

Mein Ziel ist es, Figuren und Literatur zu erschaffen, von denen ich meine, dass sie in die literarische Landschaft gehören. Ich bin im London der Sechziger- und Siebzigerjahre als Kind englisch-nigerianischer Eltern aufgewachsen und fühlte mich in der Gesellschaft fehl am Platze. Unter anderem, weil ich mich, als Woman of Color, nicht in der Gesellschaft, in der ich aufwuchs, widergespiegelt fand.

Deswegen schreibe ich, das ist meine Motivation. Die Gesellschaft hat sich verändert und weiterentwickelt, aber ich möchte nach wie vor daran mitwirken, wie wir in der britischen Literaturszene dargestellt werden. Deswegen habe ich diese unterschiedlichen kreativen Ansätze.

In den Achtzigerjahren entdeckte ich, dass es womöglich von 1800 Jahren Schwarze in England gab, daher auch das Buch über das Mädchen im römischen London. Ich fand das damals bemerkenswert! Ich bin keine Historikerin, aber ich habe mich damit kreativ auseinandergesetzt und es zum Thema meines Romans gemacht. Das war damals wegweisend.

Erst danach wurden die römischen Skelette, die man schon vor mehr als 100 Jahren entdeckt hatte, neuen forensischen DNA-Tests unterzogen - und siehe da, es waren tatsächlich Schwarze. Erst kam die Fiktion, danach der Beweis. 

Madonna hielt eine wütende Anti-Trump-Rede beim Women's March einen Tag nach der Amtseinführung des PräsidentenBild: Picture-Alliance/AP Photo/J. L. Magana

Mit "Mr Loverman" verhält es sich ähnlich. Ich hatte nicht geplant, über einen älteren, homosexuellen Mann aus der Karibik zu schreiben, aber nach einiger Zeit war klar: Die Figur ist schwul und das fand ich wirklich interessant. Es gibt nicht viele Romanfiguren, die aus dieser Generation kommen, homosexuell und Schwarz sind. Nachdem ich das Buch beendet hatte, lernte ich ältere homosexuelle Männer aus der Karibik kennen und keiner hatte sich zu seiner sexuellen Orientierung bekannt. Die Fiktion, die ich erschaffen hatte, wurde Realität. Ich lernte diese Männer kennen und wir wurden Freunde.

In welchen Bereichen benötigt Vielfalt Ihrer Meinung nach besonders viel Unterstützung?

Als Schwarze in dieser Gesellschaft - und schauen Sie sich meine Romane an, ich habe männliche und weibliche Protagonisten - hat es für mich Priorität, Schwarze als Romanfiguren zu erschaffen. Deswegen schreibe ich aber nicht unbedingt über Rassismus, obwohl das Thema auch berührt wird. Ich finde, es gibt nicht genug Autoren, die über diese wichtigen Themen schreiben.

Feminismus erfährt viel mehr Unterstützung. Der Marsch der Frauen neulich am Samstag war großartig - vor allem die vielen Promis, die in den USA dabei waren, die erreichen ein ganz anderes Publikum. Vor 30 Jahren hätte es so etwas wahrscheinlich nicht gegeben. Es ist toll, dass wir uns in Richtung einer Gesellschaft bewegen, die post-feministisch war und nun wieder feministisch ist.

 

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