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Schlinks neues Buch "Abschiedsfarben"

Jochen Kürten
22. Juli 2020

Es soll nicht sein letztes Buch sein: Im DW-Interview erzählt Bernhard Schlink über seine zwei Leidenschaften und seinen neuen Erzählband "Abschiedsfarben".

Bernhard Schlink mit kurzen Haaren und randloser Brille (Foto: picture-alliance/dpa/H. Galuschka).
Jurist und Schriftsteller: Bernhard Schlink ist einer der weltweit bekanntesten deutschsprachigen AutorenBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Weltberühmt ist Bernhard Schlink seit Ende der 1990er-Jahre. Welcher lebende deutschsprachige Schriftsteller kann das schon von sich sagen? Schlinks Roman "Der Vorleser" war ein Bestseller - und das nicht nur in seiner Heimat. In den USA wurde das Buch zum Verkaufsschlager, spätestens als US-Talkerin Oprah Winfrey den Roman im Fernsehen empfohlen hatte.

Und als dann "The Reader" auch noch mit Titanic-Star Kate Winslet im großen Stil verfilmt wurde, war der Name Bernhard Schlink in der angloamerikanischen Welt vermutlich auch vielen Nicht-Lesern bekannt. Der Roman über die Liebesgeschichte eines Schülers und einer KZ-Aufseherin wurde in rund 50 Sprachen übersetzt, die Auflage geht bis heute in die Millionen.

Professor, Richter und Schriftsteller

Bernhard Schlink hatte als Jurist jahrzehntelang Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie gelehrt. Irgendwann hatte er dann zu schreiben begonnen, weil er das - wie er im DW-Interview erzählt - einfach immer gern gemacht hat. Warum sich dann also nicht an Romane und Erzählungen versuchen? Schlink hatte schnell Erfolg, sein erstes belletristisches Buch erschien 1987, viele weitere folgten.

"The Reader" - Bestseller in den USA Bild: DW

Wenn jetzt also ein neues Buch des nunmehr 76-jährigen Bernhard Schlink erscheint, inzwischen im juristischen Ruhestand, dann ist das ein Ereignis. Neun Erzählungen hat der Autor in seinem Buch mit dem Titel "Abschiedsfarben" versammelt. Neunmal geht es um Abschiede, um Beziehungen zwischen Mann und Frau, zwischen Paaren, aber auch zwischen jüngeren und älteren Charakteren in unterschiedlichen Konstellationen. Wir haben mit Schlink über seine Neuerscheinung gesprochen - und auch über seinen Welterfolg "Der Vorleser", der 1995 erschien.    

Deutsche Welle: Darf ich Ihren neuen Erzählband "Abschiedsfarben" als Alterswerk bezeichnen?

Bernhard Schlink: (lacht) Ich weiß nicht, was ein Alterswerk ist…

Ich denke an die Themen des Buches: Erinnerung, der Umgang mit Erinnerungen, das Gewissen eines jeden Menschens, Fragen wie: Ist man richtig mit dem Leben umgegangen?

Das kann einen auch schon in mittleren, sogar in jungen Jahren beschäftigen. Ich habe einmal von Edward Said (US-Literaturtheoretiker palästinensischer Herkunft, Anm.d.R.) einen Vortrag über das Alterswerk gehört. Da war mit Alterswerk das Werk gemeint, das alles, worüber man im Lauf des Lebens gearbeitet, was man gedacht und geschrieben hat, nochmal aufgreift, das gewissermaßen die Summe des eigenen Werks und Lebens ist. Das sind die Geschichten in "Abschiedsfarben" gewiss nicht.

Wenn man sich ein paar Themen anschaut, die die Erzählungen durchziehen, dann würde ich sagen: Es begegnet einem mehrfach das Thema Schuld. Hat Sie das besonders interessiert?

Mich hat das Thema Abschied interessiert. Aber bei Abschieden kann es Verletzungen, Schmerzen und Trauer geben, und dann spielt auch Schuld eine Rolle. So ist mit dem Thema Abschied in manchen Geschichten auch Schuld zum Thema geworden.

Neun Erzählungen sind im neuen Buch "Abschiedsfarben" versammeltBild: Diogenes

Wenn es Abschiede waren - wie würden sie diese in ihren Erzählungen definieren?

Es geht nicht um Abschied vom Leben, sondern um Abschied im Leben. Um Abschiede von Menschen, um Abschiede von Lebensabschnitten, um Abschiede von Hoffnungen, von Erwartungen, von Ängsten, um schmerzliche und um befreiende Abschiede. Es geht um die Abschiede, die wir im Leben immer wieder nehmen, immer wieder nehmen müssen.

Das trifft - so habe ich Ihr Buch gelesen - vor allem auch auf Beziehungen zu. Ihr Buch ist ein großes Beziehungsbuch. Was macht diese Beziehungen so schwierig?

Es geht um Beziehungen zwischen Mann und Frau, um Beziehungen zwischen Freunden, zwischen Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern. Alle diese Beziehungen, nicht nur Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau, sind zentral für uns. Und was zentral für uns ist, ist schwierig und ist groß und beglückend im Gelingen und groß und vernichtend im Scheitern.

Es geht ja auch um die Beziehung zwischen älteren Männern und jüngeren Frauen. In einer Geschichte ist es umgekehrt - dort wird der Roman "Lolita" von Vladimir Nabokov zitiert. Was hat sie an diesem Thema interessiert?

Eine Geschichte handelt von der Liebe und von der Balance zwischen einem älteren Mann und einer jüngeren Frau. Die Geschichte, in der "Lolita" vorkommt, handelt von Mutter und Sohn; sie machen zusammen Sommerurlaub, sie liest das Buch, er findet es im Strandkorb und liest es auch, für beide ist es ein Sommer der Erotik, aber es gibt keine erotische Beziehung zwischen der Mutter, der älteren Frau, und dem jungen Sohn.

Auch in "Der Vorleser" ging es um eine Beziehung mit großem Altersunterschied: Filmzene mit Kate Winslet und David KrossBild: imago/Unimedia Images

Es wehen Melancholie und Wehmut durch die Geschichten, gerade wenn es um die Beziehung zwischen Mann und Frau geht. Überspitzt gefragt: Sind Mann und Frau auf Dauer nicht für einander geschaffen?

Ach, Herr Kürten (lacht), ich habe keinen Zweifel, dass Mann und Frau füreinander bestimmt sind - und das Miteinander kann ihnen auch auf Dauer gelingen. Früher starben Menschen jünger und waren Ehen oft kürzer, und die heutigen Beziehungen tun sich manchmal schon deshalb schwer, weil wir länger leben. Aber auch heute können Beziehungen ein Leben lang dauern.

Sie gehören zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren, leben auch in New York. Wie sind Ihre Erfahrungen dort: Werden Sie immer auf Ihren Welterfolg "Der Vorleser" angesprochen?

Wenn ich auf mein Schreiben angesprochen werde, kommt immer "Der Vorleser" vor.

Fühlen sie sich dabei wohl? Es gibt ja diejenigen, die sagen: Ach, ich hab so viel anderes geschrieben, es geht nicht nur um dieses eine Buch. Oder haben sie mit dem Welterfolg auch ihren Frieden geschlossen?

Das stört mich nicht. Einmal im Leben einen solchen Erfolg zu haben, ist wunderbar. Das kann und muss man nicht beim nächsten und übernächsten Buch wieder erwarten. Es genügt mir, dass ich die nächsten Bücher mit der gleichen Freude schreibe.

Seine Ansichten interessieren: Schlink bei Diskussion zu Identität, Werten und Alltagskultur im Schloss Neuhardenburg 2018Bild: DW/C. Nurtsch

Als Jurist muss man ja genau und exakt arbeiten. Als Literat hat man größere Freiheiten. Hat Sie auch dieser Unterschied gereizt?

Auch ein guter Jurist braucht Phantasie. Der Jurist, der nur reproduziert, was ihm Rechtsprechung und Literatur vorgedacht und -entschieden haben, der auf Rechts- und Gerechtigkeitsfragen keine neuen Antworten sucht und findet, ist ein kläglicher Jurist.

Könnte man umgekehrt sagen: Ein kläglicher Literat wäre dann jemand, der oberflächlich schreibt? Sie bemühen sich sehr um psychologische Genauigkeit und Glaubwürdigkeit ihrer literarischen Charaktere.

Genauigkeit und Glaubwürdigkeit stehen beiden gut an, Juristen und Autoren. Ich kann mir mein Leben ohne das Schreiben nicht vorstellen. Aber ich konnte und wollte auch das Recht nie aufgeben - es ist mir einfach wichtig. Letztlich sind alle kreativen Prozesse ähnlich, ob man eine Geschichte schreibt oder ein juristisches Problem löst oder für die kleine Tochter ein besonders schönes Geburtstagsfest ausrichtet. Und alle machen glücklich.

"Abschiedsfarben" wird nicht Ihr letztes Buch sein?

Ich hoffe nicht. Ich schreibe an etwas Neuem.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.

 

Bernhard Schlinks "Abschiedsfarben" ist im Schweizer Diogenes Verlag erschienen, 232 Seiten, ISBN 978 3 257 07137. 

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