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Ende der Ära Castorf an der Berliner Volksbühne

Ute Büsing
1. Juli 2017

In 25 Jahren an der Berliner Volksbühne hat Frank Castorf Theatergeschichte geschrieben. Nun räumte der Intendant seinen Platz für Chris Dercon. Um die Zukunft des Theaters tobt ein Kulturkampf.

Berlin Volksbühne - Abgesang
Zum Abschluss inszenierte Castorf den "Faust" Bild: Thomas Aurin

Das Regie-Finale von Frank Castorf an der Volksbühne im März geriet faustisch: Martin Wuttke als Doktor Faustus, Marc Hosemann als Mephisto und Sophie Rois als Hexe brüllen und spielen, was das Zeug hält. Live-Kameras liefern Nahaufnahmen aus dem verwinkelten Theater. Castorf versetzt seinen "Faust" ins Frankreich des Algerienkrieges und lädt ihn provokant mit Frantz Fanons Befreiungstheorie und Paul Celans "Todesfuge" auf. Goethes Tragödie und Menschheitsparabel, verpackt in einen siebenstündigen Kraftakt. Und noch einmal trumpfte der Meister vom Rosa-Luxemburg-Platz mit all den Zutaten auf, die sein Theater, seine Hexenküche, so einzigartig machten. Zweifellos eine der stärksten Castorf-Inszenierungen aller Zeiten.

Sohn eines Eisenhändlers

Soviel Theaterglück war dem Sohn eines Eisenhändlers aus dem Prenzlauer Berg nicht immer beschieden. Zu DDR-Zeiten inszenierte er in Anklam, in Gera, in der einstigen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), Halle, schließlich kurz vor der Wende in Ost-Berlin am Deutschen Theater und der Volksbühne.

Es folgten Einladungen zum Berliner Theatertreffen. Von 1990 bis 2003 war der auch sonst vielfach ausgezeichnete Castorf fast immer dabei. Ab 2014 nach einer kreativen Schwächeperiode dann wieder. Castorf bekannte: "Ich habe eine gewisse Kohl-Mentalität. Das war schon in der DDR so. Aber da ist tatsächlich nach 10, 15 Jahren so ein Überdruss gewesen. Da hatte ich keine Lust mehr, weiterzumachen."

Frank CastorfBild: picture alliance/dpa/T. Hase

In drei Jahren berühmt oder tot

Nach außen wirkt der heute 65-Jährige unnahbar und öffentlichkeitsscheu. In Jeans, T-Shirt, Intellektuellen-Nickelbrille und mit ausdünnendem Langhaar nahm er stets Kaugummi kauend den Premierenapplaus entgegen. Seine Inszenierungen waren gespickt mit Selbstreferenzen und Insiderjokes für Eingeweihte. Sie wurden zum Kult für Fans, die er schnell gewann, als er die Volksbühne 1992 übernahm. In drei Jahren wollte er "entweder berühmt oder tot" sein. Dann wurde seine Intendanz ein Triumphzug, der das deutschsprachige Gegenwartstheater veränderte.

Der Beginn war furios mit "König Lear" und "Rheinische Rebellen". Die freche Adaption der "Räuber" hatte Castorf schon zwei Jahre zuvor herausgebracht. Dafür ersann der Bühnenbildner Bert Neumann das gezinkte Räuberrad auf dem Vorplatz des Theaters – ein Symbol für die räuberische Volksbühnen-Ästhetik und den Widerstand "gegen den Mainstream der Übereinstimmung", so Castorf.

Erst Underground, dann Pop

Die Berliner VolksbühneBild: picture alliance/dpa/J. Kalaene

Castorf berief sich auf die revolutionäre Tradition des mit Arbeitergroschen finanzierten, 1914 eröffneten Theatergebäudes. Er würdigte die prägenden Regisseure Max Reinhardt, Erwin Piscator und Benno Besson. Schon die hatten Stile gemischt, Romane adaptiert, Film genutzt. Castorf trieb den Mix weiter in die Dekonstruktion. Er perfektionierte den Einsatz von Video, ließ Versatzstücke aus klassischen Vorlagen und raue Wirklichkeit aufeinander prallen. "Theaterzertrümmer" schimpften ihn die Traditionalisten. Junge Leute pilgerten in die Volksbühne wie zu einer Party. Erst war Castorf Underground, dann Pop. Schauspieler wie Henry Hübchen, Kathrin Angerer, Milan Peschel, Silvia Rieger, Martin Wuttke, Sophie Rois erlangten Kultstatus.

Auf der Bühne geraucht und getrunken

In den frühen Jahren seiner Intendanz sorgte Frank Castorf mit Aufführungen wie "Pension Schöller/Die Schlacht", "Die Nibelungen – Born Bad" für Furore. "Wir denken ähnlich wie Heiner Müller, dass man mit Kunst operativ sein kann, eingreifen, verändern, verstören, die deutsche Seelenlandschaft durcheinander bringen durch den Spaß des Widerspruchs", erklärte er. "Des Teufels General", das war bei ihm Corinna Harfouch. Für seinen inzwischen längst zu Fernsehen und Film abgewanderten Lieblingsschauspieler Henry Hübchen baute er unvergessliche halsbrecherische Slapsticks ein.

Umstritten: der künftige Volksbühnen-Chef Chris DerconBild: picture alliance/dpa/J. Carstensen

Auf der Bühne wurde geraucht, getrunken, gekocht und eimerweise Kartoffelsalat verteilt. Der anarchische Furor wurde ergänzt durch die Einbindung des Regisseurs Christoph Marthaler, dessen DDR-Abgesang "Murx den Europäer" Maßstäbe setze. Der Konzeptkünstler Christoph Schlingensief zelebrierte seine Polit-Spektakel "100 Jahre CDU", "Attta. Atta – Die Kunst ist ausgebrochen" und "Kunst und Gemüse". Castorf sah die Volksbühne als letzten Verteidigungsposten in der von Waren überfluteten westlichen Konsumgesellschaft.

Kulturkampf um das Erbe

Inzwischen rebellieren Programmacher und Publikum gegen Castorfs designierten Nachfolger, den Museumsmann Chris Dercon. Manche fürchten den "Tod des politischen Ensembletheaters", andere warnen vor einer "dem globalen Kultur-Jetset verpflichtete Eventbude". Um die Zukunft der Volksbühne tobt ein Kulturkampf. Der leuchtende Schriftzug "OST" auf dem Dach wurde bereits entfernt. Castorf selbst aber hat sich in den Erbstreit nicht eingemischt. Er inszeniert demnächst als Gastregisseur am Berliner Ensemble. An der Volksbühne ist die Ära Castorf zu Ende.

 

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