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Gesellschaft

Beschütztes Fixen

Malte Rohwer-Kahlmann Washington
26. Oktober 2017

Präsident Trump will Stellung zur Drogenpolitik nehmen. In den USA sterben jährlich zehntausende Menschen an einer Überdosis. Wäre das anders, wenn sie unter Aufsicht fixen könnten? Von Malte Rohwer-Kahlmann, Washington.

Ein Drogenabhängiger bereitet in der "Safe Injection Clinic" in Vancouver eine Heroins-Spritze vor
Bild: picture alliance/AP Photo/The Canadian Press/D. Dyck

"Bitte Ruhe - Familienzimmer", stand auf dem Schild im Krankenhaus. "Ich wollte dort auf keinen Fall hineingehen, weil ich genau wusste, wozu dieser Raum da ist", erinnert sich Toni Torsch an den 3. Dezember 2010. Letztlich trat sie den Ärzten doch gegenüber, die eine traurige Nachricht hatten: Denn ihr Sohn Daniel war gestorben - an einer Überdosis Heroin.

Er war damals 24 und seit sieben Jahren opioidabhängig. Nach einer Fußballverletzung hatte ein Arzt ihm das Schmerzmittel Oxycodon verschrieben - eigentlich nur für einen Monat. So nahm sein "Pillenproblem", wie er es selber nannte, seinen Anfang. Denn Oxycodon lindert nicht nur Schmerzen, es wirkt auch euphorisierend und kann schnell süchtig machen. Nach der Behandlung nahm Daniel Torsch die Medikamente einfach weiter, kaufte sie illegal auf der Straße oder in der Schule. Später stieg er dann auf Heroin um - das war billiger und einfacher zu bekommen.

"Er hat sich sehr dafür geschämt", sagt seine Mutter. "Er wollte nicht, dass es irgendjemand mitkriegt." Über die Jahre habe er oft versucht, clean zu werden. Aber sein "Biest", wie Toni Torsch die Sucht ihres Sohnes nennt, wurde er nie los.

Ein Weg aus oder in die Sucht?

Geschichten wie die von Daniel Torsch gibt es in den USA mittlerweile zuhauf. Opioide zerstören Familien im ganzen Land, lassen in vielen Städten die Drogenszene wachsen. Im vergangenen Jahr starben laut vorläufigen Zahlen rund 50.000 Menschen an einer Überdosis von Opioiden, wie etwa Heroin oder dem noch stärkeren Fentanyl. Das waren zehn Mal so viele wie noch im Jahr 2000.

Daniel (†) und Toni Torsch: "Er hat sich sehr dafür geschämt"Bild: DCT Foundation

In den Vereinigten Staaten werden nun Wege gesucht, weitere Todesfälle zu verhindern und Abhängigen zu helfen, ihre Sucht zu überwinden. Besonders kontrovers diskutiert wird die Einführung öffentlicher Druckräume.

Dort könnten sich Abhängige anderswo gekaufte, illegale Drogen spritzen - ohne strafrechtliche Konsequenzen wegen Rauschmittelbesitzes zu fürchten. Durch medizinisches Personal, das im Notfall direkt eingreifen kann, sollen Todesfälle verhindert werden.

Kritiker sagen jedoch, dass solche Druckräume den Heroinkonsum legitimieren und sogar fördern könnten. In anderen Ländern, vor allem in Europa, gibt es das Konzept schon seit vielen Jahren. Bereits 1986 wurde in der Schweizer Hauptstadt Bern der weltweit erste Drogenkonsumraum dieser Art eröffnet. In den USA - trotz der vielen Drogentoten - gibt es noch keinen einzigen.

Leben retten und Geld sparen

"Es muss passieren", sagt Toni Torsch und fordert die Einführung von Druckräumen. "Ich möchte Leuten nicht mehr Möglichkeiten geben, Heroin zu nehmen. Ich möchte, dass wir Leben retten." Nachdem ihr Sohn starb, gründete sie eine Stiftung. Die Daniel Carl Torsch Foundation hilft Familien, die im Großraum Baltimore mit Opioiden zu kämpfen haben.

Zwei US-Studien aus der Stadt im Osten der USA kommen zu dem Schluss, dass Druckräume Leben retten und dem Gesundheitswesen Kosten in Millionenhöhe sparen können - weil etwa weniger Notrufe und Krankenhausbesuche notwendig wären.

Die Daten, auf denen die Schätzungen basieren, stammen aus Kanada, konkret aus Vancouver, wo es den bisher einzigen Druckraum in ganz Nordamerika gibt. Seit 2003 wurden dort in der "Safe Injection Clinic" bislang 3,6 Millionen Spritzen gesetzt. Zwar kam es auch hier 6000 Mal vor, dass Süchtige eine Überdosis nahmen. Aber keiner der Drogenabhängigen starb.

Druckraum in Vancouver: Trotz Überdosis keine TodesfälleBild: Getty Images/AFP/L. Vu Th

Trotz der positiven Zahlen: In den USA und besonders in Baltimore, der Heimat der Familie Torsch im US-Bundesstaat Maryland, wird das Thema kontrovers diskutiert. Anfang des Jahres machte ein Abgeordneter dort einen Gesetzesvorschlag, der Drogenkonsumräume legalisiert hätte. Er scheiterte.

Der Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, nannte den Vorschlag damals "absolut verrückt" und "idiotisch". Auf eine Anfrage der DW an sein Büro, was genau Hogan denn gegen Druckräume habe, gab es keine Antwort.

"Kein Allheilmittel"

In anderen Städten wie New York und San Francisco wird das Thema auch diskutiert. In Seattle und im darum liegenden Landkreis King County ist zwar beschlossen, dass zwei Konsumräume eröffnet werden sollen. Bislang ist das jedoch nicht passiert. Mittlerweile haben sich dort einige Städte bereits gewehrt und Druckräume auf ihrem Gebiet verboten.

Eine Kritikergruppe namens I-27 setzt sich dafür ein, die Pläne ganz zu verwerfen und sich auf traditionelle Therapiemethoden zu konzentrieren. Dazu wollten sie einen Volksentscheid abhalten. Eine Richterin hat dies jedoch vergangene Woche untersagt. Doch von ihrem Kampf gegen Druckräume abbringen lassen, wollen sich deren Gegner nicht. "Eine Gesellschaft, die sich wirklich sorgt, würde die Leute doch nicht weiter Drogen nehmen lassen, sondern sagen: 'Lass uns einen Ort finden, wo du Hilfe bekommst'", sagt der I-27-Vorsitzende Joshua Freed.

Doch für Toni Torsch, die Mutter von Drogenopfer Daniel, wäre ein Druckraum genau so ein Ort. "Es ist nicht das Allheilmittel. Aber es ist ein weiterer Ort, eine weitere Chance für Leute mit dieser Krankheit", sagt sie. So will sie andere Familien vor dem Schmerz bewahren, mit dem sie jeden Tag leben muss.

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