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Politik

Erdogan: Besuch beim Nachbarn

7. Dezember 2017

Ein historisches Ereignis: Zum ersten Mal seit 65 Jahren kommt ein türkischer Präsident nach Griechenland. Im Mittelpunkt des Besuchs von Recep Tayyip Erdogan in Athen stehen Wirtschaftsfragen und die Flüchtlingskrise.

Türkei Ankara - Erdogan hält Rede
Bild: picture-alliance/AA/Turkish Presidency/Handout/Y. Bulbul

Erdogan war zuletzt 2010 in Griechenland, damals noch als Ministerpräsident. Nun kommt er wieder - zum ersten Staatsbesuch eines türkischen Präsidenten im Nachbarland seit 65 Jahren. Dieser Umstand lässt Grosses erwarten - doch die Erwartungen vor Ort sind bescheiden, meint Konstantinos Filis, Forschungsdirektor am Athener Institut für Internationale Beziehungen. "Wirtschafts- und Sicherheitsfragen stehen bei diesem Besuch im Mittelpunkt. Umstrittene Themen werden wohl ausgeblendet", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit der DW.

Beispiel Zypernfrage: Im November 2016 scheiterten unter UN-Schirmherrschaft die Gespräche über eine Wiedervereinigung der Insel; griechische und türkische Zyprioten weisen sich gegenseitig dafür die Schuld zu. Eine Wiederaufnahme der Verhandlungen ist derzeit nicht in Sicht, zumal die Republik Zypern im nächsten Jahr einen neuen Präsidenten wählt.

Umso eifriger wollten sich Griechenland und die Türkei um die Verbesserungen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen kümmern, glaubt Filis. Schon heute laufe der Tourismus aus der Türkei in Richtung Griechenland auf Hochtouren. "Im Gespräch sind nun eine Bahnverbindung von Istanbul nach Thessaloniki sowie eine Fährenverbindung zwischen Izmir und Thessaloniki", erklärt der Athener Analyst.

Ein ungelöstes Problem: Die Teilung ZypernsBild: picture-alliance/AP Photo/P. Karadjias

Auch der  in Istanbul ansässige Journalist und Politikwissenschaftler Nikolaos Stelyas sieht großes Potential in der bilateralen Zusammenarbeit. Der Erdogan-Besuch sei für beide Seiten nötig, sagt Stelyas der DW. Griechenland habe Sorgen mit der Wirtschaftskrise und den andauernden Sparmaßnahmen und sei zudem auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern in der Außenpolitik: "Es liegt im beiderseitigen Interesse, dass Griechenland und die Türkei weiterhin zueinander finden,"

Spannungsfeld Flüchtlingspolitik

Auch über die Flüchtlingsströme in Richtung Europa soll Erdogan mit seinen griechischen Gastgebern beraten. Offiziell zeigt sich Athen zufrieden mit dem im März 2016 getroffenen EU-Türkei-Abkommen. Dort ist unter anderem vorgesehen, dass die Türkei alle Flüchtlinge zurücknimmt, die von ihrem Gebiet aus illegal auf die östlichen Ägäis-Inseln gelangen. Aus griechischer Sicht funktioniert die Abmachung, da seit 2016 die Zahl der Neuankömmlinge deutlich geringer ausfällt. Für Unmut sorgt allerdings die Tatsache, dass die Türkei bisher nur etwa 1400 Menschen zurücknehmen konnte oder wollte.

Aufmerksam werden zudem die leicht steigenden Flüchtlingszahlen in den vergangenen Monaten beobachtet. Allerdings sollte man nicht so weit gehen zu behaupten, dass der Deal mit der Türkei nicht mehr funktioniert, sagt Filis. "1500 oder 2000 Neuankömmlinge im Monat - diese Zahlen wurden im letzten Sommer tatsächlich registriert - bedeuten einen deutlichen Zuwachs. Aber man darf auch nicht vergessen, dass im Sommer 2015 jeden Monat Hunderttausende Menschen über die Türkei auf die griechischen Inseln gekommen waren, das war doch eine ganz andere Dimension", meint der Analyst.

Jedenfalls drängt Athen auf die Einhaltung des EU-Türkei-Abkommens. Alles andere brächte eine "Wiederholung des dramatischen Sommers von 2015" mit sich, schreibt die auflagenstärkste Athener Zeitung Ta Nea anlässlich des Erdogan-Besuchs. Dass die Türkei ihre früheren Drohungen in Richtung Europa wahrmacht und den Flüchtlingsdeal aufkündigt, glaubt der Politikexperte nicht. Allerdings geht er davon aus, dass Erdogan von der griechischen Seite eine Gegenleistung verlangen will: "Genauso, wie er die Grenze für Menschenschmuggler dicht gemacht hat, fordert er offenbar nun, dass Griechenland seinerseits die Grenze für türkische Bürger schließt, die nach dem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 ins Nachbarland fliehen und dort Asyl beantragen", meint Filis. 

Der Flüchtlingsdeal mit der EU hält immer noch: Flüchtlingslager in der türkischen Stadt KilisBild: picture alliance/dpa/MOKU/Uygar Onder Simsek

Das schwierige Verhältnis zur EU  

Nach Polen ist Griechenland erst das zweite EU-Land, das Erdogan nach dem gescheiterten Putsch besucht. Politikwissenschaftler Filis gibt zu bedenken, dass die Gastgeber in eine schwierige Lage kämen, sollte Erdogan seine Athener Bühne nutzen, um eine Brandrede gegen Europa zu halten. Doch er geht davon aus, dass der türkische Präsident die Tür zu Europa nicht wirklich zuschlagen will. Der griechisch-türkische Journalist Nikolaos Stelyas erinnert daran, dass Griechenland seit den neunziger Jahren den EU-Beitritt der Türkei ausdrücklich befürwortet - trotz Probleme in den bilateralen Beziehungen. Allerdings entscheide Griechenland nicht über den Gang der Verhandlungen.

Dass Erdogan seine griechischen Gastgeber um Vermittlung mit Brüssel bittet, hält Filis für unwahrscheinlich: "Trotz Verbalausfälle und Auseinandersetzungen ist Erdogan immer noch in der Lage, mit allen Staats- und Regierungschefs allein zu sprechen, da braucht er wohl keinen Vermittler oder Brückenbauer", sagt der Politikexperte.

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