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Gesellschaft

Einfach nur unmenschlich

10. April 2020

Das Besuchsverbot in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist an menschlicher Härte kaum zu überbieten. Die Isolierung von alten und kranken Menschen muss vor dem Sterbebett halt machen, meint Astrid Prange.

Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Wer hält die Hände? Wer küsst Wangen und Stirn? Wer spricht die letzten tröstenden Worte? Wer schließt die Augenlider? In Corona-Zeiten sind diese Fragen nicht mehr einfach zu beantworten. Viele Sterbende müssen den letzten Weg alleine gehen. Ohne Familie und Freunde, ohne Zuneigung und Zärtlichkeit. Sie scheiden aus dem Leben, ohne sich zu verabschieden.

Das einsame Sterben ist eine der Folgen des Besuchsverbots in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, das in den meisten von der Corona-Epidemie betroffenen Ländern verhängt wurde. Es ist an menschlicher Härte kaum zu überbieten. Es nimmt Kranken und insbesondere Sterbenden die letzte Lebensfreude. Den letzten Lebenswillen. Die letzten Sehnsüchte.

Noch einmal die Tochter oder den Sohn sehen? Noch einmal das Enkelkind drücken? Noch einmal die Hand des Partners halten und seinen liebenden Blick spüren? Noch einmal dem besten Freund neben sich wissen? Ist es nicht das, wofür viele Patienten all die Schmerzen und Behandlungen auf sich genommen haben?

Schmerzhafte Schuldgefühle

Auch für die Angehörigen ist der verbotene Abschied eine Qual. Sie waren nicht da, als der geliebte Mensch auf sie wartete. Sie konnten nicht ihre Gefühle und Zuneigung zeigen, für ein gemeinsames Leben danken, weder Trost spenden noch empfangen. Schmerzhafte Schuldgefühle, die viele sicherlich ihr restliches Leben lang begleiten werden.

So wichtig und richtig das Besuchsverbot aus epidemiologischer und gesundheitspolitischer Sicht auch sein mag: Von dem Besuchsverbot geht mitten in der Coronakrise, die ohne Menschlichkeit nicht zu bewältigen ist, ein Zeichen der Unmenschlichkeit aus.

Isolation stoppen

DW-Autorin Astrid Prange Bild: DW/P. Böll

Die Isolierung von alten und kranken Menschen muss vor dem Sterbebett halt machen. Es geht darum, einen Kompromiss zu finden zwischen beiden berechtigten Anforderungen: Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus und Schutz vor dem Tod in sozialer Isolation.

Immerhin: In Deutschland versuchen viele Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser mit Ausnahmeregelungen auf diese menschlichen Notlagen zu reagieren und Sterbenden einen Abschied von ihren Angehörigen zu ermöglichen. Doch bei der Umsetzung hapert es vielerorts. Und schwer erkrankte COVID-19-Patienten dürfen generell keinen Besuch mehr empfangen. 

Auch wenn das Virus schwer unter Kontrolle zu bekommen ist: Ein menschenwürdiger Abschied sollte auch in Corona-Zeiten möglich sein. Vielleicht sind in Zukunft Schnelltests für Besucher möglich? Vielleicht gibt es künftig mehr Schutzkleidung und Masken, auch für Angehörige, die sich von ihren Lieben verabschieden wollen?

Ich verneige mich vor allen Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern, Pfarrerinnen und Pfarrern, Bestattern und Trauerrednern, und vor allen betroffenen Familien, die jeden Tag aufs Neue versuchen, mitten in der Corona-Krise Menschlichkeit walten zu lassen und dafür unvorstellbare Belastungen ertragen.

Sie durchschreiten die Via Dolorosa, der alle Christen aus Angst vor Ansteckungsgefahr an diesen Ostern fernbleiben. Sie zeigen, dass Menschlichkeit manchmal auch über Verboten steht. Und das Leben Wiederauferstehung feiern kann.