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PolitikUkraine

Echte Korruptionsbekämpfung oder alles nur Show?

3. Februar 2023

Der Februar begann in der Ukraine mit vielen Durchsuchungen bei Politikern, Staatsdienern und Oligarchen. Manche wurden entlassen, andere stehen nun unter Korruptionsverdacht. Welches Ziel verfolgt die Führung in Kiew?

Ukrainische Hrywnja-Banknoten
Ukrainische Hrywnja-Scheine: Milliardenverluste durch KorruptionBild: Mykhailo Polenok/PantherMedia

Die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden haben ihre Aktivitäten gegen Korruption merklich intensiviert. Anfang Februar gab es aufsehenerregende Durchsuchungen und Entlassungen.

So teilt der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) mit, er habe das Haus des ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj durchsucht, in Zusammenhang mit der Unterschlagung von 40 Milliarden Hrywnja (heute umgerechnet rund 980 Millionen Euro) durch das ehemalige Management des größten ukrainischen Öl- und Gasförderers Ukrnafta und des Pipelinebetreiber Ukrtransnafta. An den beiden halbstaatlichen Gesellschaften hielt Kolomojskyj Anteile, die im vergangenen November unter Kriegsrecht verstaatlicht wurden.

Ihor Kolomojskyj zählt zu den reichsten und mächtigsten Oligarchen in der UkraineBild: Photoshot/picture alliance

Außerdem meldete das Staatliche Ermittlungsbüro (DBR), ein ehemaliger Minister für Energie und Kohleindustrie stehe unter Verdacht. Ihm wird vorgeworfen, Verträge zugunsten von Unternehmen abgeschlossen zu haben, die mit dem seit Jahren in Österreich lebenden Oligarchen Dmytro Firtasch in Verbindung stehen. Dadurch sollen dem Staat Verluste in Höhe von 1,5 Milliarden Hrywnja (heute rund 35 Millionen Euro) entstanden sein. Laut ukrainischen Medien soll es sich um Ihor Nasalyk handeln.

Darüber hinaus führten SBU und DBR Durchsuchungen beim ehemaligen Innenminister Arsen Awakow durch. Wie er selbst berichtete, sei die Maßnahme im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Ursache des Hubschrauberabsturzes in Browary bei Kiew durchgeführt worden, bei dem Mitte Januar die Führung des Innenministeriums ums Leben kam. Die Ermittler hätten sich vor allem für die Verträge zum Kauf von Airbus-Helikoptern des Typs H225 durch das  Innenministerium interessiert.

Einsatzkräfte des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU)Bild: Maxym Marusenko/NurPhoto/picture allianc

Meldungen zufolge gab es auch Durchsuchungen bei Vertretern von Kiewer Bauunternehmen, die von einem Abgeordneten des ukrainischen Parlaments von der inzwischen verbotenen pro-russischen Partei "Oppositionsplattform - Für das Leben" kontrolliert werden. Gleichzeitig führte das DBR Durchsuchungen bei der Leitung des Finanzamtes der Hauptstadt durch. Die Beamten erklärten, sie hätten dort Machenschaften in Millionenhöhe aufgedeckt.

Verteidigungsministerium, Zoll und weitere Behörden im Visier

Durchsuchungen gab es ferner bei ehemaligen Beamten des Verteidigungsministeriums. Die Generalstaatsanwaltschaft teilte zudem mit, dass ein Abteilungsleiter des Ministeriums der Unterschlagung besonders großer Geldbeträge und Fälschung verdächtigt wird.

Unter Verdacht steht auch ein ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister. Er soll die Arbeit der ukrainischen Streitkräfte und anderer Militärverbände in besonders schwieriger Zeit behindert haben. Den Ermittlungen zufolge soll sich der Verdächtige für den Abschluss von Verträgen eingesetzt haben, die die Lieferung von Lebensmitteln für das Militär zu überhöhten Preisen und den Kauf von kugelsicheren Westen, Helmen, Bekleidung und anderen Artikeln von geringer Qualität beinhalten.

Während die Ermittler Durchsuchungen durchführten, entließ die Regierung fast die gesamte Führung des ukrainischen Zolls und eine Reihe anderer Behörden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte in einer Ansprache, dass er mit der Arbeit der Ermittler zufrieden sei. "Leider kann man in einigen Bereichen Rechtmäßigkeit nur garantieren, wenn man die Führung gleichzeitig mit der Umsetzung institutioneller Veränderungen auswechselt", betonte das Staatsoberhaupt.

Realer Angriff auf die Korruption?

Wolodymyr Fesenko, Politikwissenschaftler und Leiter des "Penta"-Zentrums für politische Forschung, glaubt, dass das Präsidialamt mit dem demonstrativen Kampf gegen die Korruption zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Wolodymyr Selenskyj in KiewBild: Efrem Lukatsky/AP/picture alliance

"Das war eine groß angelegte Demonstration des Kampfes gegen die Korruption. Das war im Vorfeld des Ukraine-EU-Gipfels am 3. Februar in Kiew kein Zufall. Sichtbare Ergebnisse der Korruptionsbekämpfung sind eines der Kriterien für die Bewertung der europäischen Integration der Ukraine", sagt Fesenko. Er meint, dass der Präsident mit diesen Maßnahmen zugleich dem in der Öffentlichkeit verbreiteten Wunsch nach Bestrafung korrupter Spitzenbeamten entgegenkommt.

Wer führte die Durchsuchungen durch?

Fesenko rät, genau darauf zu schauen, welche Strukturen die Durchsuchungen durchgeführt haben: der Sicherheitsdienst der Ukraine, das Staatliche Ermittlungsbüro sowie das Büro für wirtschaftliche Sicherheit, das unter der Aufsicht der Generalstaatsanwaltschaft steht. "Das sind die Strukturen, die aktiv mit dem Präsidialamt zusammenarbeiten, obwohl das Nationale Anti-Korruptions-Büro (NABU) und die Spezialisierte Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft (SAP), die unabhängiger sind, in Sachen Korruption aktiv sein müssten", so der Experte.

Auch der Leiter der Anti-Korruptions-Organisation StateWatch, Oleksandr Lemenow, ist der Meinung, dass die Durchsuchungen demonstrieren sollen, dass in der Ukraine Korruption bekämpft wird. Es handele sich jedoch nicht wirklich um Fälle, die letztendlich zu Schuldsprüchen führen würden.

Vortäuschte Korruptionsbekämpfung?

Mykola Hawronjuk vom ukrainischen "Zentrum für politische und rechtliche Reformen" glaubt, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn Durchsuchungen durchgeführt und Personen unter Verdacht gestellt werden. "Um effektiv untersuchen zu können, müssen die Ermittler lange Zeit Beweise für illegale Aktivitäten sammeln und alles dokumentieren. Es ist unmöglich, all dies für einen bestimmten Tag zu bestellen, zum Beispiel im Vorfeld eines Gipfeltreffens", betont der Experte für Antikorruptionspolitik.

Da derzeit das Überleben der Ukraine im Krieg mit Russland auf dem Spiel steht, wäre es nach Ansicht von Hawronjuk ein unkluger und gefährlicher Schritt der politischen Führung des Landes, das Vertrauen der internationalen Partner mit einer vorgetäuschten Korruptionsbekämpfung zu untergraben. Der Experte hofft, dass Präsident Wolodymyr Selensky so etwas gar nicht erst riskiert.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

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