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Betrug im Team Norwegens schockt nordischen Skisport

Veröffentlicht 11. März 2025Zuletzt aktualisiert 13. März 2025

Die nordische Ski-WM in Trondheim ist vorbei, doch die Diskussionen gehen weiter. Der Skandal um manipulierte Skisprung-Anzüge im Team Norwegens sorgt für Empörung.

Der Norweger Marius Lindvik während seines Sprungs von der Großschanze bei der WM in Trondheim
Der Norweger Marius Lindvik trug beim WM-Skispringen von der Großschanze einen manipulierten AnzugBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Was genau ist passiert?

Es ist einer der bisher größten Skandale im Wintersport. Auslöser ist ein Video, das am vergangenen Freitag (7. März 2025), am Vortag des WM-Skispringens von der Großschanze, in Trondheim in Norwegen anonym gedreht und den Medien zugespielt wurde. Darin ist ein Hotelraum von außen zu sehen, dessen Fenster mit schwarzem Stoff verhüllt sind. Durch einen Schlitz erkennt man jedoch, wie im Beisein des norwegischen Cheftrainers Magnus Brevig Skisprung-Anzüge mit einer Nähmaschine bearbeitet werden.

Nach dem Springen am Samstag disqualifizierte der Ski-Weltverband FIS Silbermedaillengewinner Marius Lindvik und den Fünftplazierten Johann André Forfang, beide aus Norwegen. Nach anfänglichem Leugnen räumte ihr Team schließlich ein, dass es sich bei der gefilmten Aktion um einen regelwidrigen Vorgang gehandelt habe. "Wir haben die Anzüge so manipuliert oder verändert, dass sie gegen die Vorschriften verstoßen. Es ist eine vorsätzliche Handlung, und folglich ist es Betrug", sagte Trainer Brevig.

Der norwegische Skiverband suspendierte neben dem Nationalcoach auch den Cheftechniker Adrian Livelten. Beide entschuldigten sich für ihr Verhalten. Die Skispringer Lindvik und Forfang erklärten, sie hätten nicht gewusst, dass ihre Anzüge manipuliert worden seien.

Welchen Vorteil haben sich die Norweger verschafft?

"Bisher scheint geklärt zu sein, dass Brevik und Livelten am Freitagabend beschlossen, einen zusätzlichen - und steiferen - Faden in die Sprunganzüge von Forfang und Lindvik zu nähen", ließ der norwegische Verband am Montag (10. März) verlauten. Die versteiften Nähte im Anzug sorgen dafür, dass die Skispringer während des Sprungs mehr Stabilität haben und deshalb ruhiger und am Ende möglicherweise auch weiter fliegen. 

Norwegens Cheftrainer Magnus Brevig räumt die Manipulation der Sprunganzüge einBild: Ulrich Wagner/picture alliance

Seit Jahren gibt es immer wieder heftige Diskussionen um die Anzüge im Skispringen. So wurden bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking beim Mixed-Teamwettbewerb gleich fünf Springerinnen wegen angeblich irregulärer Anzüge disqualifiziert, darunter auch die Deutsche Katharina Althaus. Dadurch verpasste die deutsche Mannschaft, die zu den Topfavoriten gehört hatte, eine Medaille.

Kleine Änderungen an den Anzügen könnten eine große Wirkung haben, erklärte Sören Müller vom Institut für angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: "Zwei Zentimeter mehr beim Umfang des Anzugs können drei bis vier Meter mehr Weite bei einem Skisprung ergeben."

Hätten die Manipulationen nicht auffallen müssen?

In den Regeln des Ski-Weltverbands FIS gibt es detaillierte Vorgaben für die Sprunganzüge hinsichtlich des Materials, der Luftdurchlässigkeit, der Größe, der Stoffdicke sowie dafür, wie dicht der Anzug am Körper anliegen muss. Selbst für die Unterwäsche unter dem Anzug gibt es genaue Vorschriften. Bei Verstößen droht eine Disqualifikation.

FIS-Experten kontrollieren jeden Anzug. Ist er zugelassen, bringen die Kontrolleure an sieben Stellen flache elektronische Chips an, auf denen der Name des Springers und die Nummer des Anzugs gespeichert sind. Damit soll verhindert werden, dass Skispringer Anzüge tauschen oder dass einzelne Teile ersetzt werden. In dem Skandal-Video ist auf dem manipulierten Anzug ein solcher Chip zu sehen, um den jedoch einfach herum geschnitten wurde.

Wie ist das Echo auf den Betrugsskandal?

Die Reaktionen im nordischen Skisport erinnern an die Fassungslosigkeit im Radsport nach den großen Dopingskandalen 1998 und 2006 bei der Tour de France. Der norwegische Rundfunksender NRK brachte es auf den Punkt: "Das ist Doping, nur mit einer anderen Art Nadel."

Die deutsche Skisprung-Legende Sven Hannawald macht sich sogar Sorgen um die Sportart. "In meinem schlimmsten Alptraum hätte ich nicht gedacht, dass es so weit kommt", sagte der früher Olympiasieger, Weltmeister und Sieger der Vierschanzentournee. "Ich hoffe, dass alle Entscheidungsträger endlich aufwachen und sich ein rigoroses Reglement überlegen. Ansonsten kann man Skispringen in zwei Jahren beerdigen." Zahlreiche nationale Verbände, darunter auch der Deutsche Skiverband, forderten, den Skandal lückenlos aufzuklären.

Möglicherweise ist er auch nur die Spitze eines Eisbergs. Mehrere Medien berichteten, dass nicht nur der Anzug des norwegischen Starspringers Lindvik, sondern auch seine Skibindung manipuliert worden sein könnte. Ein Foto, angeblich aufgenommen am Tag des WM-Erfolgs Lindviks auf der Normalschanze, soll zeigen, dass die Bindung an einer Seite abgeschliffen war. Das macht den Ski leichter und verschafft dem Springer einen Vorteil. Bei der WM in Trondheim war der norwegische Kombinierer Jörgen Graabak disqualifiziert worden - wegen einer manipulierten Bindung an seinem Sprungski.

Wie geht es jetzt weiter? 

Die FIS hat die Springer Lindvik und Forfang sowie drei norwegische Funktionäre, darunter Cheftrainer Brevig, vorläufig suspendiert und eine gründliche Untersuchung des Skandals angekündigt. Die Verbände aus Österreich, Slowenien und Polen forderten, alle norwegischen WM-Ergebnisse im Skispringen und in der Nordischen Kombination zu annullieren. In diesem Fall könnte der deutsche Skispringer Andreas Wellinger am grünen Tisch Weltmeister werden. Auf der Normalschanze hatte der zweimalige Olympiasieger hinter Lindvik Silber gewonnen.

Andreas Wellinger (l.) gewann hinter dem Norweger Marius Lindvik und vor dem Österreicher Jan Hörl (r.) WM-Silber von der NormalschanzeBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Für die verbleibenden Weltcup-Wettkämpfe verkündete die FIS neue Regeln. Ab sofort dürfen die Athleten bis zum Ende der Saison nur noch mit einem Sprunganzug antreten. Dabei muss es sich um einen Anzug handeln, der in diesem Winter bereits mit einem Identifikations-Chip ausgestattet wurde. Ein zweiter Anzug kann als Backup zur Verfügung stehen, falls der erste kaputtgeht. Bislang hatten die Springern acht Anzüge pro Saison nutzen dürfen. Bis zum Saisonende wird die FIS den Anzug erst eine halbe Stunde vor dem Wettkampf ausgegeben und ihn unmittelbar nach dem Springen wieder einziehen. 

Der Chef der FIS-Materialkommission, Andreas Bauer, forderte zudem als Konsequenz aus dem Skandal neue Kontrollmethoden. "Wir müssen jetzt so schnell wie möglich auf die moderne Technik umsteigen und wie am Flughafen 3D-Scanner nutzen", sagte Bauer. "Bisher wird alles händisch überprüft, menschliche Mess-Ungenauigkeiten sind nicht auszuschließen."

Am Donnerstag (13. März) suspendierte die FIS drei weitere norwegische Skispringer: den früheren Skiflug-Weltrekordler Robert Johansson, den Weltcup-Siebten Kristoffer Eriksen Sundal und Robin Pedersen. "Wir haben etwas anderes gefunden, nicht das gleiche wie bei den Fällen zuvor", sagte FIS-Renndirektor Sandro Pertile.

Der Artikel wurde nach der Suspendierung der norwegischen Skispringer und Funktionäre durch die FIS aktualisiert.