2016 beendete Betty Heidler die Karriere. Im Mai erhielt sie nachträglich Olympia-Silber, weil die Siegerin von 2012 des Dopings überführt worden war. Die ehemalige Hammerwerferin im DW-Exklusiv-Interview.
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Deutsche Welle: Die Leichtathletik ist das Herzstück der Olympischen Spiele. Wie hat sie ihr Leben geprägt?
Betty Heidler: 18 Jahre war ich aktive Leichtathletin. Diese Zeit hat mich sehr verändert. Ich war ein schüchternes Kind. Ich wurde wegen meiner roten Haare oft gehänselt. Der Sport hat mich selbstbewusster gemacht. Ich habe gelernt, Stärken auszubauen und Schwächen zu bekämpfen, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Das hilft mir auch heute noch. Ich habe während meiner sportlichen Laufbahn eine Ausbildung bei der Bundespolizei zur Polizeivollzugsbeamtin gemacht. Jetzt studiere ich Jura, schreibe im nächsten Jahr mein erstes Staatsexamen. Ich strebe danach eine Funktion im höheren Polizeidienst an.
Der Saisonhöhepunkt, die WM in Doha, findet recht spät im Jahr statt. Ungewöhnliche Wettkämpfe werden es auch wegen der großen Hitze von 40 Grad und mehr. Das Stadion wird extra auf 28 Grad heruntergekühlt. Wie blicken Sie auf diese Wettbewerbe?
Ich bin neugierig, wie die Athleten ihre Leistung abrufen können. Durch das extreme Klima und die Wettkampfzeiten wird es nach meiner Überzeugung einige überraschende Sieger geben. Es werden Sportler gewinnen, die sich am besten auf die Bedingungen einstellen können. Den späten Zeitpunkt finde ich schon problematisch, weil im nächsten Jahr die Olympischen Spiele in Tokio schon im Juli stattfinden. Wäre ich noch aktiv, hätte ich sehr gründlich überlegt, ob ich in Doha starte oder ob das meinen langfristigen Wettkampfrhythmus zu stark durcheinander gebracht hätte.
Ständiger Begleiter großer Leichtathletik-Wettbewerbe ist die Frage, ob alle Leistungen sauber zustande gekommen sind. Sie waren selbst Doping-Leidtragende. Nach sieben Jahren erhielten Sie im Mai die Silbermedaille der Olympischen Spiele von 2012. Mit welchen Gefühlen haben sie die Medaille entgegengenommen?
Einerseits mit Freude und Genugtuung, andererseits aber auch mit Wut. Ich hatte schon 2016 erfahren, dass die Russin Tatjana Lyssenko positiv getestet worden war. Es war für mich keine Überraschung. Sie war ja zuvor schon mal erwischt worden. Ich stand ja 2012 als Dritte wenigstens auf dem Treppchen, erlebte die Siegerehrung. Im Gegensatz zur damaligen Vierten und jetzigen Bronze-Gewinnerin aus China. Aber der Wettkampf hätte anders laufen können. Vielleicht hätte ich eine Siegchance gehabt. Um diese Chance bin ich betrogen worden.
Auch vor der WM jetzt ist die Dopingfrage wieder aktuell. Russlands Athleten bleiben ausgeschlossen, nur einzelne Athleten dürfen starten. Der US-Amerikaner Colemann darf in Doha antreten, trotz drei verpasster Doping-Kontrollen. Wird unterschiedlich sanktioniert?
Wir deutschen Athleten haben schon in der Vergangenheit kritisiert, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Das Problem muss durch die IAAF und den wiedergewählten Präsidenten Sebastian Coe endlich angegangen werden. Ich finde es generell schade, dass bei der Leichtathletik immer der Dopinggedanke hinterlegt ist. Das ist schade für die Athleten, deren Leistung auf ehrliche Art zustande gekommen ist.
Wie sind Sie damit umgegangen, in einem Wettbewerb mit Konkurrentinnen zu stehen, die ihre Leistung möglicherweise unsauberen Mitteln verdanken?
Das war für mich und ist auch für die Athleten heute nicht leicht. Es war immer die Frage: Gebe ich denen die Hand, zeige ich mich mit ihnen? Man muss ja wissen, dass wir sauberen Athleten einen höheren Aufwand betreiben müssen, um die Vorteile auszugleichen, die andere sich durch unerlaubte Mittel verschaffen. Intensiveres Training birgt aber auch ein höheres Verletzungsrisiko. Zu wissen, dass es schwarze Schafe gibt, war für mich jedoch nie ein Grund, mit dem Leistungssport aufzuhören.
Was erwarten Sie von den deutschen Startern bei der WM in Doha?
Ich bin mir sicher es wird die eine oder andere Medaille geben. Wir haben in der Nationalmannschaft immer Sportler, die herausragende Leistungen bringen. In diesem Jahr zum Beispiel die Weitspringerin Maleika Mihambo oder unsere Speerwerfer. Ich sehe aber auch, dass wir in einigen Disziplinen Nachwuchs-Probleme haben. Grundsätzlich bin ich jedoch optimistisch, dass deutsche Leichtathleten auch weiter international eine Rolle spielen werden.
Betty Heidler ist die erfolgreichste deutsche Hammerwerferin. 1998 begann sie ihre Karriere mit dem vier Kilogramm schweren Wurfgerät. 2003 nahm sie in Paris zum ersten Mal an einer Weltmeisterschaft teil. Vier Jahre später gewann sie in Osaka/Japan WM-Gold, bei den folgenden Titelkämpfen 2009 und 2011 jeweils Silber. Drei Jahre (von 2011 bis 2014) hielt Betty Heidler den Weltrekord. Die 79,42 m sind noch heute deutscher Rekord. Ihre wertvollste Medaille (Olympia-Silber) erhielt die gebürtige Berlinerin erst in diesem Jahr. Das Ergebnis der Spiele von 2012 wurde korrigiert, weil eine Athletin wegen Dopings nachträglich disqualifiziert worden war.
Das Interview führte Herbert Schalling
Große Hitze und neugierige Kameras - die Probleme der Leichtathletik-WM
Athleten und Mediziner hatten es schon vor der Leichtathletik-WM in Katar befürchtet: Die große Hitze macht den Sportlern zu schaffen, die Kritik ist laut, die Ränge dagegen leer - und auch sonst stimmt einiges nicht.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Weiken
Wettkämpfe im Backofen von Doha
Doha im September: Temperaturen von über 40 Grad Celsius sind normal. Selbst nachts bleibt das Thermometer meist bei über 30 Grad stehen, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 73 Prozent. Die Athleten behelfen sich mit Kühlwesten und elektrischen Pillen. Dass die extremen Wetterbedingungen eine große Herausforderung darstellen, war bereits im Vorfeld klar. Aber dass es so extrem wird, wohl nicht...
Bild: picture-alliance/Newscom/J. Mochizuki
Runtergekühltes Stadion
Das Khalifa-Stadion von Doha wird während der WM dank aufwendiger Klimatisierung zwar auf angenehme 25 Grad heruntergekühlt, doch löst auch das nicht alle Probleme. Im Gegenteil: Die extremen Temperaturunterschiede zwischen Stadion-Innerem und Umgebung sind für die Athleten eher eine zusätzliche Belastung. Außerdem finden natürlich nicht alle Wettbewerbe im "Stadion-Kühlschrank" statt.
Bild: picture-alliance/L. Perenyi
Kollaps im 5.000-Meter-Rennen
Zwar finden die 5.000-Meter-Läufe im Innenraum des Khalifa-Stadions statt, doch für Läufer Jonathan Busby sind die extremen klimatischen Bedingungen und der Wechsel zwischen drückender, feuchter Hitze und dem runtergekühlten Stadion mit seiner geringen Luftfeuchtigkeit offenbar zuviel. Zuerst taumelt der Mann aus Aruba, dann fällt er völlig entkräftet auf die Bahn.
Bild: picture-alliance/Photoshot/J. Yuchen
Gemeinsam über die Ziellinie
Braima Suncar Dabo aus Guinea-Bissau zeigt sich als großer Sportsmann und stützt Busby auf den letzten 200 Metern. Die Ziellinie überqueren beide unter dem Jubel der Zuschauer gemeinsam - ein Moment, der die Herzen der Sportfans bei der wohl umstrittensten WM der Geschichte höher schlagen lässt. Das Happy End bleibt aber aus: Busby wird nachträglich wegen "unerlaubter Hilfe" disqualifiziert.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Weiken
Schwere Vorwürfe von Athleten
Nicht alle Athleten sorgen für positive Bilder und Schlagzeilen. Geher Yohann Diniz - Weltmeister von 2017 - findet nach dem Wettbewerb über 50 Kilometer Gehen, den er nach 20 Minuten abgebrochen hatte, deutliche Worte: "Da draußen haben sie uns in einen Backofen geschoben. Sie haben aus uns Meerschweinchen gemacht, Versuchstiere", so der Franzose in Richtung der Verantwortlichen.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner
Qualen beim Frauen-Marathon
"Es war schrecklich. Ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt", sagte die Italienerin Sara Dossena, die nach einem Viertel der Marathon-Distanz abbrechen musste. "Es war beängstigend, einschüchternd und entmutigend", bilanzierte die Kanadierin Lyndsay Tessier nach dem denkwürdigen Rennen in der Hitze von Doha, das nur 40 der 68 gestarteten Athletinnen beenden konnten.
Bild: Getty Images/QTA/M. Steele
Alina Reh klappt zusammen
Für die deutsche Hoffnung im 10.000-Meter-Lauf ist ebenfalls vorzeitig Schluss. Alina Reh krümmt sich mit Bauchschmerzen und beendet das Rennen - allerdings spielt hier die Hitze nicht die entscheidende Rolle. Die 22-Jährige kann später Entwarnung geben: "Mein Bauch ist noch etwas flau, aber sonst geht es mir körperlich gut", sagt die mehrfache Junioren-Europameisterin am Tag danach.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner
"War ziemlich in Panik"
Die Bilder vom Vorabend bleiben ihr aber wohl genauso im Kopf wie den Zuschauern: Nachdem Reh unter Schmerzen zusammengesackt war musste sie im Rollstuhl von der Laufbahn zur Untersuchung gefahren werden. "Ich wurde gleich gut betreut und habe mich gut aufgehoben gefühlt. Vom Kopf her ist es jetzt schwierig, ich brauche noch ein bisschen, um das für mich zu sortieren", sagte Reh im Anschluss.
Bild: picture-alliance/Newscom/U. Pedersen
Ärger um Startblockkameras
Eine technische Neuerung in den Startblöcken soll der Leichtathletik weltweit wieder Auftrieb geben. Um spektakuläre, gut vermarktbare Bilder aus Doha zu produzieren, sind in den Startblöcken Kameras eingebaut, die bislang nicht gekannte Nahaufnahmen der Sportlergesichter liefern. Das stößt allerdings nicht bei allen Athleten auf Gegenliebe.
Bild: Getty Images/C. Petersen
"Sehr unangenehm"
Deutschlands Sprint-Star ist mit der technischen Neuerung nicht einverstanden: "In den knappen Sachen über diese Kamera zu steigen [...] finde ich sehr unangenehm. War an der Entwicklung dieser Kamera eine Frau beteiligt? Ich glaube nicht", sagte Gina Lückenkemper. Teamkollegin Tatjana Pinto ("sehr fragwürdig, die Kamera da zu platzieren") ließ erkennen, dass auch sie kein Fan davon ist.
Bild: picture-alliance/L. Perenyi
Keiner da
Ein zusätzliches Ärgernis sind die leeren Ränge in der Arena von Doha. Da findet Weltklasse-Leichtahtletik statt und keinen interessiert es. Auch Highlights, wie das 100-Meter-Finale der Frauen (Foto), füllen die Ränge nicht. Gina Lückenkemper findet die Stimmung bei ihrer dritten WM daher auch: "Eher mies!"