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Beuys 2021: "Jeder Mensch ein Künstler"

27. März 2021

Im Mai wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Die Kunstsammlung NRW eröffnet den Ausstellungsreigen für den Jahrhundertkünstler.

Hagerer Mann mit Hut hält einen großen Stock in der Hand.
Vor einhundert Jahren wurde Joseph Beuys am 12. Mai 1921 geborenBild: Niklaus Stauss/akg-images/picture-alliance

Anglerweste und Hut waren sein Markenzeichen, Fett und Filz seine bevorzugten Werkstoffe. Er wollte den Kapitalismus abschaffen und die Welt mit Kunst heilen: So wurde Joseph Beuys zum bekanntesten und einflussreichsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts, der die Kunstwelt aufmischte - und bis heute in glühende Verehrer und naserühmpfende Verächter spaltet. Am Jubiläumsprogramm zu seinem 100. Geburtstag beteiligen sich zwölf rheinische Museen, von der Bundeskunsthalle in Bonn bis zum Kunstmuseum in Krefeld, wo der Zeichner, Bildhauer, Philosoph, Lehrer, Aktions- und Installationskünstler am 12. Mai 1921 zur Welt kam.

"Jeder Mensch ist ein Künstler" - unter diesem berühmt gewordenen Leitsatz von Joseph Beuys veranstaltet das K20 der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW von diesem Wochenende an (27.03.2021) sogenannte "Kosmopolitische Übungen" mit dem Künstler. Zwölf ausgewählte Kunstaktionen und Happenings von Beuys, von Zeitgenossen auf Film und Foto gebannt, flimmern über Bildschirme und Leinwände, umgeben von Fotos, Texttableaus, Bildtafeln und leuchtenden Beamern, strukturiert von einer Ausstellungsarchitektur aus stählernen Gerüststangen.

Aktionskünstler Beuys: "7000 Eichen" bei der documenta 7 1982Bild: Dieter Schwerdtle/documenta archiv/Joseph Beuys/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

7000 Eichen für Kassel

Da sieht man etwa die Beuys-Aktion "I like America and America likes Me" von 1974, als der Künstler sich zwei Tage mit einem lebenden Kojoten in einer New Yorker Galerie einschließen ließ - was ihm nicht nur dem Ruf eines Schamanen einbrachte, sondern auch die Kunstmarkt-Preise seiner Werke in schwindelnde Höhen katapultierte. Aufnahmen erinnern an Beuys' Pflanzaktion "7000 Eichen" auf der documenta 7 von 1982, mit der der Künstler "Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung" propagierte. Beuys' "Honigpumpe am Arbeitsplatz" lebt wieder auf, die er 1977 im Kasseler Fridericianum auf der documenta 6 installierte, eine Art künstlerische Kapitalismuskritik - und viele andere.

Was hat Beuys uns heute noch zu sagen? Um das auszuloten, hat das Kuratorenteam aus Isabella Malz, Catherine Nichols und Eugen Blume zu seiner Beuys-Rückschau 34 Positionen zeitgenössischer Künstler, Autoren, Denker und Aktivisten gesellt. Diese beziehen sich zwar nicht direkt auf Beuys, treten aber - wie auch untereinander - in Dialog mit dem Künstler.

Zwei Tage mit Kojote: "I like America and America likes Me", New York 1974Bild: Caroline Tisdall/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Wie er suchen sie nach Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit: So wird etwa die Klimaaktivistin Greta Thunberg zitiert, der umstrittene Philosoph Michele Houllebecq spricht im Videointerview, die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis, die indische Frauenrechtlerin Vandana Shiva, ja sogar der vietnamesisch-buddhistische Mönch Thích Nhất Hạnh geben Einblicke in ihr Denken.

Erweiterter Kunstbegriff

Dementsprechend röhrt, kräht und plappert es aus vielen Lautsprechern. Beuys-Zitate kleben an den Wänden. Der Künstler hätte seine helle Freude an dieser Vielstimmigkeit gehabt. Zeichnungen und Plastiken oder Multiples sucht man allerdings vergeblich, die Schau reduziert den Künstler auf seine Aktionskunst. Das für Beuys so typische Spiel mit Material wird ausgeblendet: Fettecke und Filz, für den Künstler hochenergetische Medien, kommen in der Düsseldorfer Schau nicht vor. Die Schau ist weniger Ausstellung als Erinnerungs- und Inspirationsparcours.

Beuys erweiterte den Kunstbegriff. Mit seiner Kunst, seinen Aktionen, seinen Reden stellte er Fragen: Was ist Demokratie? Ist der Kapitalismus am Ende? Was leistet Kunst für die Gesellschaft? Unter Kunst verstand Joseph Beuys nicht einzelne Werke, die man ins Wohnzimmer oder ins Museum stellt, sondern Ereignisse, Gespräche und Denkprozesse. Diese sollte man durch Aktionen anstoßen, damit sie eine eigene Dynamik entfalteten. Der berühmte Beuys'sche Satz "Jeder Mensch ist ein Künstler" meinte: Jeder Mensch als soziales Wesen hat die schöpferische Kraft, sich selbst und die Welt zu verändern.

"Jeder Mensch ist ein Künstler": Ausstellung im K20 zum 100. Geburtstag von Joseph BeuysBild: Achim Kukulies

Komplexe Künstlerfigur und Kunstfigur

Wer aber war der begnadete Selbstvermarkter, der seine Biografie frei erfand, sich mit der Kultusbürokratie anlegte und so den Rauswurf als Kunstprofessor an der Kunstakademie Düsseldorf provozierte? Der die Grünen mitgründete, während er in Neonazi-Zirkeln verkehrte? Wer war der Ökologe, der im großen Bentley spazieren fuhr? Der antikapitalistische Humanist, der zugleich mit dem nazibelasteten Bankier Hermann Josef Abs befreundet war? War Joseph Beuys der Visionär, wie glühende Verehrer meinen? Oder ein Scharlatan, wie Kritiker sagen?

Die Düsseldorfer Schau stellt solche Fragen nicht. Joseph Beuys als komplexe Künstlerfigur im Nachkriegsdeutschland bleibt unentschlüsselt. Aber das Beuys-Jubliläumsjahr hat auch ja gerade erst begonnen.

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