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Beuys zum Mitnehmen

Karen Naundorf21. Juni 2004

Das Prinzip einer "-thek" ist überall dasselbe: Mitglied werden, Objekt auswählen, Leihgebühr zahlen, einpacken, heimtragen. Bibliotheken verleihen Bücher, Videotheken DVDs. Und Artotheken Kunst.

Sie haben die Wahl!Bild: Artothekenverband Deutschland e.V.

Nehm' ich den fünffarbigen Siebdruck? Oder lieber das schwarz-weiße Porträt? Wenn die Wahl endlich getroffen ist - "Was passt zur Einrichtung? Wer hat Rang und Namen?" - dann hängen plötzlich Werke von Sigmar Polke, Thomas Ruff oder Joseph Beuys über den Sofas in deutschen Wohnzimmern. Auf Zeit, versteht sich. Denn wenn die Leihfrist endet, müssen die Bilder zurückgegeben werden.

Städtischer Service

Artothek: Das klingt nach Luxus, hohen Leihgebühren, exklusivem Ambiente. Und es klingt, als ob eine solche Einrichtung zwangläufig unter den ersten ist, die eine Stadt schließt, wenn sie knapp bei Kasse ist. "Sicher, das passiert", sagt Johannes Stahl, der Vorsitzende des Artothekenverbands und Leiter der Artothek in Bonn. "Aber es gibt auch findige Kulturdezernenten." Und die haben etwas gefunden, das sie den Bürgern trotz Sparzwang bieten können: die städtischen Sammlungen, zum Mit-nach-Hause-nehmen. So denkt man unter anderem in Ludwigsburg und Osnabrück darüber nach, Artotheken zu gründen. "In Hannover ist man bereits dabei, die städtische Sammlung zu sichten und auszuwählen, welche Bilder sich für den Verleih eignen", sagt Stahl.

Bilder zum Mitnehmen, aufgereiht in der Artothek im Bonner KunstvereinBild: Artothekenverband Deutschland e.V.

Am liebsten groß und bunt

"Die meisten Leute transportieren die Bilder in ihrem Auto. Was nicht in einen Golf passt, scheidet aus", sagt Stahl. "Gut ist es auch, wenn die Bilder unter Glas gerahmt werden können, dann nutzen sie nicht so schnell ab. Denn es sind meistens Laien, die die Kunst mit nach Hause nehmen." In der Leihgebühr von nur sieben (!) Euro pro Bild für zwei Monate ist eine Versicherungsgebühr enthalten, aber es passiere wenig, sagt Stahl. "Hier in Bonn gab es in diesem Jahr erst zwei Schadensfälle: Ein Entleiher hat sein Bild im Zug vergessen und eine Studentin ist mit ihrem Bild in einen Regenschauer gekommen."

Jedem, der sich für ein Bild entschieden hat, drückt Stahl einen "Beipackzettel" in die Hand, auf dem Informationen zu Leben und Werk des Künstlers stehen. Er wünscht sich, dass die Entleiher mehr sehen, als dass das Bild hübsch aussieht oder zum Vorhang und zum Teppichboden im Wohnzimmer passt. "Natürlich gehen bunte, große Bilder besser als kleine, schwarz-weiße", sagt Stahl. Doch das Leihverhalten ändere sich: "Wer öfter kommt, achtet nicht mehr nur aufs Äußerliche: Irgendwann sucht er Bilder, mit denen er was erleben kann, die ihm Rätsel aufgeben."

Schauen Sie sich um!Bild: Artothekenverband Deutschland e.V.

"Das ist langweilig, das ist witzig!"

In Deutschland gibt es mehr als 120 Artotheken: Viele gehören den Kommunen und sind Teil einer Bibliothek, andere werden von Kunstvereinen getragen. Aufs Geld achten müssen sie alle, doch, auch wenn eine Artothek dankbar für jedes Werk ist: "Ich nehme nicht jedes Bild, und sei es ein Geschenk", sagt Stahl. "Die Entleiher sollen wissen, dass ich von allem, was hier in Bonn hängt, hundert Prozent überzeugt bin."

Das ist Josef, sieben Jahre alt, völlig egal: Er ist mit seiner Mutter in die Artothek gekommen und darf ein Bild fürs Kinderzimmer aussuchen. Und er weiß, was er will: "Das hier ist doof. Und das hier ist total langweilig. Ich will das hier! Das ist witzig!" Er zeigt auf einen Siebdruck von Peter Angermann: Dunkelgrüne Tropfen, in die Gesichter gezeichnet sind, im Hintergrund sterbender Wald. "Naja, es ist ein ziemlich ernst", sagt seine Mutter. Sie sieht ein bisschen unglücklich aus. Trotzdem bittet sie Johannes Stahl, das Bild einzupacken. Zwei Monate wird es im Kinderzimmer hängen. Dann wird wieder umdekoriert.

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