Bevölkerung im Iran: Die Kluft zur Diaspora vertieft sich
24. Juni 2025
"Wir haben die Stadt nicht verlassen, weil wir nicht wussten, wohin wir fahren können", schreibt Hasti aus Teheran. Die junge Frau lebt noch bei ihren Eltern. Sie verlässt ihre Wohnung derzeit nur selten.
Denn niemand weiß, welches Gebäude als nächstes von den israelischen Raketen getroffen werden könnte. Der Druck, sich dieser Gefahr auszusetzen, ist aber groß: "Viele Menschen, die die Stadt verlassen hatten, sind inzwischen wieder zurückgekehrt, weil sie arbeiten müssen."
Am 13. Juni hatte Israel iranische Militär- und Nuklearanlagen angegriffen, mit dem Ziel zu verhindern, dass der Iran eigene Atomwaffen entwickelt. Der Iran reagierte mit Raketen- Drohnenangriffen auf israelisches Staatsgebiet, was zu einem militärischen Schlagabtausch zwischen den beiden Ländern führte.
Am Sonntag bombardierte zudem die US-Luftwaffe iranische Atomanlagen in den Städten Fordo, Natanz und Isfahan. Die unterirdischen Einrichtungen seien nach Angaben von US-Präsident Donald Trump komplett zerstört worden.
Nach zwölf Tagen intensiver Gefechte hat US-Präsident Trump in der Nacht zum Dienstag (24.06.25) dann einen schrittweisen Waffenstillstand zwischen dem Iran und Israel verkündet. Trotzdem wurde der Beschuss auf Israel fortgesetzt.
Auch Israel flog weiterhin Angriffe auf den Iran. Später hieß es aus Tel Aviv, Israel werde nach einem Telefonat zwischen Premier Benjamin Netanjahu und US-Präsident Trump auf weitere Angriffe auf den Iran verzichten. Inzwischen wollen beide Seiten die Waffenruhe respektieren.
Kein Kriegszustand im Iran ausgerufen
Im Iran war offiziell kein Kriegszustand ausgerufen worden. Offizielle Verhaltensregeln im Falle eines Luftangriffs gibt es nicht. Metropolen wie Teheran haben ohnehin weder Frühwarnsysteme noch Luftschutzräume.
Und die Frustration ist groß: "Auf das internationale Recht ist kein Verlass", klagt Iman aus Teheran im Gespräch mit der DW. "Mein Land hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und sich freiwillig verpflichtet, keine Atombombe zu bauen. Trotzdem wurden wir von einem Staat angegriffen, der diesen Vertrag nicht unterzeichnet hat, und das während laufender diplomatischer Gespräche."
Der Atomwaffensperrvertrag war im Kalten Krieg von den Atommächten USA und der Sowjetunion initiiert worden. Israel hat den Vertrag nicht unterzeichnet.
Iman hat seine Heimatstadt Teheran nicht verlassen. Ein Leben unter Raketenbeschuss ist ihm nicht unbekannt. Er gehört der Generation an, die während des achtjährigen Iran-Irak-Kriegs (1980-1988) aufgewachsen ist.
"Ich bin ein unpolitischer Menschen", sagt er und betont gleichzeitig: "Mit der Politik meiner Regierung bin ich nicht einverstanden. Ich erkenne Israel als souveränen Staat an und respektiere die Bürgerrechte all seiner Einwohner. Gleichzeitig verurteile ich diesen militärischen Angriff auf mein Land."
In dieser Situation, sagt er, könne er keinesfalls diejenigen unterstützen, die sich selbst als "iranische Opposition" bezeichnen. "Was sie gerade tun, schadet dem nationalen Interesse." Iman meint damit die Exil-Iraner im Ausland, die offen einen Regimewechsel im Iran fordern.
Kritiker im Ausland unsicher
Wie komplex die Situation ist, wird dort aber durchaus gesehen. "Es sind jetzt sehr schwierige Zeiten. Am Anfang war ich der Meinung, dass wir uns nicht äußern sollten, weil nicht wir, sondern unsere Landsleute im Land unter Kriegsbedingungen leben", sagt der in London lebende Mediziner Shahram Kordasti auf Nachfrage der DW.
Kordasti ist Facharzt für Hämatologie und Experte für Krebsimmunologie. Er hat eine Kampagne in sozialen Netzwerken gestartet und bittet führende Mediziner, Videos mit fachkundigen Empfehlungen zur Krebsbehandlung in Ausnahmesituationen aufzuzeichnen, etwa für den Fall, dass Patienten im Iran keinen Zugang zu ihren gewohnten Medikamenten oder Praxen haben.
"Nun höre ich von Menschen im Iran, die sagen: 'Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende'. Dieses System müsse beendet werden. Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass manche sehr traurig sind oder sogar das Regime verteidigen, was mich überrascht", sagt Kordasti. "Aber die Wahrheit ist, dass auch ich mich frage, ob der Weg des Irans zu einem freiheitlich-demokratischen Land ohne einen militärischen Angriff überhaupt möglich ist. Deutschland wurde auch mit militärischer Gewalt von den Nationalsozialisten befreit."
"Man kann gegen das Regime und zugleich gegen den Krieg sein"
Im Iran lehnen viele oppositionelle Stimmen eine militärische Intervention dagegen ab. "Ich bin mir sicher, dass Krieg niemals Demokratie, Menschenrechte oder Freiheit bringen wird," sagt die iranische Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi. Sie fordert die Vereinten Nationen auf, gegen die, wie sie sagt, "eklatanten und hemmungslosen Verstöße gegen das Völkerrecht" vorzugehen.
"Man kann gegen das Regime und zugleich gegen den Krieg sein", sagt auch die Frauenaktivistin Ghazal Abdollahi im Gespräch mit der DW. Sie lebt in Berlin und macht sich Sorgen um die politischen Gefangenen im Iran.
Am Montag (23.06.) hatte das israelische Militär das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran angegriffen. Dort sind zahlreiche politische Gefangene und Oppositionelle inhaftiert.
"Die Gefangenen durften seit Beginn des Krieges nicht mehr mit ihren Familien telefonieren. Sie sind dort eingesperrt und wurden nun bombardiert", sagt Ghazal Abdollahi, "niemand denkt an die Zivilbevölkerung."
Der Druck auf die Zivilgesellschaft und auf die Oppositionellen im Iran könnte nach dem Krieg weiter steigen. Und viele Menschen klagen, dass sie nach mehr als vier Jahrzehnten mit politischen Unruhen und internationalen Sanktionen keine Kraft mehr hätten, nun auch noch die Bomben zu ertragen.
Die iranische Diaspora befinde sich in einem moralischen Dilemma, sagt die in Spanien lebende Frauenaktivistin Ryma Sheermohammadi im Gespräch mit der DW. "Einige Iranerinnen freuen sich, dass die staatlichen Verwaltungsgebäude wie Ministerien angegriffen werden. Gleichzeitig warnen andere davor, die humanitäre Lage und die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung zu ignorieren."
Und der Westen wirkt in seiner Iran-Politik gespalten. Eine kohärente Strategie für einen möglichen Regimewechsel ist nicht erkennbar. Vielleicht auch deshalb, weil die "Regime-Change"-Pläne in anderen Ländern der Region mit desaströsen Folgen gescheitert waren.