Bewährungsprobe für Georgien
2. November 2003"Genug der Herrschaft Schewardnadses in Georgien", stand auf einigen Plakaten der Demonstranten, die Anfang Juni 2003 durch die Straßen der georgischen Hauptstadt Tiflis zogen. Mehrere Tausend Anhänger der Opposition hatten sich vor dem Parlament versammelt, um gegen die Regierung protestierten.
Seit über zehn Jahren steht Eduard Schewardnadse, inzwischen 75 Jahre alt, an der Spitze des Landes. Die Bevölkerung macht ihren Präsidenten, den ehemaligen sowjetischen Außenminister, verantwortlich für den Niedergang des Landes. Aus der blühenden Sowjetrepublik am Schwarzen Meer ist eine verarmte und innerlich zerrissene Republik geworden. Die bevorstehenden Parlamentswahlen am Sonntag (2. November 2003) sollen eine Wahl gegen die Regierung werden – so will es die Opposition.
Schewardnadse bleibt
Wie die Wahl auch ausgehen wird – Schewardnadse bleibt vorerst Präsident. Seine reguläre Amtszeit endet erst 2005: Dann finden die nächsten Wahlen statt. Aber die Opposition hält sich bereit. Jetzt will sie zunächst die Mehrheit der 235 Sitze im georgischen Parlament für sich gewinnen.
Die Chancen stehen nicht schlecht: In Umfragen führt der oppositionelle Block der "Burdschanadse-Demokraten", unter Führung der aktuellen Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse. Sie gilt für viele schon als mögliche Kandidatin für das Präsidentenamt. Dem regierungstreuen Block "Für ein neues Georgien" wollen bis jetzt nur sechs Prozent der Wähler ihre Stimme geben.
Wahlbetrug und Machterhalt
30 Wahlbeobachter der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) werden im Land sein – doch die Opposition glaubt nicht daran, dass sie Wahlbetrug und Manipulationen verhindern können. Schon in den Wochen vor der Wahl gab es Zweifel und Proteste. Beispiel Wählerverzeichnis: Die Zentrale Wahlkommission ließ 3,1 Millionen Stimmzettel drucken – nach Angaben der Regierungskritiker gibt es in Georgien aber nur 2,5 Millionen Wahlberechtigte. Die übrigen 600.000 seien gestorben oder ins Ausland gezogen, und damit "sichere Stimmen" für die Machthaber.
Image zu verlieren
Präsident Schewardnadse gibt sich entschlossen. Im georgischen Rundfunk sagte er: "Wenn wir die schändliche Praxis der Stimmenerschleichung nicht aus der Welt schaffen, können wir an faire Wahlen noch nicht einmal denken." Gegenüber dem Westen will er in gutem Licht dastehen. Die Annäherung an EU und NATO gehört zu seinen erklärten Zielen. Gerüchte über Wahlbetrug kann er nicht gebrauchen, denn die Wahlen sind auch eine Art Test. Die OSZE nennt es eine Bewährungsprobe, "für das Land auf dem Weg zur Demokratie, und für seine Glaubwürdigkeit als Mitgliedsstaat des Europarats."
Abschreckendes Beispiel Aserbaidschan
Nach den Präsidentschaftswahlen im benachbarten Aserbaidschan kam es Mitte Oktober 2003 zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Opposition protestierte gegen den Wahlsieg Ilcham Alijews, der das Präsidentenamt von seinem Vater übernommen hat. Beobachter befürchten ähnliche Straßenschlachten, falls Regimekritiker auch in Georgien ein Ventil für ihre Wut und Enttäuschung suchen.
In spätestens zwei Jahren soll es aber in Tiflis einen neuen Präsidenten geben. Gemäß der georgischen Verfassung darf Schewardnadse bei den Wahlen in eineinhalb Jahren nicht ein drittes Mal kandidieren. Im Gegensatz zu anderen kaukasischen oder zentralasiatischen Präsidenten beteuert er, sich an diese Regelung halten zu wollen."In Georgien gibt es keine Tradition der Amtsübergabe an seine Kinder, daher werden die Präsidentenwahlen 2005 demokratisch ablaufen", sagte Schewardnadse kürzlich. Und er fügte hinzu: "Der neue Präsident wird nicht der gegenwärtige Amtsinhaber sein."