Mit der Geduld am Ende
27. April 2010Tomek hat Angst. Niemals wollte er als Stricher arbeiten. Aber dann ist der Junge des Geldes wegen doch in das fremde Auto eingestiegen. Ihm ist übel, am liebsten würde er den Deal rückgängig machen, doch das lässt sein Freier nicht zu. "Swinki" (zu Deutsch: "Schweine") lautet der polnische Originaltitel zu dem vielleicht brisantesten Beitrag im Wettbewerb des zehnten "goEast"-Filmfestivals in Wiesbaden. Es geht um sexuellen Missbrauch, ein Thema, das die Öffentlichkeit seit Monaten bewegt. Schwer verdaulich ist diese Geschichte, die in einem trostlosen deutsch-polnischen Grenzgebiet spielt, wo Kinderprostitution ungebrochen floriert. Der beängstigend real wirkende Film beleuchtet auch die Zusammenhänge zwischen der Prostitution und einem bis zur Perversion übersteigerten Materialismus, dem sich die junge polnische Generation verschrieben hat.
Aggressive Kommunikation in Georgien
Thematische Schwerpunkte lassen sich schwer ausmachen bei dieser Ausgabe des "goEast"-Festivals. Gemeinsam aber ist vielen Filmen ein von Aussichtslosigkeit und Ohnmacht bestimmtes Lebensgefühl. In dem georgischen Film "Auf der Straße" von Levan Koguashvili ist schon die alltägliche Kommunikation unmöglich geworden. Vor allem die Frauen sind gereizt und verlieren schnell die Fassung. Als ob ihnen nicht schon der tägliche Existenzkampf ihre letzte Kraft rauben würde, müssen sie sich noch mit ihren Männern herum ärgern, die als grenzenlose Versager alles noch schlimmer machen. Selbst ein so gutherziger Kerl wie der Junkie Checkie hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Als er an korrupte Polizisten gerät, die ihn unter Druck setzen, den Sohn des Ministerpräsidenten heroinabhängig zu machen, sieht auch er kein Entkommen mehr aus seinem Teufelskreis.
Rebellion auf dem Balkan
Auch auf dem Balkan liegen die Nerven blank, nur dass sich das weniger in Resignation ausdrückt als vielmehr in Rebellion. Eine Gruppe von Arbeitern und Anarchisten in dem serbischen Beitrag "Die alte Schule des Kapitalismus" haben die Nase voll. Ihre Familien nagen am Hungertuch, ihre Löhne stehen seit ihrer Entlassung noch aus, es wird Zeit, die inhumane Unternehmenspolitik zu stoppen. Kurzerhand stürmen die Aufständischen die Villa ihres Chefs. Auch wenn die Protagonisten in Wirklichkeit vermutlich noch keine Revolution anzetteln würden - die Stimmung ist emotional aufgeheizt, soziale Unruhen bahnen sich an.
Generationskonflikte im florierenden rumänischen Kino
"goEast" beschränkt sich jedoch nicht nur auf aktuelle Bestandsaufnahmen. Einige Filmemacher beschäftigen sich auch mit der Aufarbeitung von Geschichte und Generationskonflikten. Am deutlichsten zeigt sich dies in dem rumänischen Film "Ehrenmedaille" von Peter Calin Netzer.
Zwischen Herrn Ion und seinem Sohn, der nach Kanada ausgewandert ist und nur noch mit der Mutter telefoniert, herrscht frostiges Schweigen. Der Sohn kann dem Vater nicht verzeihen, dass er ihn zu Zeiten Ceauşescus von der Geheimpolizei festnehmen ließ, als er dem unmenschlichen Regime den Rücken kehren wollte. Seine Schuld, die auch seine Ehe belastet, erdrückt den Alten, der umso mehr aufblüht, als sich die Chance für eine "Wiedergutmachung" bietet. Die Regierung verleiht ihm eine Medaille für besondere Verdienste im Zweiten Weltkrieg. Zwar erinnert er sich zunächst an gar keine Heldentat, aber die Fantasie hilft nach. Das Problem ist nur, dass sich niemand so recht für die Erinnerungen des kauzigen Pensionärs interessiert, und sich zu allem Übel auch noch herausstellt, dass die Medaille eigentlich einem anderen zugedacht war.
"Ehrenmedaille" ist ein weiteres kleines Meisterwerk aus Rumänien, wo sich in den vergangenen Jahren trotz kaum vorhandenen Budget eine erstaunlich fruchtbare Filmszene entwickeln konnte. "Die Goldene Lilie" für den besten Film hätte es zweifellos verdient.
Autorin: Kirsten Liese
Redaktion: Aya Bach