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BFC Dynamo: Vom Stasiklub zum Naziklub?

Matt Ford
3. Oktober 2020

Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung darbt der BFC Dynamo Berlin in der vierten Liga. DW-Reporter Matt Ford stattete dem Klub einen Besuch ab, der mit den Zuschauern der Vergangenheit und der Gegenwart kämpft.

Fussball l Das Sportforum Berlin in Hohenschönhausen
Bild: picture-alliance/K. Kleist-Heinrich

"Que sera, sera! Whatever will be, will be! The champions of Germany!" Der Fußballsong, der auf einem englischen Klassiker basiert, ertönt von der Haupttribüne im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Die Fans des BFC Dynamo singen und jubeln ihrem Team gegen Lokomotive Leipzig zu - bei einem Spiel, das aus den 1980er Jahren, noch aus dem Ost-Berlin der DDR, hätte stammen können. Nur, dass direkt hinter der gegenüberliegenden Tribüne ein Teil der Berliner Mauer mit Graffiti bemalt ist.

In diesem Bereich befand sich einst das tödliche Niemandsland. Heute steht dort ein beliebter Park. Und auf dem Platz findet kein Spitzen-Spiel der ostdeutschen Oberliga statt, sondern die 1700 Besucher sehen ein torloses Unentschieden in der vierten, der Regionalliga - in einem Stadion für rund 20.000 Zuschauer.

Für den BFC Dynamo, den zehnfachen Oberliga-Meister, den dreifachen ostdeutschen Pokalsieger und den Stolz von Erich Mielke, dem Chef der damaligen Geheimpolizei (Stasi), ist es ein tiefer Fall. Und doch grenzt es an ein Wunder, dass der Verein, nachdem er seine staatliche Unterstützung verloren und mehrere Abstiege und Insolvenzen überlebt hat, überhaupt noch existiert.

"Wir standen kurz vor der Auslöschung", sagt Rene Lau, seit 1979 Mitglied des BFC und ehemaliger Vizepräsident des Klubs. Er erinnert sich noch gut an die existenzielle Krise, in der sich der Klub um die Jahrtausendwende befand: "Es war eine sehr reale Bedrohung, dass der Klub aus dem Vereinsregister gestrichen wird."

Der BFC Dynamo gewinnt zehn DDR-Oberliga-Titel in Folge - aber die Gegner wittern direkte Einflussnahme des StaatesBild: picture-alliance/A. Altwein

Alle ostdeutschen Spitzenvereine hatten nach der Wiedervereinigung Mühe, sich an die marktwirtschaftlich ausgerichtete Bundesliga anzupassen. Aber der BFC Dynamo, der am meisten vom staatlich kontrollierten Fußball der DDR profitiert hatte, litt am härtesten, als diese Unterstützung verschwand. Als die Mauer fiel, verschwanden Starspieler wie Andreas Thom und Thomas Doll und machten sich auf den Weg nach Westen - während neue Sponsoren, die den genau anderen Weg  eingeschlagen hatten, einen großen Bogen um den verhassten "Stasiklub" machten.

"Wir saßen im Niemandsland fest", sagt Lau. "Es war eine Katastrophe." Als das Team immer weiter abstürzte, verschwanden auch immer mehr Zuschauer. Bald blieb nur noch ein Stamm von ein paar Hundert übrig, von denen viele aus einem rechtsgerichteten Milieu stammen - dadurch bekam der Klub einen schlechten Ruf, mit dem der Verein bis heute leben muss.

Vom "Stasi"- zum Nazi-Klub

"Schon vor der Wiedervereinigung lag die Macht in der BFC-Fanszene bei Rechtsextremen", sagt Robert Claus, Autor und Experte für Rechtsextremismus im deutschen Fußball: "Die Behörden wussten nicht wirklich, wie sie mit ihnen umgehen sollten, weil sie nicht begreifen konnten, wie eine rechtsextreme Subkultur in einem antifaschistischen sozialistischen Staat wie der DDR überhaupt existieren konnte."

Heutzutage ist die Fan-Basis des BFC klein und es gibt darunter zwielichtige Gestalten Bild: picture alliance/dpa/S. Stache

Was für einige als Provokation und Rebellion gegen die kommunistische Diktatur begonnen haben mag, wurde mit dem Mauerfall ernster. Und das Umfeld des BFC wurde zu einem Treffpunkt für Berlins rechten Flügel, Neo-Nazis, Hooligans und dem kriminellen Untergrund der Stadt, die sich am trüben Grund der Fußballpyramide sicher fühlen konnten.

Der BFC wurde schnell mit Gewalt in Verbindung gebracht. 1998 gehörte ein BFC-Hooligan namens Christopher R. zu einer Gruppe, die bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich für schuldig befunden wurde, einen Polizisten in Lens ins Koma geschlagen zu haben. Anfang dieses Jahres war derselbe Mann wieder vor Gericht in Berlin angeklagt, 120 Kilogramm Kokain im Wert von drei Millionen Euro mit der Absicht gekauft zu haben, es gewinnbringend weiterzuverkaufen.

"Es gibt eine lange Geschichte von rechtsgerichteten, rassistischen Übergriffen und anderen Vorfällen rund um BFC-Spiele", sagt Claus. "Der Klub weiß genau, wer seine Fans sind. Und selbst innerhalb des Klubs findet man Menschen mit Verbindungen zur Hooligan-Szene. Natürlich gibt es bei BFC auch Leute, die keine Hooligans oder Nazis sind, aber es existiert eine unglaublich homogene Unterstützung."

In Liga vier etabliert

Genau dieser Fangemeinde ist es zu verdanken, dass sich der Klub veränderte, als sich die finanzielle Situation im Jahr 2001 besonders kritisch entwickelte. Sammlungen wurden organisiert, Spenden gingen ein, Partys wurden veranstaltet, und die Fans reisten bis nach Österreich und in die Schweiz, um die Gläubiger aufzuspüren und sie zu überzeugen, eine geringere Rückzahlung zu akzeptieren. "Bis heute ist der Zeitpunkt des Insolvenzverfahrens der wichtigste und entscheidende Moment für die älteren Fans", sagt Lau. "Wir haben unseren Klub gerettet."

Europäische Ausflüge wie einst an die Anfield Road in Liverpool sind schon lange GeschichteBild: Imago

Seit 2014 hat sich BFC in der vierten Liga etabliert. Gegen Lokomotive Leipzig, der spätere Meister, behauptet sich das Team, auch wenn es mit zehn Spielern weiterspielen muss. Auf den Tribünen ist die Atmosphäre entspannt. Familien mit Kindern sind gekommen, es gibt keine Anzeichen von Gewalt. Dennoch ist der Anteil gut gebauter Männer mittleren Alters mit rasierten Köpfen und maskulinen Tattoos höher als in anderen Stadien. Und obwohl sie sich in einem alternativen Stadtteil einer der multikulturellsten Städte Europas befinden, fällt auf, dass ethnische Minderheiten nicht ins Stadion gekommen sind.

"Der BFC ist in hohem Maße ein Verein, der zu seinem Milieu gehört und der von dem lebt, was er dort vorfindet", erklärt Claus. "Im Gegensatz zu anderen Vereinen hat es der BFC nie wirklich geschafft, sich für neue Generationen oder andere Arten von Fans zu öffnen."

Dennoch ist der ehemalige Vizepräsident und Anwalt Lau, zu dessen Mandanten Fußballfans aus ganz Deutschland zählen, der Meinung, dass sich die Dinge bei BFC geändert haben. "Hätte man mich das vor 25 Jahren gefragt [Anmerk.d.Red.: ob der BFC ein Problem mit Nazis hat?], hätte ich ja gesagt", räumt er ein. "Aber ist der heutige BFC Dynamo ein Nazi-Klub? Das würde ich vehement bestreiten."

In vielerlei Hinsicht ist der moderne BFC Dynamo ein halb-professioneller Stadtteil-Klub wie jeder andere. Der Klub unterhält Jugendmannschaften aller Altersgruppen von der U8 bis zur U19. Zudem betreibt der BFC seit 2003 eine preisgekrönte Kindertagesstätte für über 200 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Die Jugendlichen haben deutschen, russischen, chinesischen, orientalischen oder auch türkischen Hintergrund - der die Berliner Vororte widerspiegelt, aus denen sie stammen.

"Der BFC ist Teil unserer Gemeinschaft", sagt Lau. "Es gibt immer Menschen mit rechtsgerichteten Einstellungen, aber leider ist das Teil der Gesellschaft und damit Teil des Fußballs und Teil des BFC. Aber es ist nicht das entscheidende Merkmal unseres Klubs."

Hooligans

Hooligans sind ebenfalls Bestandteil des BFC DynamoBild: Reuters/A. Schimdt

Auch wenn die Innenansicht von BFC Dynamo eher ermutigend zu sein scheint, hat sich die Außenwahrnehmung nicht verändert. Von den 226 Berliner Fußballfans, die von der örtlichen Polizei in die gewalttätige "Kategorie C" eingestuft werden, sind 101 BFC-Fans - und damit fast doppelt so viele wie bei Union Berlin (65) und bei Hertha BSC (60). Es gibt auch etablierte Verbindungen zwischen jüngeren BFC-Hooligans und der Hertha-Hooligan/Ultra-Gruppe Kaliber 030 - eben jener Gruppe, die im Verdacht steht, während des jüngsten Berliner Derbys Fackeln und Raketen abgefeuert zu haben.

Ältere BFC-Hooligans hingegen pflegen die Beziehungen zu Gleichgesinnten des 1. FC Magdeburg. Sie legten kürzlich bei einem Trauermarsch für den verstorbenen Thomas Haller, einem sehr bekannten ortsansässigen Neonazi, einen Kranz mit beiden Vereinswappen nieder. "Zum Gedenken an unseren Freund Tommy Haller", war darauf zu lesen. "Die Gruppe ist vereint. Die Fäuste geballt. Wir haben Solidarität geschworen." Der Kranz war unterschrieben mit: "MD/BFC-Hooligans." Magdeburg verurteilte den Vorfall und distanzierte sich von "allen Formen der rechtsextremen Ideologie". Aber es gab eine seltsame Stille vom BFC.

Zurück in die Zukunft

Während der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im kommenden Jahr zu einem Paralympischen Sportstadion umgebaut wird, zieht der BFC vorübergehend zurück ins Sportforum Hohenschönhausen, dem ehemaligen Sitz der Sportvereinigung Dynamo.

BFC Dynamo spielt gegen Lokomotive Leipzig im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, der bald umgebaut wirdBild: DW/M. Ford

Und trotz der inhärenten Verbindungen zur Stasi will der BFC auch sein altes Logo zurückhaben, nachdem er die Rechte an dem berühmten Wappen mit dem stilisierten "D" für Dynamo - wie es auch von Dynamo Dresden verwendet wird - verloren hat. Dem Gefühl der "Ostalgie" ist nur schwer zu entkommen. Und DDR-Flaggen sind bei Spielen noch  immer zu sehen. "Wir können unsere Geschichte nicht ändern. Es ist so, wie es ist, es gehört zum Klub. Und wir müssen damit leben", sagt Rene Lau. "Ja, wir waren der Stasi-Verein, aber was kann ich dagegen tun? Es hat mich damals nicht gestört und stört mich auch jetzt nicht."

Vom Stasi-Verein über den Nazi-Verein, den Hooligan-Verein bis zum Stadtteil-Verein - der BFC Dynamo bleibt ein Ausgestoßener im deutschen Fußball und kämpft mit den Zuschauern von gestern und heute.