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Konflikte

Biafra-Aktivist: "Nigeria ist kein zivilisiertes Land"

Adrian Kriesch gh
26. Juni 2017

Knapp 50 Jahre nach dem Biafra-Krieg kämpft Nnamdi Kanu erneut für die Abspaltung Südost-Nigerias. Mit öffentlichen Provokationen nimmt er ethnische Spannungen in Kauf. Die DW dokumentiert sein Weltbild im Interview.

Nigeria Biafra | Nnamdi Kanu
Bild: DW/K. Gänsler

DW: Sie sind der Anführer der Bewegung "Indigenous People of Biafra". Wieso kämpfen Sie 47 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs wieder für die Unabhängigkeit von Biafra?

Nnamdi Kanu: Wir kämpfen für die Unabhängigkeit, aber wir kämpfen nicht physisch mit Pistolen und Kugeln. Wir kämpfen im Sinne unserer Bewegung, unseres Glaubens und unserer Beständigkeit. Wir kämpfen, weil wir nicht frei sind. Als freie Menschen könnten wir das Leben für unsere Mitmenschen verbessern. Aber so wie Nigeria strukturiert ist, können wir das nicht. Wenn wir das Leben für unser Volk verbessern wollen, dann müssen wir weiter für Biafra kämpfen. Biafra steht für die Freiheit, als zivilisierte Menschen zu leben. Und das ist momentan nicht möglich.

Sie verlangen bis spätestens November dieses Jahres ein Referendum. So wie es jetzt aussieht, wird die Regierung dem nicht zustimmen.

Dann wird es keine Wahlen im Biafra-Land mehr geben. Sie können dann an die Macht setzen, wen auch immer sie wollen. Sie können in ihren politischen Ämtern machen was auch immer sie wollen, aber wir werden uns an keinen politischen Aktivitäten beteiligen.

Sie sagen, es sei ein friedlicher Kampf. Es gibt jedoch Videos von Ihnen, in denen Sie sagen, dass Sie Waffen bräuchten, um sich selbst zu verteidigen. Wie können wir das verstehen?

Sicher haben Sie von den Fulani-Hirten gehört, die Menschen umbringen. Wie soll man sich ohne Waffen gegen diese Hirten verteidigen? Sie töten unsere Leute, vergewaltigen unsere Frauen, zerstören unsere Farmen und niemand tut etwas dagegen. Leben so zivilisierte Menschen?

Wie verteidigen Sie sich denn aktuell gegen diese Bedrohung?

Gar nicht. Sie töten uns einfach und es gibt nichts, was wir dagegen tun können. Niemand von denen wurde jemals vor Gericht verantwortlich gemacht, nicht einmal verhaftet. Selbst wenn sie für die Morde an unseren Leuten verhaftet werden, werden sie einfach am nächsten Tag freigelassen.

Und deshalb denken sie, dass Sie das Recht haben, sich mit Waffen aufzurüsten?

Selbstverteidigung wird sogar von den Vereinten Nationen als legitim anerkannt. Wenn jetzt jemand mit einer Machete dieses Interview unterbrechen würde, sollte er einfach damit davon kommen? Wir streben es nicht an, mit irgendjemanden zu kämpfen, aber wenn unser friedliches Gemüt als Feigheit interpretiert wird, dann schätzen sie uns falsch ein.

Biafra Aktivisten bei einer Pro-Trump-Kundgebung im Januar 2017 in Port HarcourtBild: Getty Images/AFP

Sie waren ohne Gerichtsverhandlung für fast zwei Jahre im Gefängnis. Trotz Gerichtsentscheiden zu Ihren Gunsten wurden Sie nicht freigelassen. Denken Sie, dass Sie von der Regierung fair behandelt wurden?

Nein, ich wurde keineswegs fair behandelt. Nigeria ist kein zivilisiertes Land. Die Leute hier benehmen sich wie Tiere. Sie sind nicht vernünftig, sie sind nicht diszipliniert, sie sind nicht einmal mental soweit entwickelt, dass sie eine transparente Zivilgesellschaft führen können. Sie haben eine feudale Denkweise, in der es die herrschende Klasse gibt, und eine Mehrheit der Bevölkerung, die in Armut lebt und die nicht einmal ihre Notlage in Frage stellt. Das ist eine Sache, die wir angehen wollen.

Glauben Sie nicht, dass Sie damit viele Nigerianer beleidigen?

Nein, ich bin sogar noch sehr nett. Ich hätte viel härtere Wörter nutzen können, um sie zu beschreiben.

Offensichtlich denken Sie nicht sehr positiv über Ihre Landsleute.

Sicherlich gibt es ein paar gute Leute unter ihnen, aber als Kollektiv ist es eine absolute Katastrophe. Haben Sie nicht die Straßen gesehen, wie schrecklich sie sind? Haben Sie nicht gesehen, wie ungepflegt und schmutzig es überall ist? Das ist das Produkt eines nigerianischen Systems, das einzigartig rückständig ist, auch für die Dritte-Welt-Standards Schwarzafrikas. Das sind die Fakten und die Menschen müssen sich dem stellen.

Nigeria ist ein sehr instabiles Land, vor allem wenn es um ethnische Angelegenheiten geht. Als Reaktion auf die neuerlichen Unabhängigkeitsbestrebungen von Biafra-Aktivisten haben einige Jugendgruppen den Igbos ein Ultimatum gesetzt, den Norden des Landes bis Oktober zu verlassen. Denken Sie nicht, dass sich die Situation aufheizt und das Potential hat, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen?

Wenn der Krieg kommt, dann kommt er. Aber wer betet schon für den Krieg? Ich will keinen Krieg. Ich habe keine Waffen und Munition, ich kämpfe mit keinem. Alles was wir versuchen, ist eine zivilisierte Konversation zu haben. Sie haben den ganzen Prozess vorsätzlich in eine unzivilisierte Richtung gebracht, indem sie mich für fast zwei Jahre ohne Gerichtsverhandlung weggesperrt haben. Deshalb liegt es an der Welt, zu beurteilen und zu entscheiden, ob dies ein Land ist, das überhaupt bestehen sollte. Ein Land, das Gesetze verabschiedet und diese aber selbst nicht befolgt. Haben sie wirklich das Recht zu existieren? Ich denke nicht.

Im Norden leben viele Igbos sehr friedlich mit den anderen Menschen dort zusammen. Denken Sie nicht, dass Sie diese Leute und ihr friedliches Zusammenleben dort in Gefahr bringen?

Wenn sie dort so friedlich zusammenleben, wie Sie sagen, wieso hört man dann immer wieder von diesen Unruhen im Norden, bei denen Christen aus dem Süden abgeschlachtet werden und niemand etwas dagegen unternimmt? Wir werden hier wie in einem jährlichen Ritual hingerichtet und niemand wird dafür zur Verantwortung gezogen. Das ist nicht normal. Es mag für Sie an der Oberfläche friedlich aussehen, aber dort werden Menschen hingerichtet. Diese Leute sind aus ihrer Not heraus in den Norden migriert, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Hier im Süden werden ganze Produktionsprozesse von der Politik bewusst lahm gelegt, um sicherzustellen, dass unsere Leute weiterhin in Armut leben. Das werden wir nicht akzeptieren. Wir sind von Natur aus sehr friedliche Menschen. Alles was wir wollen, ist, dass die Welt anerkennt, dass wir in Frieden leben wollen. Also erlaubt Biafra, zu existieren. Biafra hat schon existiert, bevor die Briten kamen, also erlaubt uns, zu unseren alten Strukturen zurückzukehren. Es ist ja auch kein Afrikaner nach Europa gekommen, um dort einfach Länder zu erschaffen. Wenn jemand zu uns kommt und auf ein paar Ethnien zeigt und sagt 'Ihr seid jetzt Nigeria', ist das einfach lachhaft.

 

Nnamdi Kanu ist ein britisch-nigerianischer Aktivist. Er ist Anführer der separatistischen Bewegung "Indigenous People of Biafra", die für die Unabhängigkeit des Südostens Nigerias kämpft. Kanu ist der Direktor der in London ansässigen Radiostation Radio Biafra. 2015 wurde er in Nigeria des Hochverrats beschuldigt und ohne Gerichtsverfahren für fast zwei Jahre ins Gefängnis gesperrt. Im April 2017 wurde er auf Kaution freigelassen.

1967 hatte die Republik Biafra unter der Führung der Volksgruppe der Igbo ihre Unabhängigkeit erklärt, wurde aber nach Ende des Biafra-Krieges 1970 wieder in Nigeria eingegliedert. Bis zu zwei Millionen Menschen starben in Folge des Krieges - die meisten von ihnen verhungerten.

Das Interview führte Adrian Kriesch.

 

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