Biafra: Das Ende des Schweigens
5. Juli 2017Egal, ob in Tageszeitungen oder sozialen Medien: In Nigeria wird gerade so intensiv wie lange nicht mehr über eine mögliche Spaltung des Riesenstaates gesprochen. 50 Jahre nach Beginn des Sezessionskrieges am 6. Juli 1967 lebt die Idee von Biafra, wie sich die abtrünnige Region damals nannte, wieder auf. Neben Diskussionen über Propaganda bis hin zu rassistischer Hetze bedeutet das jedoch auch: Das Land muss sich mit seiner Vergangenheit und vor allem dem Bürgerkrieg auseinander setzen.
Der Krieg begann nur wenige Wochen, nachdem sich der Südosten Nigerias am 30. Mai 1967 für unabhängig erklärt hatte. Vorausgegangen waren zwei Staatsstreiche, Pogrome und das Gefühl vieler Menschen in der Region, mehrheitlich ethnische Igbo, benachteiligt zu sein.
Der Krieg dauerte bis Januar 1970 und forderte bis zu 2,5 Millionen Menschenleben. Doch über all das wurde jahrzehntelang in der nigerianischen Öffentlichkeit nicht gesprochen. "Biafra stand nie wirklich auf unserem Stundenplan", bedauert der 23 Jahre alte Roy Udeh Ubaka, der aus Enugu im Südosten Nigerias stammt. Erst als er das Fach Sozialwissenschaften belegte, las er darüber: "Das Kapitel war sehr kurz, und Biafra wurde auf zwei oder drei Seiten erwähnt."
Keine Informationen über den Bürgerkrieg
Sein Bild über den Biafra-Krieg habe nicht die Schulbildung, sondern sein Vater geprägt, erzählt Udeh-Ubaka: "Er war Kindersoldat und hat seine persönlichen Erfahrungen geschildert." Mit diesen privaten Kriegserzählungen ist der junge Biochemie-Student groß geworden, nicht aber mit aufgearbeiteten und überprüfbaren Fakten. In Nigeria geht das einer ganzen Generation so.
Für Paddy Kemdi Njoku, ehemaliger Vorsitzender vom Nationalen Examensrat (NECO), ist das ein Grund, warum sich das Land mit der Vergangenheitsbewältigung so schwer tut. Etwas, über das geschwiegen wird, kann schließlich nicht aufgearbeitet werden. Er fordert deshalb: "Nigerias Geschichte von der Unabhängigkeit bis heute muss jedem Kind beigebracht werden. Dabei darf es nicht nur um Biafra gehen." Stattdessen sollte auch über die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht gesprochen werden und über die Staatsstreiche, die das Land geprägt haben. "Wenn Geschichte unterrichtet werden würde, wären wir vielleicht nicht dort, wo wir heute stehen", vermutet Njoku.
Kein Sieger und keine Besiegten
Das Ignorieren und Verschweigen der Geschichte passt jedoch zur Strategie, die nach Kriegsende gefahren wurde: No Victor, No Vanquished – kein Sieger und keine Besiegten – hieß es damals. Tatsächlich gab nur wenige Verhaftungen und kaum Prozesse, aber auch keine Aufarbeitung von möglichen Kriegsverbrechen. Stattdessen lautete das Ziel, den Südosten, wo mehrheitlich Igbos leben, wieder einzugliedern. Der Wiederaufbau der zerstörten Region und der gemeinsame Alltag sollten die Nigerianer zusammenfinden lassen.
Gerade Menschen aus dem Südosten kritisieren diese Taktik bis heute. Hakeem Baba Ahmed, der das Büro des Senatspräsidenten leitet, hält sie jedoch für erfolgreich: "Meiner Meinung nach sind die Nigerianer versöhnt. Das ist bereits nach dem Krieg geschehen." Dass trotzdem Unstimmigkeiten da sind, gibt er zu: "Aber wir lernen, uns zu versöhnen. So wie wir hätten nur sehr wenige Nationen überlebt."
Versöhnung muss langfristig und nachhaltig sein
So optimistisch wie Ahmed sind jedoch längst nicht alle Nigerianer. "Einige Jahre nach dem Krieg hat es zwar erste Gesten der Versöhnung gegeben", sagt der 27-jährige Jurist Obinna Edeh. So sei 1979 mit Alex Ekwueme ein Igbo zum stellvertretenden Präsidenten gemacht worden. Dennoch vermisst Edeh einen nachhaltigen Prozess: "Versöhnung darf nicht am Gutdünken der jeweiligen Regierung hängen."
Biafra-Anhänger nennen mangelnde Versöhnung häufig als Grund für die aktuelle Forderung nach Unabhängigkeit. Hakeem Baba Ahmed ist jedoch überzeugt: Ein eigener Staat löst keine Probleme. Dennoch zeigten die Bestrebungen, dass endlich fundamentale Dinge angesprochen werden müssten: "Das sind Armut, schlechte Regierungsführung und Wirtschaft. Junge Menschen brauchen Jobs. Haben sie diese, dann ist es egal, wo sie leben. Ob im Osten, Norden oder Westen: sie werden zufrieden sein."
Paddy Kemdi Njoku geht das nicht weit genug. Neben einer Aufarbeitung des Krieges fordert er, künftig verstärkt an die Opfer zu erinnern. Beispielsweise könnten Veranstaltungen rund um den "Tag der nigerianischen Armee", der ebenfalls am 6. Juli begangen wird, ausgeweitet werden. "Damit gehen wir einen Schritt weiter und gedenken aller Menschen, die unglücklicherweise aufgrund von Missverständnissen der Vergangenheit gestorben sind."