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Politik

Hoffen auf Biafra

Katrin Gänsler
29. Mai 2017

Biafra war lange das Synonym eines grausamen Krieges, der zwischen 1967 und 1970 tobte. 50 Jahre später macht der Begriff im Südosten Nigerias erneut Hoffnungen auf ein besseres Leben. Aus Enugu Katrin Gänsler.

Nigeria Biafra | Poster
Pro-Biafra-Bewegungen machen in Enugu WerbungBild: DW/K. Gänsler

Egal, ob auf Bierflaschen, Flaggen oder Postern am Straßenrand: im Südosten Nigerias ist die aufgehende Sonne immer wieder zu sehen. Sie ist Symbol für einen Staat, den es längst nicht mehr gibt: Biafra. Er wurde am 30. Mai 1967 ausgerufen. Zweieinhalb Jahre wurde erbittert und schonungslos gekämpft. Doch mit der Niederschlagung der Separatisten war Biafra ab Januar 1970 lange Zeit ein Tabu-Thema.

Fünfzig Jahre später wird Biafra wieder offen auf den Straßen diskutiert. In der Stadt Enugu, Biafras erster Hauptstadt, spricht Kingsley Okah mit großer Leidenschaft und Überzeugung über den Staat, der schon lange Geschichte ist. Der 27-Jährige hat Politikwissenschaften studiert und ist im einstigen Biafra-Gebiet groß geworden. Genau diesen Staat fordert er zurück. In einem Land, in dem mehr als 185 Millionen Menschen leben, die 250 ethnischen Gruppen angehören, fühlt er sich als Igbo marginalisiert. Und das, obwohl seine Ethnie eine der größten in Nigeria ist. Okah schimpft auf die Regierung des amtierenden Präsidenten Muhammadu Buhari, der Muslim ist und aus dem Norden stammt: "In der aktuellen Regierung ist niemand aus dem Osten."

Blick auf Enugu, die einstige Hauptstadt BiafrasBild: DW/K. Gänsler

"Biafra ist die Lösung"

Nicht nur, dass er sich in Nigeria nicht vertreten fühlt - der junge Mann empfindet die ethnische Zusammensetzung der Regierung gar als Bedrohung: "Wenn sie planen, die Menschen aus dem Osten zu ermorden, dann können sie das ohne Probleme tun. Wir müssen für unsere Rechte kämpfen. Biafra ist die Lösung." Es ist eine Meinung, die in den vergangenen zwei Jahren offenbar immer populärer geworden ist. Es sind vor allem junge Menschen, die sie teilen. In diesen Tagen wird der Ruf nach Biafra besonders laut geäußert, denn die Unabhängigkeitserklärung liegt genau 50 Jahre zurück: Am 30. Mai 1967 erklärte Militärgouverneur Chukwuemeka Odumegwu Ojukwu nach zwei Staatsstreichen und schweren ethnischen Auseinandersetzungen Biafra zum eigenen Staat. In Enugu erinnern daran gerade zahlreiche Plakate. Kingsley Okah erzählt, dass er dabei sei, eine Konferenz für Jugendliche zu organisieren.

Für die Renaissance Biafras hat vor allem einer gesorgt: Nnamdi Kanu, Anführer der Bewegung Indigene Menschen für Biafra (IPOB, Indigenous People of Biafra). Bis vor Kurzem saß er im Gefängnis, da ihm Verschwörung und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation vorgeworfen wurden. Dagegen protestierte etwa die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Seit Ende April ist er gegen Kaution auf freiem Fuß.

Die Angst vor dem Norden

Nnamdi Kanu hat im Haus seiner Eltern in Umuahia im Nachbarbundesstaat Abia Unterschlupf gefunden. Seit er hier ist, empfängt er zahlreiche Gäste. "Das Leben ohne Biafra ist nicht mehr lebenswert. Wir haben Nigeria 56 Jahre lang ausprobiert. Aber nichts ist passiert. Wir wollen etwas Neues", sagt er im DW-Gespräch. Seine Anhänger hören ihm gerne zu. 

Nnamdi Kanu, Anführer der IPOB-Bewegung, kämpft für Biafra - und empfängt seine Anhänger in seinem ElternhausBild: DW/K. Gänsler

Im Laufe des Gesprächs wird Kanu konkreter: Seiner Meinung nach haben Christen aus dem Süden keine Möglichkeit mehr, ihre Religion im muslimischen Norden auszuüben. Ebenso schlimm sei es um die wirtschaftliche Entwicklung bestellt: "Diejenigen, die Nigeria regieren, sind meist die Haussa und Fulani aus dem Norden. Sie schaffen kein Umfeld für eine wirtschaftliche Entwicklung. Die einfachen Menschen sind verbittert."

Dann soll der Süden doch gehen

Das sind schwere Vorwürfe gegen die Haussa und die Fulani. Sie machen auch Said Mu'asu, der aus Jigawa stammt, heute aber in der Hauptstadt Abuja lebt, ärgerlich: "Niemand schikaniert die Igbo im Norden, weder auf regionaler Ebene noch auf lokaler. Selbst in den entlegensten Dörfern leben sie friedlich in ihren Gastkommunen." Er hält die Anschuldigungen, die Igbo würden benachteiligt, schlichtweg für falsch.

"Es sind doch gerade die Igbo, die die Wirtschaft organisieren und überall sind." Händler anderer ethnischer Gruppen hätten häufig das Nachsehen. Said Mu'asu zuckt mit den Schultern und sagt: "Wenn sie gehen wollen, sollen sie das tun."

Politikwissenschaftler Kingsley Okah will für die Unabhängigkeit demonstrierenBild: DW/K. Gänsler

Kein zweiter Biafra-Krieg

Es ist eine Aussage, die auch Kingsley Okah gefallen dürfte. In Enugu redet er sich immer mehr für Biafra in Rage. Nur zum Schluss hält er einmal inne: "Ich werde nicht zur Waffe greifen, um zu kämpfen." Statt einer blutigen Auseinandersetzung wie in den 1960er-Jahren fordert er einen intellektuellen Kampf über die Medien und friedliche Proteste. Verlässliche Zahlen, wie viele sich diesen anschließen dürften, gibt es jedoch nicht. Auch einen Zeitplan und Ideen für eine inhaltliche Ausgestaltung hat bisher niemand vorgelegt.