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Politik

Migration: Führen wieder alle Wege in die USA?

Nicolas Martin
22. Januar 2021

Die USA sind noch immer der Sehnsuchtsort vieler notleidender Lateinamerikaner. Nach Trumps Politik der harten Hand stehen die Zeichen auf einen Neuanfang in der Migrationspolitik. Sind die Hoffnungen berechtigt?

USA Washington | Inauguration von Joe Biden | Celebrating America | Joe Biden
Hoffnungsträger vieler Migranten: der neue US-Präsident Joe BidenBild: Chip Somodevilla/Getty Images

Es sind der menschlichen Zivilisation unwürdige Bilder: Mit Tränengas und Schlagstöcken gehen Sicherheitskräfte gegen Menschen vor. Darunter auch Frauen und Kinder. So geschehen vor knapp einer Woche in dem zentralamerikanischen Land Guatemala. Nur mit Gewalt konnte die erste sogenannte "Karawane" von Migranten gestoppt werden. Vereinzelte Gruppen zogen wohl weiter in Richtung Norden mit dem Ziel USA. Der Großteil der nach Medienberichten insgesamt 9000 Menschen zog sich wieder zurück - über die Grenze in ihr Heimatland Honduras.

"Schlimmer kann es eigentlich nicht werden"

"Die Karawane aus Honduras spiegelt die Hoffnung vieler Migranten wieder, die mit dem neuen US-Präsidenten verbunden sind", schreibt Victor Clark, Professor an der San Diego State University und Direktor des Binationalen Zentrums für Menschenrechte in der Grenzstadt Tijuana in einem Mailwechsel mit der DW.

Trumps Prestigeprojekt: die Mauer zwischen den USA und MexikoBild: Jerry Glaser/Zuma/Imago Images

Clark hat erlebt, wie sich die USA unter Donald Trump in den vergangenen Jahren noch weiter abgeschottet haben. Schon lange vor Trumps Präsidentschaft trennte eine Mauer aus Beton und Stahl das mexikanische Tijuana vom reichen Kalifornien. "Unter Trump wurde einen Teil davon modernisiert. So wurde es noch schwerer in die USA zu kommen." Mit Biden hoffen Menschenrechtler wie Clark auf einen Strategiewechsel. "Schon möglich, dass wir da vielleicht zu viele Erwartungen haben, aber schlimmer kann es eigentlich nicht werden."

Doch die Regierung Biden hat schon direkt nach der Amtsübernahme klare Signale gesendet. So soll Trumps Herzensprojekt - der Mauer - die Finanzierungsgrundlage entzogen werden. Biden schickte zudem bereits einen Gesetzentwurf an den Kongress. Der sieht vor, dass Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in den USA eine Chance auf einen Titel bekommen sollen - auf lange Sicht auch die US-Bürgerschaft. Das könnte rund elf Millionen Menschen betreffen. Zudem erließ Biden einen Abschiebestopp für 100 Tage. In dieser Zeit sollen die US-Einwanderungsbestimmungen überarbeitet werden. Auch bei der Sprache bemüht sich der neue US-Präsident um Ausgleich: So soll das Wort "alien" - also Fremder - durch das Wort "noncitizen" - übersetzt Nichtstaatsbürger - in allen Gesetzestexten ersetzt werden, um "Amerika als Land der Einwanderer" anzuerkennen.

Der Direktor der Lateinamerika-Denkfabrik "The Dialogue" in Washington, Michael Shifter, rechnet nun mit einem menschlicheren Ansatz bei Fragen der Migration. "Es wird eine Abkehr von der restriktiven und grausamen Politik Trumps geben", schreibt Shifter auf DW-Anfrage.

Vor allem in Zentralamerika rund um das sogenannte Dreieck, bestehend aus den Ländern Honduras, Guatemela und El Salvador, sind die Erwartungen groß. Die Corona-Pandemie, Naturkatastrophen und die schlechte wirtschaftliche Lage lassen vielen Menschen keine andere Wahl als die Migration, berichtet Inés Klissenbauer, Referentin für die Region beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. "Die Leute flüchten nicht einfach so, sondern aus purer Not." Klissenbauer geht davon aus, dass sich Biden zunächst um die Migranten kümmern werde, die schon seit vielen Jahren ohne Aufenthaltstitel in den USA leben.

"Abschottung, Stigmatisierung und Militarisierung"

Doch auch südlich der US-Grenze gibt es viele Stellschrauben für eine Neuausrichtung. Da ist zum einen das von Donald Trump erlassene Dekret "Remain in Mexico". Circa 60.000 Menschen sind deshalb in den vergangenen beiden Jahren aus den USA nach Mexiko abgeschoben worden. Dort warten sie - teilweise schon seit Jahren - auf ihr Asylverfahren.Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fordert ein Ende des Dekrets und berichtet von Gewalt an Familien, Vergewaltigungen und Traumata jenseits der US-Grenze.

Inés Klissenbauer fordert eine Neuausrichtung der US-MigrationspolitikBild: Martin Steffen/Adveniat

Auch die Militarisierung der Südgrenze im Rahmen des Programms "Frontera Sur" hat unter Trump neue Formen angenommen. Seine Zollandrohungen auf mexikanische Exporte sollen den amtierenden mexikanischen Präsidenten Manuel López Obrador dazu angetrieben haben, aufzurüsten und kaum noch Migranten aus Zentralamerika durchzulassen. Das berichtet auch Victor Clark. In der Grenzstadt Tijuana kämen derzeit fast nur noch Binnengeflüchtete aus Mexiko an. Das liege zum einen an der Pandemie, aber auch an der zunehmenden Abriegelung der Südgrenze zwischen Mexiko und Guatemala.

Inés Klissenbauer von Adveniat hofft vor allem darauf, dass unter Biden "Migration in die USA wieder unter geregelten Umständen möglich" sei und die Politik der "Abschottung, Stigmatisierung und Militarisierung" ein Ende habe. Außerdem benötige es dringend wieder Schutzprogramme für besonders gefährdete Menschen. Als Vorlage gibt es beispielsweise den bereits von George Bush eingebrachten "Temporary Protected Status" (TPS). Dieser ermöglichte Menschen aus Bürgerkriegen oder Naturkatastrophen, eine temporäre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in den USA. Trump setzte das Gesetz aus.

Gut bewacht: Mexikos Südgrenze am Fluss SuchiateBild: El Universal/ZUMA Wire/dpa/picture alliance

Biden, dem eine große Nähe zu Lateinamerika nachgesagt wird, will auch die Fluchtursachen bekämpfen. Dafür hat er in seinem Brief an den Kongress vier Milliarden Dollar in den nächsten vier Jahren für El Salvador, Honduras und Guatemala versprochen. Die Gründe für Flucht zu bekämpfen sei oberste Priorität, sagt auch Klissenbauer. "Aus Honduras fliehen jeden Tag 150 Personen. So lange diese Länder in so einem Zustand sind, wird sich daran nichts ändern."

Risiken einer neuen Willkommenskultur

Auch wenn die Zeichen auf Veränderung in der Migrationspolitik stehen, muss die Regierung Biden die vielen angedeuteten Pläne politisch auch umsetzen. Auch Obama war beim Thema Migration eher restriktiv. Die Zahl der Abschiebungen schnellte in seinen ersten Amtsjahren erstmal nach oben. Das heute viel kritisierte Programm "Frontera Sur" stammt aus seiner Regierungszeit. Einer Regierung, der Biden als Vizepräsident acht Jahre angehörte und deren Versuch einer Reform der Einwanderungsgesetze misslang.

Er könne sich vorstellen, dass Biden dort erfolgreich sei, wo seine Vorgänger scheiterten, so Michael Shifter von "The Dialogue". Doch Biden wisse auch, dass eine völlig neue Willkommenskultur "auch große Risiken birgt und Flüchtlingsbewegungen auslösen könnte, die nur schwer zu kontrollieren sein werden". Shifter geht deshalb davon aus, dass Biden eine klare Richtung einschlagen wird, aber dabei "langsam und vorsichtig" vorgeht.

In Tijuana machten sich die verblieben Migranten wieder Hoffnung. "Vor allem, dass es wieder möglich sein wird, Asyl zu beantragen", berichtet Victor Clark. Dass sich aber von heute auf morgen radikal etwas ändern könnte, das glaubt der Menschenrechtler nicht - dafür hat er schon zu viele Präsidenten erlebt. Die Mauer vor seiner Haustür ist seitdem immer dicker geworden. "Die gehört mittlerweile schon zum Bild unserer urbanen Grenzlandschaft. Die wird nicht verschwinden. Das kann ich mir auch gar nicht mehr vorstellen."

 

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