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KonflikteUkraine

Bidens Kehrtwende: Kyjiw darf weitreichende Waffen nutzen

18. November 2024

Immer wieder hat die Ukraine die USA gebeten, den Einsatz von Raketen mit großer Reichweite auch gegen Ziele tief in Russland zu erlauben. Bisher hat Washington das abgelehnt. Jetzt gibt es offenbar einen Sinneswandel.

Eine ATACMS-Rakete wird abgefeuert
Ein ATACMS-Raketensystem im Einsatz (Archivbild)Bild: U.S. Army/Avalon/Photoshot/picture alliance

US-Präsident Joe Biden hat Insidern zufolge der Ukraine den Einsatz von US-Waffen mit größerer Reichweite gegen Ziele tief im russischen Staatsgebiet erlaubt. Die entsprechenden Beschränkungen seien aufgehoben worden, sagten US-Vertreter internationalen Nachrichtenagenturen. Die ersten Angriffe dürften mit amerikanischen ATACMS-Raketen ausgeführt werden, die eine Reichweite von etwa 300 Kilometern haben, so die Gewährsleute.

Die "New York Times" berichtete unter Berufung auf US-Regierungskreise, die Raketen dürften zunächst gegen russische und nordkoreanische Soldaten in der Grenzregion Kursk eingesetzt werden, um die ukrainische Armee dort zu unterstützen. Demnach änderte Biden seine Haltung, nachdem bekannt wurde, dass Russland nordkoreanische Truppen in der Region Kursk stationiert hat.

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Das Verteidigungsministerium und der Nationale Sicherheitsrat der USA wollten die Berichte auf Nachfrage zunächst nicht kommentieren, dementierten diese aber auch nicht. Bisher hatte Biden der Ukraine den Einsatz von US-Waffen auf Ziele in Russland nur zur Abwehr der russischen Offensive in der ostukrainischen Stadt Charkiw erlaubt. Hier durfte Kyjiw das Raketenwerfersystem Himars mit einer Reichweite von rund 80 Kilometern einsetzen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert seit Monaten eine Freigabe westlicher Langstreckenwaffen für Angriffe tiefer im russischen Landesinneren. Die ukrainische Seite argumentiert, der Einsatz dieser Waffen könnte das Kriegsgeschehen maßgeblich zu Gunsten der Ukraine beeinflussen.

Drastische Warnung aus Moskau

Eine deutliche Warnung kommt derweil aus dem Parlament in Moskau. Die US-Regierung riskiere "ernsthaft den Beginn eines Dritten Weltkriegs, der in niemandes Interesse ist", sollte sie der Ukraine erlauben, mit solchen US-Waffen Ziele tief in Russland anzugreifen, sagte die Abgeordnete Maria Butina. Die Biden-Administration versuche, die Lage zu eskalieren, solange sie noch an der Macht sei. Butina äußerte die Hoffnung, dass der designierte US-Präsident Donald Trump diese Entscheidung, sollte sie getroffen worden sein, rückgängig machen werde.

Präsident Wladimir Putin hatte im September gewarnt, dass eine Zustimmung des Westens zu einem solchen Schritt "die direkte Beteiligung der NATO-Staaten, der USA und europäischer Länder am Krieg in der Ukraine" bedeuten würde, da die militärische Infrastruktur und das Personal der NATO in die Zielsetzung und das Abfeuern der Raketen involviert sein müssten.

Der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Auftritt kürzlich in SotschiBild: MAXIM SHIPENKOV via REUTERS

Ende Oktober sagte Putin, dass sich das russische Verteidigungsministerium auf mehrere Reaktionsmöglichkeiten vorbereite. Putin, der vor mehr als zwei Jahren den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hatte, wirft dem Westen fortwährende Eskalation vor.

Polen begrüßt den US-Schritt

Die polnische Regierung befürwortete die Entscheidung der USA. Biden habe auf die Entsendung nordkoreanischer Truppen nach Russland und die massiven russischen Raketenangriffe auf die Ukraine "in einer Sprache geantwortet, die Wladimir Putin versteht", schrieb Außenminister Radoslaw Sikorski im Onlinedienst X. "Das Opfer einer Aggression hat das Recht, sich zu verteidigen", fügte er hinzu.

Auch die deutsche Außenministerin begrüßte den Schritt. Bei der Selbstverteidigung der Ukraine gehe es nun darum, "dass man nicht abwartet, dass die Rakete erst über die Grenze fliegt", sagte Annalena Baerbock. Manche ukrainischen Orte seien so dicht an der Grenze zu Russland, dass die Luftverteidigung nicht helfe, weil die Rakete viel zu schnell einschlage. "Jetzt geht es darum, dass man die militärischen Abschussbasen zerstören kann", so die Ministerin. Dies sei "im Rahmen des internationalen Rechts, des Selbstverteidigungsrechts".

Neue Taurus-Debatte?

Die Entscheidung der USA dürfte in Deutschland kurz vor den absehbaren Neuwahlen die Debatte über eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine neu anfachen. Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt dies entschieden ab. Er hat erklärt, angesichts der Reichweite von 500 Kilometern müsse Deutschland die Kontrolle über die Zielführung behalten. "Wenn wir das täten, wären wir beteiligt an dem Krieg", sagte er im April.

Der Kanzler hält an seinem Nein zur Lieferung weitreichender Marschflugkörper vom Typ Taurus an die
Ukraine auch nach der Kursänderung der US-Regierung fest. "Ja, die Bundesregierung war darüber informiert und nein, es hat keine Auswirkungen auf die Entscheidung des Bundeskanzlers, Taurus nicht zu
liefern", sagte ein Regierungssprecher am Montag in Berlin.

Gibt es bald eine neue Debatte über den deutschen Marschflugkörper Taurus?Bild: Matthias Balk/dpa/picture alliance

Andere deutsche Spitzenpolitiker fordern jedoch ein Umschwenken. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat Zustimmung für eine Lieferung der Waffen signalisiert. Der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, sagte am Sonntag, er würde als Regierungschef die Raketen an die Ukraine liefern. In einer Meinungsumfrage Ende April lehnte eine Mehrheit der Deutschen die Lieferung dagegen ab.

Wie verhält sich Trump?

Biden ist nur noch wenige Wochen im Amt, am 20. Januar wird der wiedergewählte Ex-Präsident Donald Trump vereidigt. Der Rechtspopulist hat sich im Wahlkampf gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Es ist unklar, ob er die neue Regelung fortführen würde. Auch prominente Mitglieder seiner republikanischen Partei haben gefordert, die Vorgaben für die Ukraine zu lockern. Umstritten ist in den USA, wie groß die Auswirkungen auf den Kriegsverlauf sein dürften. Die Ukraine hat zuletzt Geländeverluste vor allem im Osten hinnehmen müssen.

Die neue US-Regelung könnte die Verhandlungsposition der Regierung in Kyjiw bei etwaigen Gesprächen mit Moskau über eine Waffenruhe stärken. Trump hat angekündigt, den Krieg schnell beenden zu wollen. Bislang hat er nicht enthüllt, wie er dies erreichen will.

Heftige russische Luftangriffe

Russland hatte die Ukraine in der Nacht zum Sonntag erneut mit massiven Luftangriffen überzogen, die sich insbesondere gegen die Energieinfrastruktur richteten. Elf Zivilisten wurden dabei getötet. Bei einem Angriff am Sonntagabend in der nordöstlichen Stadt Sumy wurden nach Behördenangaben zehn weitere Menschen getötet, unter ihnen zwei Kinder.

Feuerwehrleute bekämpfen einen Brand nach einem Luftangriff in SumyBild: State Emergency Service of Ukraine in Sumy region/Handout/REUTERS

Moskau habe rund 120 Raketen und 90 Drohnen auf die Ukraine abgefeuert, erklärte Wolodymyr Selenskyj. Dabei seien die Hauptstadt Kiew und weitere Regionen im Süden, Zentrum und Westen des Landes ins Visier genommen worden. Rund 140 Geschosse seien von der Luftabwehr abgeschossen worden.

Nach den Worten von Außenminister Andrij Sybiha war es einer der bisher "heftigsten Luftangriffe" Russlands seit Kriegsbeginn. Aufgrund der entstandenen Schäden werde am Montag die Stromversorgung landesweit eingeschränkt, teilte der staatliche Betreiber des Stromnetzes, Ukrenergo, mit. 

kle/wa (rtr, afp, dpa)

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