Jenseits des Alltags
21. September 2008Es ist dunkel. Sphärische Klänge ertönen, überall flimmert es. In den langgestreckten Hallen stehen Bildschirme und beleuchtete Exponate. Eine große, durchsichtige Blase hängt wie ein riesiges Gehirn im Raum. Blitze zucken, wenn man sich darunter stellt. Und es ertönt der Herzschlag des Besuchers, der sich auch als Licht-Muster abbildet. Die Installation des österreichischen Architektur-Büros "Coop Himmelblau" visualisiert einen Raum ohne klare Grenzen, bei dem der Mensch durch seinen Puls den Raum definiert - ein Experiment, das bereits 1971 ersonnen wurde und hier erstmals als Prototyp visualisiert wird.
Auch die Star-Architektin Zaha Hadid ist hier vertreten: Sie demonstriert mit einer großen verschlungenen Skulptur, die zugleich Möbelstück und Haus sein will, wie die Grenzen zwischen Design und Architektur verschwimmen.
Frage nach der Zukunft von Architektur
Mit seinem Biennale-Motto "Dort draußen - Architektur jenseits des Bauens" wirft der künstlerische Leiter der Biennale, Aaron Betsky, die Frage nach der Zukunft von Architektur auf - in Gestalt von Raum-Utopien und Denkgebäuden. Er habe es wirklich notwendig und wichtig gefunden, eine Debatte über eine ganz neue Sicht auf die Architektur zu eröffnen.
Er habe zeigen wollen, dass Architektur mehr sei als ein Gebäude: "Es ist eine kritische Kunst, die unser Denken viel stärker miteinbeziehen kann. Architektur sollte mehr sein als nur eine Gebäudeschachtel", sagt Betsky.
Architektur kann Augen öffnen
Die üblichen Häuslebauer haben auf dieser Biennale nichts verloren, auch wenn es immer wieder ganz pragmatische Vorschläge gibt: Zum Beispiel eine grüne, etwa ein mal zwei Meter messenden Box, deren Inhalt sich – wie ein Film im Zeitraffer demonstriert – in nur acht Minuten in eine Zimmereinrichtung mit Bett und Schreibtisch verwandeln lässt. Praktisch für die Nomaden der Neuzeit.
Das Grundproblem, so der Biennale-Direktor, sei die Vorstellung, die Architekten als Konstrukteure von Gebäuden können die Probleme der Umwelt oder der Gesellschaft lösen. Er fasst ihre Rolle weiter: Sie könnten keine endgültigen Antworten auf unsere Fragen geben. Sie könnten uns aber über ihr Produkt hinaus in eine Diskussion darüber verwickeln, was gute Architektur sei und was sie leisten könne und solle. Architekten könnten in einer sehr spezifischen Weise technische Lösungen anbieten, Möglichkeiten aufzeigen, auf die wir nicht ohne Weiteres alleine kommen würden. Und sie könnten zuallererst unsere Augen öffnen.
Biennale-Löwe geht an Polen
Die Länderpavillons greifen das Thema ganz unterschiedlich auf: Viele widmen sich Umweltproblemen oder sozialen Fragen. Da ist nicht immer Architektur die beste Antwort, sondern vielleicht auch ein Schulgarten wie der Beitrag der USA zeigt.
Den Löwen für den besten Pavillon erhielten jedoch die Polen, die mit raffinierten und doch simplen Foto-Collagen das Biennale-Thema auf ironisch-erschreckende Weise konsequent aufgreifen.
Versuch, die Zukunft zu visualisieren
Grzegorz Piatek, einer der Kuratoren, sagt, sie hatten versucht, die Zukunft zu visualisieren. Das heiße aber nicht einfach, mit der Form zu spielen. Ihnen sei es darauf angekommen, die Dauerhaftigkeit der Gebäude zur Diskussion zu stellen. Sie hätten angesehene Neubauten ausgewählt, die so täten, als könnten sie ewig stehen. Diese würden in einer komplett neuen Realität nach einer großen sozialen oder ökonomischen Krise gezeigt. "Es gibt eben mehrere Möglichkeiten, das Thema der diesjährigen Biennale zu interpretieren: Architektur nach dem Bauen", wendet Piatek ein.
Sie zeigen das aktuelle Foto eines Neubaus neben der Collage und demonstrieren so die Radikalität der künftigen Veränderung. Für den jüngst eröffneten neuen Flughafen-Terminal in Warschau beispielsweise sehen sie in 30 Jahren aufgrund von Energiekrise und Pleiten der Fluggesellschaften keine Zukunft mehr. Die steigenden Nahrungsmittelpreise legen eine Rückkehr zur Selbstversorgung nahe, bei der das Gebäude als landwirtschaftlicher Betrieb umgenutzt wird und auf dem begrünten Rollfeld Kühe und Enten weiden – das ist Architektur konsequent weitergedacht, so wie es der Biennale-Titel suggeriert.