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Kunst

Venedig feiert die Freiheit der Kunst

13. Mai 2017

In Venedig hat die Kunst-Biennale 2017 begonnen. Es ist ein Festival der Künste in unruhigen Zeiten. Das Motto des Spektakels am Lido lautet: "Es lebe die Kunst. Viva!" Ein Rundgang.

Drei Figuren ohne Gesichter
Bild: DW/S. Dege

Vieles fühlt sich an wie immer: Touristen belagern die Lagunenstadt. Übervolle Vaporetti stampfen durch die Wellen, vorbei an ehrwürdigen Pallazzi und prächtigen Piazze. Aber in diesen Tagen wirkt der Run auf die Kunst noch intensiver als sonst: Die Biennale ist - nach der ersten documenta-Station in Athen - schon der zweite große Paukenschlag dieses Kunstsommers. Die globale Kunstkarawane macht Station am Lido. Danach  rufen die documenta in Kassel, die Skulpturenprojekte in Münster, im Herbst schließlich die Biennalen von Istanbul oder Lyon. Überschüssiges Geld lässt sich zwischenzeitlich auf der Art Basel ausgeben.

Biennale am Lido: Kunst bis zum Abwinken Bild: DW/S. Dege

Aber noch steckt das Super-Kunstjahr in den Kinderschuhen. Künstler, Sammler, Galeristen, Journalisten und Museumsleute halten das Smartphone gezückt, wenn sie durch die 80 Länderpavillons auf den Giardini schlendern oder die von der Französin Christine Macel kuratierte Biennale-Schau in Augenschein nehmen. 120 Künstler hat sie für ihren Ausstellungsparcours eingeladen, der neun Kapitel umfasst, darunter 103 Biennale-Neulinge. Und so flimmert die venezianische Luft derzeit vor Neugierde und Kunstsinn. Noch nie, so scheint es, wurde auf einer Biennale so viel geknipst wie dieses Mal.

Verstörende Kunst im preisgekrönten deutschen Pavillon

Das gilt ganz besonders für den deutschen Pavillon. Anne Imhof bespielt ihn, der Shootingstar unter Deutschlands Künstlerinnen. "Faust"heißt ihre Live-Performance aus Menschen, Tieren und Zeichnungen. Imhof hat einen gläsernen Zwischenboden in den Pavillon einziehen lassen, über den das Publikum schreitet, während die Akteure unter ihnen umherhuschen und rätselhafte Bewegungen vollführen. Ein Esel und zwei Dobermänner treten auf, sphärische Klänge ertönen und steigern sich zu ohrenbetäubendem Wummern. Eine Barbusige tigert vor und zurück, als wäre sie im Raubtierkäfig eingesperrt. Ein Ruck geht durch die Zuschauer. Viele murmeln. Niemand lacht. Verstörung total ob so viel rätselhafter Körperlichkeit.

Der Deutsche Pavillon holte sich den Goldenen LöwenBild: picture-alliance/dpa/A. Merola

Da kann auch Susanne Pfeffer, die Kuratorin und Förderin Imhofs, zufrieden sein. Die Länge der Warteschlange war wohl ein gutes Omen: Der Deutsche Pavillon gewann das Rennen um den Goldenen Löwen, den Biennale-Preis für den besten nationalen Beitrag. In der gleichen Liga spielt da höchstens noch der US-Pavillon. Hier hält Mark Bradford Hof, ein Maler aus Los Angeles, der mal monochrome, mal fröhlich farbdurchwirkte Tableaus aufhängen ließ, eine phallusartige Skulptur dazustellte und  den Turm des historischen Pavillons mit Goldfarbe auspinselte.

Weniger bunt, dafür umso multimedialer, lässt sich die Feier der Kunst im russischen Pavillon an. Raffinierte Licht- und Akustikeffekte garnieren die Parade seltsamer Fabelwesen, die wie Zitate aus der Kunstgeschichte wirken. Max Ernst und Picasso lassen grüßen. Und da ist die junge Fotografin Sahsa Pirogova, die mit streng choreographierten Videosequenzen aufwartet.

Projektoren im russischen Pavillon Bild: DW/S. Dege

Feier des Werks von Geta Bratescu

Kaum einen Steinwurf weiter geht es sehr ruhig zu – denn im venezolanischen Pavillon herrscht kein Bürgerkrieg wie daheim. Hier huldigt der Kunstkritiker Juan Alberto Calzadilla Álvarez, ebenfalls unter Einsatz von Fotografie, Film und Zeichnung, der "Freiheit der Kunst". Die hat sich auch die große rumänische Künstlerin Geta Bratescu zeitlebens nicht nehmen lassen. Der Pavillon ihres Heimatlandes gewährt ihr eine Soloschau und Einblicke in das Atelier der mittlerweile 91-Jährigen. Das von Malerei, Skulptur und Gravur bis hin zu Fotografie und Tapisserie reichende Werk breitete sich vor den Biennale-Besuchern aus. Allein das wäre schon eine Reise nach Venedig wert.

Und noch mehr Entdeckungen ...

In den Pavillons Chiles und Argentiniens kommen dann wieder die Fotografen auf ihre Kosten. Chile stellt in großer Menge Masken von Angehörigen indigener Völker aus. Argentinien schindet mit einem gigantisch großen, weißen Pferd von Claudia Fontes mächtig Eindruck. Vor dem österreichischen Pavillon hat der Bildhauer Erwin Wurm einen ausgewachsenen Lastwagen kopfüber aufgestellt, während nebenan ein philippinischer Künstler kurzerhand die Geschichte der Kolonisation umschrieb - und ummalte. Bei so viel schwarzem Humor fährt einem der Schreck in die Glieder.So viel Kunst, so viel Staunen: Wer nicht in Panik verfällt angesichts ihrer überbordenden Fülle, den spült der Besucherstrom in die Biennale-Hauptschau von Christine Macel, wo weitere Entdeckungen warten: Da versperren die kunstvoll gewebten Vorhänge der Portugiesin Leonor Antunes abrupt den Weg, um zugleich poetische Aus- und Durchblicke zu gewähren. Da lockt die in Berlin lebende Französin Pauline Curnier Jardin durch eine Höhlenöffnung in Form einer Frauenhand. Im rot ausgeleuchteten Raum dahinter flimmert ein Film über die Leinwand, in dem eine nackte Tänzerin einen erotischen Tanz vollführt.

Dass Kunst ein Irrgarten sein kann, ein Spiel mit der Wahrnehmung ihrer Betrachter, das beweist schließlich die junge Polin Alicja Kwade. "Weltenlinie" hat sie ihre augenzwinkernde Rauminstallation aus Spiegeln und Stellwänden genannt. In Kwades Kunst geht es zu wie im wirklichen Leben – viele Wege führen zur Kunst-Biennale nach Venedig. Und für manche Erkenntnis braucht es Versuch und Irrtum.

Kolonisation modern interpretiert: Gefangene Weiße werden für den Kochtopf vorbereitetBild: DW/S. Dege
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