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"Triumph mit Tränen"

Sarah Judith Hofmann 7. November 2014

Wolf Biermann hat mit seinen Liedern wie kein anderer die DDR kritisiert. 25 Jahre nach dem Mauerfall spielt er gemeinsam mit dem "Zentralquartett" im Berliner Ensemble. Ein Gespräch über Musik, Tränen und Freiheit.

Liedermacher Wolf Biermann
Bild: picture-alliance/dpa

Wolf Biermann und die Freejazzer vom Zentralquartett (Ernst-Ludwig Petrowski, Conny Bauer, Uli Gumpert, Günter "Baby" Sommer) lernten sich zu Beginn der 70er Jahre in der DDR kennen. Während Biermanns Lieder verboten wurden und er schließlich des Landes verwiesen wurde, konnten die Musiker vom Zentralquartett bis zuletzt in der DDR auftreten. Ihre Freundschaft hält - trotz der Mauer, die sie jahrelang trennte - bis heute an. Ein Interview wollen Wolf Biermann und der Schlagzeuger vom Zentralquartett, Günter "Baby" Sommer, nur gemeinsam geben.

Deutsche Welle: Herr Biermann, nach Ihrer Ausbürgerung aus der DDR 1976 lebten Sie im Westen. Herr Sommer, Sie waren 1989 in der DDR. Wie haben Sie den 9. November 1989 erlebt, diesseits und jenseits der Mauer?

Wolf Biermann: In Hamburg. Ich saß heulend vor der Glotze.

Sie durften nicht nach Berlin fahren?

Biermann: Einige Tage vorher, am 4. November, fand ein großes Treffen auf dem Alexanderplatz statt. Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley rief mich an und sagte: "Wolf, du musst kommen und uns deine Lieder singen". Ich wollte das machen. Ich hatte gerade ein Lied über Egon Krenz geschrieben (Anm. der Redaktion: Seit dem 17. Oktober 1989 war Krenz als Nachfolger Erich Honeckers SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR). Natürlich kannten die Parteibonzen das längst, denn ich wurde auch in Hamburg immer sehr gut beobachtet von der Staatssicherheit. Und die dachten gar nicht daran, mich auf dem Alex dieses "Hetzlied" singen zu lassen. Sie haben mich nicht reingelassen. Also bin ich mit hängendem Schwanz wieder zurück gefahren, traurig, wie das eben so ist: In der DDR geht's los und ich, der so übertrieben viel dafür getan hat, mit meinen Gedichten und Liedern, ich bin nicht dabei!

Günter Sommer: An diesem 9. November hatte ich ausgerechnet eine Einladung zu einem Workshop mit Musikern in Oberösterreich. Und ich höre diese Nachricht vom Fall der Mauer im Autoradio und ich bin so fasziniert, dass ich nicht gesehen hab, wie die Straße eine scharfe Rechtskurve macht und rase geradeaus weiter geradezu in eine Baustelle rein. Das Auto wurde abgeschleppt, ich musste drei Tage zwangsweise in einer oberösterreichischen Stadt verweilen und ich war so unglücklich, dass ich nicht in Berlin und nicht zu Hause sein durfte. Es war auch grauenvoll für mich.

Biermann und das Zentralquartett. Sommer links neben ihmBild: Gilles Soubeyrand

Biermann lacht laut: Warum soll es dir besser gehen als mir?

Herr Biermann, knapp einen Monat nach dem Fall der Mauer - am 1. Dezember 1989 - durften Sie erstmals wieder in der DDR, in Leipzig, ein Konzert geben. Mehr als 20 Jahre nachdem man Sie aus diesem Land rausgeworfen hatte. Was war das für ein Gefühl? Triumph?

Biermann: Es war ein Triumph, aber wenn der Triumph einen so viel Tränen gekostet hat, so viele Ängste, wenn man so gezittert hat jahrelang... Tag und Nacht hatte ich immer zwei, drei Autos hinter mir, meine Freunde wurden eingesperrt, weil sie meine Lieder sangen und ich wurde nicht eingesperrt. Weil sie wussten: Wenn wir den Hund einsperren, dann verbreiten sich die Lieder noch mehr. Dann denkt man an so viele gute Leute, die kaputtgegangen sind, über die keiner redet, weil sie einfach weg sind, weil sie nicht berühmt sind. Um die Wahrheit zu sagen: So ein Triumph, wenn man ihn wirklich erlitten und erkämpft hat, kann gar keiner sein.

In Ihrem berühmten Lied "Ermutigung" singen Sie: "Du lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit... du lass dich nicht verbittern, in dieser bittren Zeit". Gab es Zeiten, in denen Sie dachten, dass Sie es selbst nicht schaffen, dass Sie in dieser harten Zeit, doch verhärten, verbittern?

Biermann: Natürlich. So ein Lied schreibt man im Grunde immer auch für sich selbst und nicht für die Menschheit. Die Wahrheit ist: wenn es nicht wenigstens für einen selber gut ist, können es andere schon gar nicht gebrauchen. Das Lied hat sich dann von mir losgelöst, und wurde von vielen Leuten im Gefängnis gesungen. Für die war das eine Art Krücke, an die sie sich halten konnten, ein Stück Seelenbrot, von dem sie essen konnten in ihrer Zelle.

Was war das für ein Gefühl, als Sie nach dem Konzert in Köln vom 13. November 1976 ausgebürgert wurden?

Biermann: Ich streckte alle viere von mir und sagte: Mein Leben ist zu Ende. Natürlich wusste ich, dass ich noch weiterleben würde, ich war auch kein Kandidat für Selbstmord. Trotzdem wusste ich: Das Leben des Liedermachers Biermann ist zu Ende. Wer will denn überhaupt noch etwas von mir hören? Die, für die ich die schreibe, sind auf der anderen Seite der Welt, hinter dem eisernen Vorhang, und die, wo ich jetzt gelandet bin, im Westen, die verstehen überhaupt nichts von mir. Grauenhafte lange, vier fünf Jahre irrte ich herum wie ein nacktes Kind im Schneematsch. Es war tragisch und auch lächerlich. Ich habe große Töne gespuckt, weil ich dazu verurteilt war, berühmt zu bleiben. Sonst hätten die Bonzen im Osten zu so Leuten wie Baby Sommer gesagt: Na, du kleines Arschloch, reiß hier mal nicht das Maul auf, wo ist denn dein Biermann jetzt geblieben, die große Fresse, die kennt keiner mehr, seit wir ihn rausgeschmissen haben, ist der doch vergessen.

Nach seinem Konzert in Köln 1976 wurde Biermann aus der DDR ausgebürgertBild: picture-alliance/dpa

Auf Ihre Ausbürgerung folgte ein Aufschrei, öffentlicher Protest vor allem von Künstlern in der DDR. Herr Sommer, wie haben Sie damals die Ausbürgerung Wolf Biermanns erlebt? Sie waren ja noch in der DDR.

Sommer: Wir haben unmittelbar nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann ein Stück in unser Programm genommen, das war ja auch ein Risiko für uns, nämlich "Soldat, Soldat". Wir haben das nicht nur gespielt, wir haben das auch darstellerisch exerziert. Wir haben Wolf Biermann verehrt. Außerdem konnten wir die pazifistische Einstellung von uns Jazzmusikern ausdrücken. Für uns in der DDR waren die Lieder von Biermann - auch schon bevor wir uns kannten - eine Ermutigung, auf unserem Weg weiterzumachen.

Sie kennen sich seit mehr als 50 Jahren. Wie war ihre erste persönliche Begegnung?

Biermann: Na, das kann ich mir gut merken. Ich schrieb eine Ballade mit dem schönen Titel "Bilanzballade im 30. Jahr" und weil ich ja verboten war, musste ich die zu Hause aufnehmen, ich konnte in kein Tonstudio.

Biermann beginnt die Ballade zu singen und haut dabei nach jeder Strophe auf den Tisch: Nun bin ich dreißig Jahre alt / und ohne Lebensunterhalt / und habe Lehrgeld schwer bezahlt / und Federn viele gelassen.

Und diesen blöden Knall, den ich hier auf der Tischplatte mache, den hat der Baby Sommer produziert. Da aber vor meiner Haustür jeden Tag und Nacht sechs Spitzel rumlümmelten, konnte er nicht mit seinem riesigen Schlagzeug anreisen. Also ist er mit seinem wichtigsten Instrument gekommen, das er hat, das sind seine Hände. Statt eines Schlagzeugs hat er dann eine Keksdose genommen, die war halb voll mit Matchboxautos von meinen Kindern und die hat er auf den Fußboden knallen lassen. Und dann kam die Platte raus und die Wessies hörten nun aus dem Osten dieses Lied und fingen an zu rätseln: Wie haben diese Ossis diesen geilen Ton hingekriegt? Wir konnten leider aber auch nicht damit angeben, weil ich ja auf der Platte nicht seinen Namen nennen durfte. Die Verbindung zu mir hätte ihn ruiniert.

Wie sind Sie, Herr Sommer, ausgerechnet mit Freejazz in der DDR durchgekommen? Immerhin ist allein der Name ihrer Band doch recht ironisch: "Zentralquartett" wie das Zentralkomitee der SED. Hatten die Machthaber der DDR etwa doch Humor?

Sommer: Nein, das hatten sie nicht. Der Jazz galt zu stalinistischen Zeiten als Subkultur des imperialistischen Lagers. Später wurde aber eine gewagte Uminterpretation vorgenommen. Mit der Ermordung von Martin Luther King hat man plötzlich gemerkt, dass der Jazz ja die Musik der unterdrückten Arbeiterklasse in den USA ist, die Musik der Farbigen. Das hat vieles geändert. Wir haben nicht mit Texten gearbeitet. Damit hatten wir einen Freiraum. Wir waren an der Peripherie des ganzen Kulturgeschehens. Es gab nun mal kein Gesetz über den Ton F oder Fis.

Günter "Baby" Sommer trat mit dem Zentralquartett 1990 zum ersten Mal im "Westen" aufBild: picture-alliance/dpa

Biermann: Wenn wir über Freejazz reden... Bei den amerikanischen Jazzern bedeutet das Wort "free" nichts anderes, als dass sie sich befreien von den Zwangsnormen des traditionellen Jazz. Und jetzt schwappte also diese neue Mode aus dem Westen rüber in den Osten, in eine Diktatur und plötzlich kriegt das Wort "free" eine politische Konnotation. Gar nicht politisch gemeint, roch es verführerisch aufreizend nach Freiheit. Also erlebten die Freejazz-Leute seelische Orgasmen, die sie im Westen gar nicht kriegen konnten, weil sie in einer Demokratie lebten. Und von diesem Vorteil haben diese Jungs natürlich profitiert. Insofern müssten sie, wenn sie ehrlich sind, sagen: Wir verdanken der Partei alles. Denn ohne die Unterdrückung dieser Schweinehunde wäre unser Freejazz im Osten nicht so eingeschlagen. Für mich gilt das auch. Ich verdanke der Partei auch alles. Ich war ein kleiner Drachentöter. Mein Holzschwert war meine Gitarre. Aber was macht der Drachentöter, wenn es keinen Drachen gibt? Das ist ja schrecklich. Dann wird er eine Schießbudenfigur.

Wolf Biermann engagiert sich auch heute noch politisch, war erst kürzlich in der Ukraine und hat ein Lied über den russischen Präsidenten Wladimir Putin geschrieben. Am Abend des 8. November wird er es nicht spielen. Der Abend, so sagt er, gehört dem Gedenken an den Mauerfall vor 25 Jahren.

Das Gedenkkonzert findet am 8. November um 20 Uhr im Berliner Ensemble statt.

Das Gespräch führte Sarah Judith Hofmann

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