Big Data im Artenschutz
28. Oktober 2014 Als im September 2014 in Mosambik zwei Wilderern auf der Jagd nach Elfenbein Handschellen angelegt wurden, war das Internet schuld. Das winzige Camp der Wilddiebe in der Nähe eines Reservats von der Größe Dänemarks war Umweltschützern bei Google Earth aufgefallen, schreibt das Umweltnachrichtenportal Mongabay in einem Bericht. Demnach haben Satellitenbilder nicht nur die Reifenspuren ihrer Fahrzeuge, sondern auch die Position der Hütten verraten, in denen die Wilderer lebten.
Als die Geschichte publik wurde, musste der Naturschutzbiologe Julian Bayliss unwillkürlich an eine eigene Erfahrung denken, die er vor etlichen Jahren gemacht hatte. Damals arbeitete Bayliss, der heute in Mosambiks Nachbarland Malawi aktiv ist, noch bei den königlichen botanischen Gärten in London, den sogenannten Kew Gardens. Dank derselben Quelle, Google Earth, entdeckte er einen Flecken dicht bewachsenen, grünen Regenwalds, den es an dieser Stelle offiziell gar nicht gab.
Aufgrund dieser Entdeckung machte sich der Biologe im Jahr 2005 mit einem Team auf den Weg. Dieser Flecken Erde sollte sich als der größte intakte Regenwald im Süden Afrikas herausstellen, jahrzehntelang durch politische Unruhen völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Der Wald war Heimat für Dutzende bislang nicht kategorisierter Arten.
In den folgenden Jahren hat sich die Technologie weiterentwickelt. Forscher müssen sich eher durch einen Berg von Messdaten vor ihrem Computerbildschirm graben, um Antworten auf ihre drängenden Fragen zu finden. Mit der Machete in der Hand durch unerforschten Wald müssen sie nur noch selten.
Die wegbereitenden Werkzeuge von heute sind dreidimensionale Abbildungen, die detaillierte Informationen über die Beschaffenheit unbekannter Landstriche liefern können. Die Daten kommen dabei aus verschiedenen Quellen, dem Hyperspektralbereich etwa, wenn Wellenlängen des Lichts aus dem elektromagnetischen Spektrum genutzt werden, um unterschiedliche Materialien, Objekte oder Vegetation zu identifizieren. Oder es helfen Lidar Scanner, die mittels Lasern Entfernungen ermitteln können oder aber Geoinformationssysteme, die räumliche Messdaten verarbeiten.
“Es ist so möglich, direkt in eine dreidimensionale Architektur des Waldes zu blicken”, sagt Bayliss. “Auf dieser Grundlage der Konturen und vielleicht sogar der Wasserläufe, die den Wald durchkreuzen, bekommen wir sogar ein besseres Verständnis, ein klareres Bild, von dem, was vor sich geht, als wenn wir tatsächlich vor Ort wären.”
Fernerkundungen sind besonders dann effektiv, wenn es um die Überwachung von Umweltzerstörungen, wie Abholzungen, geht. Die Erkenntnisse können mit anderen Daten kombiniert werden, zum Klima beispielsweise, oder Ortsmarken von Tieren, um herauszufinden, welche Arten in bestimmten Gegenden gefunden werden können.
Interdisziplinäre Herausforderungen
So wertvoll diese neuen Technologien für die Biologen auch sein mögen, für sie erdacht worden sind sie nicht. Zum überwiegenden Teil sind sie Landschaftsforschern zu verdanken, die mit Regierungen zusammen Gebiete erkundet haben, um dort etwa nach abbaubaren Bodenschätzen zu fahnden.
Biologen erkannten schnell das Potenzial der Fernerkundung für ihre Arbeit. Es wurde für sie aber auch notwendig, sich neue Fähigkeiten anzueignen, um die Vorteile der neuen technologischen Möglichkeiten auch nutzen zu können. Ein integrierter Ansatz, zwischen Disziplinen die traditionell weniger miteinander zu tun hatten.
Der Biologe Kamran Safi leitet am Max-Planck-Institut für Ornithologie das Labor der Abteilung für Migration und Immunökologie. Er sieht in dieser Situation einige Fallstricke: Geographen, Ingenieure und Biologen verwenden oft unterschiedliche Terminologien und auch die akademische Belohnungen für diese Art der interdisziplinären Forschung könne begrenzt sein. Trotzdem würden solche Kooperationen bereits heute die Entwicklungen in der Fernerkundung mitgestalten.
“Das Zusammenspiel findet genau jetzt statt”, sagt Safi. “Die Gemeinschaft der Fernerkunder erkennt einen Wechsel des Fokus inzwischen an, weg von Mensch-bezogenen Fragen, mehr hin zu ökosystembezogenen Fragen."
Die Daten sichtbar machen
Der neue Reichtum an Umweltdaten bringt auch fachübergreifende Ansätze in den Journalismus. Das Projekt InfoAmazonia ist ein Beispiel dafür. Es macht über Satellitendaten Abholzung, Waldbrände und Bergbau im Amazonas auf interaktiven Karten sichtbar.
“Ich wollte eine Schnittstelle schaffen, an der man beides machen kann, themenbezogene Nachrichten lesen und die zugehörigen Daten sehen, um die Wechselbeziehungen deutlich zu machen. Journalismus wird zu einer Informations-Ebene, die mit den Daten, die von Satelliten kommen, zusammenspielt,” erklärt der InfoAmazonia-Gründer Gustavo Faleiros. “Um das zu schaffen, musste ich sehr eng mit Programmierern und Designern zusammenarbeiten.”
InfoAmazonia setzt heute auf eine breite Basis von verschiedenen Datensätze. Es geht nicht nur um Schäden an der Umwelt, sondern auch um Gesundheitsaspekte, Abwasser und Zwangsarbeit, mit Videos und Geschichten, die Inhalte liefern.
Nutzer können sich verschiedene Datensätze ansehen und sie miteinander vergleichen, um den menschlichen Einfluss auf den Amazonas Regenwald zu verstehen.
Wenn es aber darum geht, die großen Fragen der Umwelt-Wissenschaften nach dem Zusammenspiel des gesamten Ökosystems zu beantworten, muss eine noch weit höhere Bedeutungsebene bestiegen werden.
“Wie funktioniert das Zusammenleben der Arten? Das ist so etwas wie der heilige Gral der Ökologie”, sagte Safi. “Das Thema, Ökosysteme in ihrer gesamten Komplexität zu sehen, finde ich besonders interessant und gleichzeitig sehr schwer zu fassen. Es ist ein sehr enges Netz, dieses Zusammenspiel der Arten und was mit dem gesamten Gefüge passiert, wenn man nur an einem kleinen Faden zieht.”
Safi warnt davor zu glauben, dass der Zugang zu immer mehr Informationen sofort zu größeren Erkenntnissen führt. Vielmehr werfe das auch neue Fragen auf - Wie soll man etwas Vernünftiges aus dieser riesigen Menge an Daten machen?
Open data und das Digitalisieren der Vergangenheit
Die Global Biodiversity Information Facility (GBIF) wurde im Jahr 2001 eingerichtet, um die Daten zur biologischen Vielfalt, die aus Museen und Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt kommen, zur Verfügung zu stellen. Diese Daten kommen aus Hightech-Quellen und erfordern hochspezialisierte Arbeit, die genetische Sequenzierung zum Beispiel, aber auch von Amateur-Naturforschern und Laienwissenschaftlern.
“Man kann sich jeden auf der Welt, der Interesse an der Natur und eine Digitalkamera hat, als Teil eines riesigen Sensor-Netzwerkes vorstellen”, sagt Donald Hobern, Geschäftsführer bei GBIF. “Das Netzwerk fördert hochinteressante Dinge zu Tage. Ich interessiere mich beispielsweise besonders für eine Familie von Motten, die sogenannten Federmotten. Das zweite überhaupt bekannte Exemplar dieser Motten aus Taiwan tauchte als Bild bei Flickr auf.”
Es kommt nicht auf die Größe des Datensatzes an, sondern was man daraus macht
Die digitalen Datensätze von GBIF haben inzwischen die 500-Millionen-Marke überschritten. Daraus gewonnene Daten werden dazu genutzt, die Ausbreitung invasiver Arten nachzuvollziehen oder den Effekt des Klimawandels auf die Artenvielfalt. Es wird möglich, bestimmte Regionen mit besonderem Bedarf nach Schutz ausfindig zu machen und den Effekt von Schutzmaßnahmen zu überprüfen.
“Was wir hier schaffen wollen, ist das Bereitstellen der Werkzeuge, um das bestmögliche digitale Modell zu verwirklichen, mit dem man jede Art zu jeder Zeit an jedem Ort auffinden kann”, sagt Hobern. “Heute haben wir vor allem jede Menge Aufzeichnungen, aber möglicherweise fehlt es uns noch an Modellen, um deren Bedeutung zu verstehen.”
Safi beschreibt dies als eine Art Übergangszeit, in der die Herausforderungen nicht darin besteht, Daten zu sammeln, sondern vielmehr darin, zu verstehen, was mit ihnen zu tun ist. Er warnt seine Studenten am Max-Planck-Institut jedenfalls davor, bevor sie sich in die Feldforschung stürzen, zu prüfen, ob die Daten nicht vielleicht schon irgendwo vorhanden sind.
"Wir nutzen die Daten, die wir bisher gesammelt haben, noch nicht in ausreichendem Maße", sagt er. "Aber das zu tun sind wir den Generationen von Wissenschaftlern vor uns, die diese Datenmengen gesammelt haben, schuldig. Wir sind es aber auch den Tieren schuldig, die Messinstrumente getragen haben oder an denen in Testumgebungen geforscht wurde, um uns mit Daten zu versorgen und auch den Steuerzahlern. Wir sind es im Prinzip dem ganzen System schuldig, die vorhandenen Daten effektiv zu nutzen."