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Bildergeschichten (16)

Tillmann Bendikowski5. September 2012

Und der Zukunft zugewandt… 1953: Der Komponist Hanns Eisler geht schlecht gelaunt nach Hause.

Hanns Eisler, Musiker, Komponist, Oesterreich, verlaesst Polizeiwache in Berlin-West. Urhebervermerk: ullstein bild
Bild: Ullstein

Der wackere Schutzmann scheint diesen Moment ein wenig zu genießen: Die West-Berliner Polizei hatte sich am 17. Juli 1953 einen der bekanntesten Köpfe der jungen DDR geschnappt und ihn demonstrativ mit auf die Wache genommen: Hanns Eisler, der Musiker und Komponist, Schöpfer der DDR-Hymne und eines der kulturellen Aushängeschilder Ost-Berlins. Man warf ihm vor, sich im volltrunkenen Zustand eine Schlägerei mit Polizisten am Bahnhof Zoo geliefert zu haben. So jedenfalls kolportiert es die westliche Boulevard-Presse in der politisch aufgeheizten Atmosphäre einen Monat nach dem Aufstand vom 17. Juni in der DDR. Soweit es sich heute rekonstruieren lässt, hat es wohl doch keine Prügel gegeben, aber fraglos unschöne Pöbeleien. Denn Hanns Eisler hatte wieder einmal eine seiner gelegentlichen – pardon – Sauftouren unternommen. Die ist nun erkennbar zu Ende, der Künstler kann nach Hause gehen.

Nach Hause? Rückblickend muss man sich fragen, ob die DDR wirklich das Zuhause dieses Mannes sein konnte, der ein Weltbürger war, zerrissen und getrieben von den Zäsuren und Katastrophen des 20. Jahrhunderts: 1898 in Leipzig geboren, verbringt er Kindheit und Jugend in Wien, muss für zwei Jahre in den Ersten Weltkrieg ziehen, ehe er Schüler von Arnold Schönberg wird. Seine Arbeit vor allem mit Ernst Busch und Bertolt Brecht macht ihn berühmt und berüchtigt, als Revolutionär versteht er sich, arbeitet mit den Wiener Arbeiterchören, komponiert Kampflieder und schafft die Musik für den Film "Kuhle Wampe". 1933 verjagen ihn die Deutschen, bis 1938 findet er Zuflucht in verschiedenen europäischen Ländern, dann für zehn Jahre in den USA. Nach einem Jahr in Wien siedelt er dann 1949 in die DDR über.

Heute wird Hanns Eisler (wie oft genug schon zu Lebzeiten) auf seinen musikalischen Klassenkampf reduziert, zuweilen auf seine Vertonung von Johannes R. Bechers "Auferstanden aus Ruinen". Vergessen wird sein gewaltiges Engagement, mit dem er für musikalische und politische Ideale focht, seine intellektuelle Reichweite und seine Fähigkeit, Menschen zu unterhalten. Politische Irrtümer sind in einem solchen Leben nicht nur möglich, sondern eigentlich zwingend notwendig; seiner Anerkennung als feste Größe deutscher Kulturgeschichte steht das aber im Wege. Vor 50 Jahren, am 6. September 1962, starb Hanns Eisler. Möglicherweise erinnern sich die Nachgeborenen zu diesem Anlass auch daran, dass Eisler am liebsten auf verstimmten Kneipenklavieren spielte. Vielleicht hatte so ja auch jene Tour im Juli 1953 begonnen…

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