Rettungssumme liegt bei 700 Milliarden
30. März 2012 "Da kommt der Mann mit dem Geld!" So wurde Bundesfinanzminister Schäuble bei einer Diskussionsveranstaltung mit Studenten in Kopenhagen vom Moderator empfangen. Wolfgang Schäuble lächelte wissend, machte eine abwehrende Geste und der Saal amüsierte sich. Nicht nur die dänischen Studenten, sondern auch die übrigen 16 Finanzminister der Euro-Gruppe wissen, dass Deutschland als wirtschaftlich potentester Staat das Sagen hat. Für alle Rettungsschirme für schwächelnde Euro-Staaten muss Deutschland naturgemäß die größten Kreditgarantien aufbringen. Die Finanzminister folgten dementsprechend den deutschen Vorstellungen für die Vergrößerung der europäischen Rettungsfonds. Diese Brandschutzmauer soll ein Übergreifen der Staatsschulden-Krise auf Spanien und Italien verhindern.
"Zehn Billionen würden nicht reichen"
Die Zahlenspiele um die Brandmauer gehen Wolfgang Schäuble auf die Nerven: "Mein Ärger über manches dummes Gerede in den letzten Tagen ist gewesen, dass man so tut, als sei nur die Firewall, die Brandmauer wichtig", sagte Schäuble in Kopenhagen. "In die Firewall können Sie zehn Billionen reinsetzen, und es nützt gar nichts, wenn Sie die Probleme nicht lösen. Die Firewall ist dann nur eine Versuchung, die Probleme nicht zu lösen, die gelöst werden müssen." Die Schuldenstaaten und nicht nur die müssten sich zu Haushaltsdisziplin durchringen. Dazu sei der gerade geschlossene Fiskalpakt mit strengeren Regeln der richtige Weg, so Schäuble.
Der "Mann mit dem Geld" will lieber über die Pflichten reden, die die Krisenstaaten haben, ihre eigene Haushalten und Wirtschaftssysteme zu sanieren. Sie müssten langfristig wieder Vertrauen schaffen, Rettungsfonds würden nur für die notwenige Zeit sorgen. Genau so wichtig wie die Brandmauer sei zur Bekämpfung der Krise der Fiskalpakt, in dem sich 25 EU-Staaten zu strengerer Haushaltsdisziplin verpflichten.
Geschickte Rechnung mit alten Krediten
Durch Kombination von altem Rettungsfonds EFSF und neuem permanenten Rettungsschirm ESM soll das Ausleihvolumen bis zu 700 Milliarden Euro betragen, aber nur für eine Übergangszeit bis der neue Rettungsschirm 2013 voll einsatzfähig ist. Nur 500 Milliarden frisches Geld wird es geben. Dieser Variante hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel erst Anfang der Wochen nach monatelanger Ablehnung zugestimmt.
Wolfgang Schäuble überraschte am Vorabend des Treffens in Kopenhagen viele seiner Ministerkollegen und auch Klaus Regling, den Chef des bisherigen Rettungsfonds EFSF: Der Bundesfinanzminister warf noch weitere 100 Milliarden an bereits ausgezahlten Krediten an Griechenland und Programme der EU-Kommission in den großen Rettungstopf. Da war die Summe für die "Brandmauer" durch elegantes Rechnen also auf 800 Milliarden Euro angestiegen, so ein EU-Diplomat.
Die Finanzministerin von Österreich, Maria Fekter, setzte dem ganzen noch eine Krone auf. Sie sagte, "800 Milliarden Euro entsprechen umgerechnet mehr als einer Billion US-Dollar. Damit wäre die verlangte Summe ja erreicht." Der irische Finanzminister Michael Noonan fügte hinzu, "schließlich rechnen die Finanzmärkte ja in US-Dollar." Das magische Wort "Billion" hatten in den vergangenen Tagen die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die französische Regierung wieder einmal ins Spiel gebracht. Sie hatten aber von Euro und nicht von US-Dollar gesprochen.
"Märkte bekommen nie genug"
Die dänische Finanzministerin Margrethe Vestager sieht die Rechenkünste der Euro-Gruppe eher skeptisch. Sie ist die derzeitige Ratspräsidentin aller EU-Staaten. Dänemark hat den Euro nicht als Währung eingeführt. Ob die neuen Milliarden die Finanzmärkte wirklich beeindrucken können, stellt sie infrage. "Die Märkte sind eigentlich nie zufrieden zu stellen. Sie wollen immer mehr. Deshalb müssen wir jetzt sagen, das ist unsere Einschätzung, das ist unsere Brandmauer, die ist so hoch, so breit und so tief. Das ist das Ende der Diskussion." Wichtiger sei es, so Margrethe Vestager, den Finanzmärkten das Vertrauen in die Reformen in überschuldeten Staaten zurück zu geben. "Ich war ja früher schon einmal Ministerin für Religionsfragen", erzählt Vestager, "aber heute als Finanzministerin habe ich wesentlich mehr mit Glaubensfragen zu tun. Es geht eigentlich immer um das Vertrauen der Investoren."
Sollte der jetzt in Kopenhagen neu gezimmerte Rettungsfonds nicht ausreichen, würde es im Notfall noch eine stille Reserve geben. Nach Angaben aus Kreisen der EU-Kommission bestünde die Möglichkeit 240 Milliarden Euro zu mobilisieren, die heute unverbraucht als Kreditzusagen für den auslaufenden EFSF vorliegen. Dazu wäre aber ein Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs im Einzelfall nötig.
Juncker ist beleidigt
Der Vorsitzende der Euro-Gruppe verließ beleidigt das Treffen. Jean-Claude Juncker konnte nicht ertragen, dass die österreichische Finanzministerin Maria Fekter vorzeitig den Milliarden-Deal der wartenden Presse mitteilte. Juncker blies überraschend seine eigene Pressekonferenz ab. "Es gibt nichts mehr zu sagen", zischte er und verzog sich auf sein Hotelzimmer. Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, er sei erkrankt.
Auf jeden Fall ist der luxemburgische Ministerpräsident als Chef der Euro-Gruppe amtsmüde und möchte den aufreibenden Job im Sommer abgeben. Als Kandidat für den einflussreichen Posten ist der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble im Gespräch. Frankreich will aber Personalentscheidungen blockieren, bis einer neuer französischer Präsident Anfang Mai gewählt sein wird.
Die Euro-Gruppe will mit ihrem Beschluss zur Erhöhung der Brandmauer nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch den Internationalen Währungsfonds in Washington beeindrucken. Die IWF-Chef Christine Lagarde, die an dem Treffen in Kopenhagen teilnahm, hatte die Europäer aufgefordert, mehr Geld zur eigenen Rettung in die Hand zu nehmen. Nur dann sei der IWF bereit, einen Sonderfonds für Europa aufzulegen. In diesen Fonds will die Europäische Union 150 Milliarden Euro einzahlen. Ebenso viel sollen jetzt außereuropäische Staaten wie die Schwellenländer Indien, Brasilien, China und der größte IWF-Eigner, die USA, beisteuern. Darüber soll im April bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds entschieden werden.