Bin-Laden-Tötung auf rechtlichem Prüfstand
4. Mai 2011Große Bedenken hat der Völkerrechtler Christian Tomuschat. Eine gezielte Tötung bedeute: kurzer Prozess, kritisierte er im Zweiten Deutschen Fernsehen. Seiner Ansicht nach sei es sehr problematisch, ob nach Völkerrecht gezielte Tötungen außerhalb einer Kriegssituation zulässig sind.
Fairer Prozess auch für Verbrecher
Auch Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg, hält gezielte Tötungen für völkerrechtswidrig. Im Fernsehsender 3Sat sagte er, dass die Tötung Osama bin Ladens nicht legitim gewesen sei, wenn die eingreifenden Elitesoldaten den Auftrag hatten, ihn unter allen Umständen zu liquidieren.
Eine Festnahme bin Ladens hätte Priorität haben müssen, sind sich die meisten Juristen, die sich derzeit in Deutschland zu Wort melden, einig. Dann hätte man dem Al-Kaida-Führer einen rechtsstaatlich fairen Prozess machen können, wie es - auch für Verbrecher - in einem Rechtsstaat vorgesehen ist.
Andererseits dürfe nicht nur die Perspektive der Strafverfolgung sehen, sondern auch die Gefährlichkeit des Terroristenführers Osama bin Ladens als Symbolfigur und Finanzier des internationalen Terrorismus, gibt der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel zu Bedenken. Dann könnte man nach sorgfältiger Abwägung möglicherweise auch von Notwehr sprechen – ab dem Moment, in dem sich der Terrorist und seine Komplizen zu wehren begannen. Dann sei auch das gezielte Schießen legitimierbar.
Aus Notwehr erschossen?
Im deutschen Recht, erklärt Merkel weiter, würde man von einer Art defensivem Notstand reden. Das sei ganz nah an den Rechten der Notwehr – ein universales rechtliches Prinzip, das in allen Rechtskulturen gelte. So wie die USA den Vorfall darstellten, sei das Erschießen Osama bin Ladens legitimierbar gewesen. Allerdings, betont der Rechtswissenschaftler, müsse diese Tötung zur Beseitigung einer Gefahr geschehen sein, nicht um an jemandem Rache zu üben oder Gerechtigkeit auszuüben für vergangene Taten.
Aber wie verhält es sich mit der Notwehr, wenn die Zielperson, also hier Osama bin Laden, gar nicht bewaffnet war, sondern nur seine Komplizen? Das Weiße Haus hat inzwischen seine Darstellung korrigiert: Der Al-Kaida-Chef war demnach entgegen ersten Angaben doch nicht bewaffnet.
Anders ist die Lage in Libyen
Grundsätzlich definieren die USA die Aktion als Kriegsoperation. Dann würde Kriegsvölkerrecht gelten und dann dürfte man im Zweifel Kriegsparteien in jeder Situation liquidieren. Dass nicht nur Staaten in Kriegshandlungen verwickelt sein können, sondern auch organisierte Gruppen wie zum Beispiel Bürgerkriegsparteien, ist unstreitig. Aber ob Al Kaida darunter fällt, ist umstritten, zumal die Terrororganisation nicht mehr so einheitlich organisiert ist wie noch vor Jahren.
Anders übrigens ist die Lage in Libyen zu beurteilen: Muammar al Gaddafi ist ein Staatschef, damit gilt zweifellos Völkerrecht. Und nach allgemeinem Völkerrecht ist die Tötung eines Staatschefs nicht legitimierbar.
Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Michael Borgers