Biodiesel aus Schuppen und Flossen
15. Januar 2013Ausgenommene Fische liegen in blauen Plastikkörbchen. An den Förderbändern stehen hunderte Menschen mit Mundschutz und Haarnetz und schneiden die Fische in Form. So zeigt es das Werbevideo einer vietnamesischen Fischfabrik der Firma Hiep Thanh Seafood. Die Fische verlassen die Fabrik als schockgefrostete Filets. Zurück bleiben die Abfälle: Innereien, Schuppen, Gräten - 81 Tonnen pro Tag. Was wie Müll aussieht, ist in Wirklichkeit ein wertvoller Rohstoff: Aus den Fisch-Resten lässt sich Energie gewinnen.
Ähnlich wie bei Raps, Jatropha und anderen Ölpflanzen kann das Fett der Fischabfälle genutzt werden, um Biodiesel herzustellen. Dazu wird es als Fischöl abgetrennt und unter Zugabe von Methanol chemisch verändert. Nicht jeder Fisch eignet sich dafür: Voraussetzung ist ein hoher Fettgehalt, in Frage kommen also nur fettreiche Fischarten wie zum Beispiel Lachs oder Pangasius.
In Ländern wie Honduras, Finnland und Vietnam haben Fisch-Produzenten bereits Erfahrungen mit der Herstellung von Biodiesel aus Fischresten gesammelt. Vor allem in Südostasien dürfte es Interesse an der Technologie geben: sechs der zehn größten Aquakultur-Nationen liegen in der Region. Vietnam ist der drittgrößte Aquakultur-Produzent weltweit und Spitzenreiter beim Export von Pangasius. Etwa 3300 Kilometer Küste und das riesige Mekong-Delta bedeuten gute Bedingungen für die Fischzucht.
Lokal und klimafreundlich
Genau dort erkundet das EU-Forschungsprojekt Enerfish Wege, wie Fischabfälle in Biodiesel umgewandelt werden können und wie sich diese Energie intelligent nutzen lässt. Die Idee für das Projekt entstand wegen einer Reise nach Vietnam, sagt Aulis Ranne vom Technical Research Centre of Finland, das das Projekt koordiniert: „Ein Reiseführer hat uns von den zahlreichen Fisch-Produzenten und dem Strommangel vor Ort erzählt.“ Seit vergangenem Jahr ist im Süden Vietnams eine Anlage in Betrieb, die die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens testen soll. Vierzehn Meter lang, sechs Meter breit, fünf Meter hoch ist sie, eine mittelgroße Produktionsanlage. Noch muss an manchen Stellen nachgebessert werden, doch wenn die Anlage einmal mit voller Last läuft, soll sie pro Tag 13 Tonnen Biodiesel erzeugen.
Kerngedanke des Projekts ist es, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Biodiesel-Anlage und Produktionsstätten liegen nah beieinander. So können die Abfälle der Fabrik vor Ort zu Biodiesel verarbeitet werden; mit dem Biodiesel kann die Fabrik wiederum ihre Generatoren befeuern und so den eigenen Energiebedarf decken. "Die Fabrik braucht den Strom zum Kühlen und Einfrieren", sagt Aulis Ranne. Wird mehr Biodiesel produziert als verbraucht, kann die Fabrik ihn als Treibstoff weiterverkaufen. Eine lokale Energiequelle also, die fossilen Kraftstoff ersetzt. Nach Enerfish-Berechnungen wäre das auch gut fürs Klima: So ließen sich jedes Jahr fast 14.000 Tonnen CO2-Äquivalente einsparen.
Energiesicherheit im Fokus
Biodiesel an Ort und Stelle herzustellen, ist auch für die Fisch-Produzenten von Vorteil: Es macht sie unabhängig von Stromausfällen. In Vietnam wächst der Energiebedarf rasant, bis zum Jahr 2020 benötigt das Land geschätzt drei Mal mehr Strom als bisher. Schon jetzt ist das Netz nicht stabil, immer wieder fällt die Stromversorgung aus. Das ist ein Anreiz für Unternehmer: "Wenn man jeden zweiten Tag Sorge hat, dass das Kühlhaus auftaut, überlegt man sich das schon", sagt Tobias Schäfer vom TÜV Rheinland, einem der Enerfish-Projektpartner.
In der Energiesicherheit liegt auch für Son Ha-Dang vom vietnamesischen Projektpartner Research Center for Energy and Environment ein Haupt-Nutzen des Projekts. Eigener Biodiesel würde das Land unabhängiger von Kraftstoff-Importen machen. Bisher fehle es in Vietnam an Expertise im Bereich Biodiesel, sagt Son Ha-Dang: "Das Projekt hilft der Regierung, Erfahrung mit dieser Technik aufzubauen."
Neue Konkurrenz um begehrten Rohstoff
Wie oft bei der Einführung neuer Technologien hapert es bei Enerfish bisher noch an der Wirtschaftlichkeit. "Rechnerisch ist es grenzwertig", sagt Schäfer. Die Rahmenbedingungen in Vietnam sind schwierig: Zwar hat die vietnamesische Regierung Ziele zur Förderung von Biokraftstoffen festgeschrieben. Fünf Prozent des Kraftstoffbedarfs sollen bis 2025 mit nachwachsenden Rohstoffen gedeckt werden, ein Teil davon könnte aus Fischfett stammen. Nach wie vor setzt die Regierung aber auf fossile Treibstoffe, konventioneller Diesel wird subventioniert. Zudem kostet der Strom wenig, und Fischöl hat sich in den vergangenen Jahren zu einem begehrten Rohstoff entwickelt. Nahrungsmittelhersteller und die pharmazeutische Industrie reißen sich um das tierische Öl, und auch für Futtermittel-Produzenten haben Fischabfälle einen Wert.
Dass in Vietnam Konkurrenz ums Fischöl entstehen könnte, war vor ein paar Jahren noch nicht abzusehen, sagt Aulis Ranne: "Die Strukturen haben sich innerhalb kürzester Zeit komplett verändert." Das heißt aber auch, dass die Lage schon bald wieder ganz anders aussehen kann. Son Ha-Dang plädiert deshalb dafür, in Sachen Biodiesel abzuwarten: "Irgendwann wird es profitabel sein."
In der Zwischenzeit sind bereits andere Standorte im Gespräch. "Der nächste Schritt ist Brasilien", sagt Aulis Ranne. Auch Kenia hat Interesse an der Technik bekundet, das Verfahren könnte sich vor allem dort lohnen, wo Fischreste bislang einfach weggeworfen werden und die Energieversorgung schlecht ist. So bleibt Biodiesel aus Fischfett zwar ein Energieträger für die Nische – aber einer, der Ressourcen schont.