Kein Raubbau für Biomasse
17. April 2012 Neben Sonne, Wind und Wasser gilt Biomasse als eine klimafreundliche Energiequelle der Zukunft. Aus Mais und Pflanzenresten beispielsweise läßt sich Biosprit herstellen, aus Holz Strom und Wärme. Doch unumstritten ist diese neue Energie nicht, schließlich werden Pflanzen zur Gewinnung von Biomasse immer wieder auf Flächen angebaut, auf denen vorher Urwald stand, oder die für den Nahrungsmittelanbau vorgesehen waren. Wir haben mit Volker Lenz gesprochen. Als Bereichsleiter erforscht er am Deutschen Biomasseforschungszentrum die Stromerzeugung aus Biomasse.
Global Ideas: Energiegewinnung aus Biomasse – ja oder nein?
Volker Lenz: In Deutschland gehen rund drei Viertel aller erneuerbaren Energien auf Biomasse zurück. Ein großer Anteil sind Holzreststoffe, dazu kommen auch Biogas und Biokraftstoffe. Es geht also nicht darum, ob Biomasse genutzt wird, sondern wie. Das Thema wird zunehmend kontrovers diskutiert, und das auch zu Recht. Mittlerweile hat sich auch der Stand der Wissenschaft hierzu deutlich weiterentwickelt. Mais zum Beispiel zehrt den Boden aus. Daher muss darauf geachtet werden, dass mittels entsprechender Bewirtschaftung zum Beispiel durch den Anbau von Zwischenfrüchten die Bodenqualität erhalten wird.
Ein weiterer relevanter Punkt betrifft reiche Länder wie Deutschland, wenn diese ihr Energiesystem verstärkt auf Biomasse umstellen und dies zu Lasten anderer Länder geht. Wenn dabei nicht auf Nachhaltigkeitskriterien geachtet wird, kann es in den Exportländern zu einer Verdrängung von Nahrungsmitteln kommen und letztlich zur Tank-versus.-Teller-Frage – der Frage, ob der Anbau von Energiepflanzen Fläche in Anspruch nimmt, die dort für den Nahrungsmittelanbau benötigt werden.
Die Hälfte aller globalen Treibhausgasemissionen gehen auf unsere Nahrungsmittel zurück, hat die spanische Nichtregierungsorganisation Grain ausgerechnet: Bis zu 15 Prozent aller Kohlendioxidemissionen und anderer Treibhausgase fallen beim Anbau und dem Ernten an. Dazu kommt, dass sich der Anbau von Nahrungsmitteln immer weiter auch auf Waldflächen ausbreitet. Diese neuen Ackerflächen, die zu Lasten des Waldes gehen, sind für weitere 15 bis 18 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Den Rest der Emissionen teilen sich laut Grain der Transport von Nahrungsmitteln, die Verarbeitung und Verpackung sowie das Kühlen.
In Deutschland plant der Energiekonzern Vattenfall beispielsweise Biomassekraftwerke, die aber nicht allein durch das Holz aus der Region betrieben werden können. Deshalb soll Holz aus Liberia importiert werden. Macht das nicht die Klimabilanz zunichte?
Der Transportaufwand bei Schiffen ist vergleichsweise gering. Daher ist der Weg von Afrika nach Europa im Rahmen der Klimabilanz verträglich. Wenn man sich die Holzpotenziale in Deutschland ansieht, wird man einen massiven Ausbau größerer Biomasse-Kraftwerke oder der Mitverbrennung an Biomasse dauerhaft nur über Importe realisieren können. Wichtig ist allerdings die Frage zur Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards in den Ländern, in denen die Biomasse gewonnen wird.
Wie definieren sich diese "Nachhaltigkeitsstandards"?
Biomasse darf man nicht durch einen Raubbau an Regenwäldern gewinnen. Der Boden darf nicht ausgelaugt, Wasserressourcen nicht zu stark genutzt werden. Man muss auch auf soziale Aspekte Rücksicht nehmen: dass man beispielsweise den Menschen vor Ort nicht ihre Brennholzquellen entzieht, dass man keine Niedriglohn- oder Kinderarbeit unterstützt.
Silas Siakor, Leiter von Friends of the Earth Liberia, kritisiert, dass seinem Land die Holzkohle ausgeht, wenn das Holz exportiert wird, um europäische Wohnungen zu beheizen. Was ist dran an der Behauptung?
Grundsätzlich ist das Problem der meisten Entwicklungsländer, dass sie mit Holzkohle kochen, die nicht industriell hergestellt wird, sondern über sehr ineffiziente Köhler, was mit entsprechend hohen Verlusten und Umweltschäden verbunden ist.
Wäre es sinnvoll für Alternativen für die Menschen in Liberia zu sorgen, Solarkocher zum Beispiel?
Wir dürften die Kocher nicht verschenken, sondern müssten den Menschen beibringen, sie selber herzustellen und instand zu halten. Dann sollte dadurch ein Holzkontingent frei werden, dass ohne Raubbau an der Natur gewonnen werden kann. Wenn dann noch ein entsprechend fairer Preis bezahlt wird, damit im Exportland auch eine Wertschöpfung erzielt werden kann, wäre der Holzhandel letztlich nichts anderes, als der Import anderer Produkte wie tropischer Früchte zu fairen Preisen.
Laut Olivier De Schutter, dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, ist auch die Definition von verfügbarer Anbaufläche weltweit ein großes Problem: "Nach den Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) gibt es vierhundert Millionen Hektar verfügbare Anbauflächen, von denen rund zweihundert Millionen in der Subsahara-Region Afrikas liegen. Das Problem besteht darin, dass Anbauflächen als 'verfügbar' bezeichnet werden, wenn weniger als fünfundzwanzig Menschen pro Quadratkilometer dort leben. Diese Anbauflächen werden in der Realittät häufig von Kleinbauern oder Wanderhirten genutzt, die in vielen Fällen keine Eigentumstitel auf dieses Land vorweisen können, auf das sie trotzdem für ihr Überleben angewiesen sind. 'Verfügbare Anbaufläche' ist insofern ein irreführender Begriff."
Kann man denn so hohe Standards durchsetzen, die eine Verdrängung der Nahrungsmittelproduktion, Niedriglöhne und ein Ausverkauf des heimischen Feuerholzes ausschließen?
In einer idealen Welt: ja. In unserer Welt können wir dem nur nahe kommen. Die Schwierigkeit ist, die Unternehmen zu verpflichten, das umzusetzen und zu kontrollieren. Da wird man einen sehr langen und konsequenten Weg gehen müssen. Aber deshalb dürfen wir es nicht einfach sein lassen.
Man wird nie abschließend klären können, zu welchen Verschiebungsprozessen auf andere Flächen es genau kommt. Das lässt sich nur über ein globales Zertifizierungssystem lösen, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Derzeit lässt sich immer nur der konkrete Fall an einem konkreten Standort prüfen, ob alles zur Einhaltung der Nachhaltigkeit getan wird, was möglich und überprüfbar ist.
Interview: Johanna Treblin
Redaktion: Klaus Esterluss