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Bioterrorismus: Wie KI Biotechnologie zur Waffe macht

8. Oktober 2025

Zwei chinesische Forscher stehen im Verdacht, einen Pilz als Agroterrorismus-Waffe in die USA gebracht zu haben. KI und Biotechnologie werden zur neuen Sicherheitsherausforderung für westliche Demokratien.

Mikroskopaufnahme Pilz Fusarium graminearum
Der Pilz Fusarium graminearum verursacht "head blight" bei Getreide, eine Pilzkrankheit, die große Ernteschäden und Gesundheitsgefahren mit sich bringt. Bild: imago images/Ardea

Beispiele für Bioterrorismus oder Agrosabotage sind extrem selten klar belegt – das Feld ist oft geprägt von verdeckten Operationen, politischen Vorwürfen und Indizien. Der Fall "Fusarium graminearum" ist das bislang bestdokumentierte Beispiel für den Verdacht auf chinesisch gesteuerten Agroterrorismus gegen eine westliche Demokratie:

Verdächtige Proben im Gepäck

Im Juli 2024 wird Zunyong Liu, 34, Biologe an der Zhejiang-Universität in Hangzhou im Südosten Chinas, nach seiner Landung am Detroit Metropolitan Airport von Zollbeamten kontrolliert. Im Gepäck: ein Knäuel Taschentücher, Filterpapier mit kryptischen Kreisen, vier Plastikbeutel mit rotbräunlichem Pflanzenmaterial. Es handelt sich nicht um harmlose Kräuter, sondern um Fusarium graminearum, einen Pilz, den US-Behörden als "potenzielle Agroterrorismus-Waffe" einstufen, die ganze Ernten zerstören und sowohl Tiere als auch Menschen vergiften kann.

Liu gibt zunächst an, seine Freundin Yunqing Jian, Postdoc am Labor der University of Michigan, zu besuchen. Doch unter dem Druck der Ermittler gesteht er schließlich, die Proben bewusst versteckt zu haben, um sie im Labor zu klonen und für weitere Versuche zu verwenden. Auf Lius Handy finden FBI-Ermittler einschlägige Fachliteratur zur "Pflanzenpathogen-Kriegsführung" und Chatprotokolle mit Jian, die auf abgestimmte Schmuggelpläne und frühere Versuche, verbotene Proben einzuführen hinweisen.

Bioterrorismus in den USA? Forscher aus China unter Verdacht 

So gerät die Freundin Jian ebenfalls rasch in den Fokus der Ermittler: Sie wird laut FBI von der chinesischen Regierung gefördert, ist treue Anhängerin der Kommunistischen Partei und forscht in Michigan an denselben Erregern. Die Ermittlungsbehörden werfen dem Paar Verschwörung, Schmuggel, Falschaussagen und Visabetrug vor.

Während Liu sofort nach China abgeschoben wird und für die US-Justiz nicht greifbar bleibt, sitzt Jian weiter in Untersuchungshaft und wartet auf ihre Kautionsverhandlung.

Schattenkrieg um Saatgut und Sporen

Bereits 2020 warnten mehrere US-Bundesstaaten vor unerwarteten Paketen aus China, die Einwohner erhalten hatten. Die Landwirtschaftsbehörden äußerten den Verdacht, dass es sich dabei unbekanntes Saatgut invasiver Pflanzenarten handeln könnte. "Invasive Arten richten verheerende Schäden in der Umwelt an, verdrängen oder zerstören einheimische Pflanzen und Insekten und fügen den Ernten schwere Schäden zu", erklärte das Landwirtschafts- und Verbraucherministerium des Staates Virginia in einer Pressemitteilung vom 24. Juli 2020.

Die USA gelten als eine "Kornkammer der Welt" aufgrund ihrer großen Weizenproduktion und der wichtigen Rolle als Exporteur dieses Grundnahrungsmittels. Bild: Joshua A. Bickel/AP/picture alliance

In den USA wächst nun die Sorge, dass das, was als wissenschaftlicher Austausch begann, Teil einer verdeckten Strategie zur Schwächung der amerikanischen Landwirtschaft durch einen strategischen Konkurrenten war. 

Sicherheitsexperten und Politiker sprechen von "ernsten nationalen Sicherheitsbedenken" – der Fall des chinesischen Forscherpaars wird zum Musterbeispiel für die neue Bedrohung durch Agroterrorismus im Zeitalter hybrider Kriegsführung: gezielte Angriffe auf die Nahrungsmittelproduktion durch das Einschleusen oder die gezielte Veränderung gefährlicher Erreger.

Zwar ist Fusarium graminearum bereits in den USA heimisch. Der Pilz lässt die Körner von Weizen und Gerste schrumpelig und klein werden. Bei Mais führt er zu Kolbenfäule. Die eigentliche Gefahr wäre aber eine genetisch veränderte Variante, gegen die keine Behandlung mehr hilft. Bislang fehlt der Nachweis, dass die geschmuggelten Proben tatsächlich manipuliert waren. Aber die Gefahr ist real und erschreckend.

Bioterrorismus und KI: Die neue Front im Schattenkrieg 

Neben klassischen Schmuggelmethoden gewinnt die Möglichkeit, Schadorganismen mithilfe synthetischer Biologie oder KI-gestütztem Proteindesign zu optimieren, an brisanter Bedeutung. Wissenschaftler warnen schon lange, dass Werkzeuge zur Veränderung von Pilzen, Sporen, Viren und toxischen Proteinen nicht nur friedlichen, sondern potenziell kriegerischen Zielen dienen könnten.

"Protein Engineering ist Dual-Use-fähige Forschung. Sie kann also enorm positive Effekte haben, etwa in der Impfstoffentwicklung, bei genbasierten Therapien, für individualisierte Diagnose- und Therapiekonzepte und für Krankheiten, für die bislang kaum oder wenig Behandlungen möglich sind", so Prof. Dr. Birte Platow, Professorin für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie an der Technischen Universität Dresden. Sie ist Mitglied im Vorstand des KI Kompetenzzentrums ScaDS.AI der TU Dresden/Universität Leipzig.

"Zugleich ist diese Forschung hochriskant, weil mit derselben Technologie potenziell schädliche Effekte verbunden sind – wie beispielsweise die unabsichtliche oder absichtliche Synthese von Genen, die gefährliche Proteine kodieren, etwa zur Entwicklung biologischer Kampfstoffe."

Auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) bestätigt, dass gerade Dual-Use-Technologien und KI-gestütztes Proteindesign Angriffe auf kritische Infrastruktur, Landwirtschaft und Lieferketten technisch einfacher und zugänglicher machen.

Ähnlich sieht dies auch Prof. Dr. Dirk Lanzerath von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Direktor des Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE): "Dual-Use-Technologien zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben einem zivilen Nutzen auch für militärische oder kriminelle Zwecke missbraucht werden können". Forschende stünden immer vor einem Dilemma: "Das KI-gestützte Proteindesign eröffnet einerseits Chancen für verbesserte Impfstoffentwicklung und beschleunigte Arzneimittelproduktion, birgt andererseits aber das Risiko, die Entwicklung biologischer Waffen zu erleichtern", so Lanzerath.

Bei der Bewertung von KI und Dual-Use-Forschung werden neben Forschenden auch Ethiker wie Lanzerath und Theologinnen wie Platow gezielt mit einbezogen. Die fachfremde Expertise soll helfen, Forschung im gesellschaftlichen Kontext zu verorten, Normen zu hinterfragen und Verantwortungsbewusstsein systematisch mit einzubeziehen.

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Sicherheitslücken bei der Herstellung KI-generierter Proteine

Erschwerend kommt bei der Risiko-Abwägung hinzu, dass die bisherigen Sicherheitsmechanismen nicht ausreichen: Eine aktuelle Studie zeigt, dass moderne KI-Modelle gefährliche Proteinvarianten erzeugen können, die den gängigen Kontrollsystemen entgehen.

"Die mit KI generierten Proteine können vergleichbare Eigenschaften haben wie in der Natur vorkommende Proteine, aber sich in der DNA-Sequenz unterscheiden. Handelt es sich dabei um ein potenziell gefährliches Protein, so 'übersehen' die Kontrollsysteme die Gefahr", erklärt Platow.

Fehlende Kontrolle: Globale Forschung in der Grauzone

Gerade die Geheimhaltung hochsensibler Forschung macht wirksame Kontrolle schwierig: Die meisten technologischen Fortschritte in KI und Biotechnologie entstehen in privaten oder staatlichen Laboren, die aus strategischen oder Patentgründen selten Einblick gewähren. Unabhängige internationale Kontrollinstanzen fehlen bislang, globale Überwachung findet nicht statt.

Es gibt bislang keine international wirklich verbindlichen und effektiv durchsetzbaren Regelwerke zur Kontrolle von Biotechnologie und KI. Die wichtigsten internationalen Abkommen sind das Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen (BWC/BWÜ) sowie das Cartagena-Protokoll zum Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen. Das BWC untersagt Entwicklung und Einsatz biologischer Waffen, verfügt aber über kein eigenes Kontroll- oder Verifizierungssystem – Verstöße sind deshalb nur schwer nachweisbar und Überwachungsstrukturen wie beispielsweise die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) fehlen völlig.

Regionale Initiativen, wie der EU AI Act, regeln den Umgang mit Hochrisiko-KI-Systemen und verlangen Transparenz sowie Risikomanagement, gelten aber ausschließlich innerhalb der EU.

Und so setzen die Wissenschaftscommunity und Firmen auf freiwillige Ethik-Kodizes und Selbstverpflichtungen, deren Wirksamkeit angesichts der rasanten technologischen Entwicklung und der Möglichkeit geheimer Forschungsprojekte allerdings sehr begrenzt ist.

Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit
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