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Politik

"Jerusalem ist nicht Washington”

21. Dezember 2017

Seit US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat, diskutiert die Stadt über die Folgen. Der evangelische Bischof Munib Younan plädiert für Vielfalt und für die Rechte aller Palästinenser.

Jerusalem Felsendom Stadtansicht
Bild: picture-alliance/AP/O. Balilty

DW: Am 6. Dezember hat US Präsident Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Was bedeutet dies für palästinensische Christen, die im besetzten Ostjerusalem leben?

Bischof Dr. Munib Younan: Zuerst möchte ich sagen: Jerusalem liegt uns Christen am Herzen. Wir denken, dass jegliche Veränderungen am Status Quo keinen Frieden in dieser Region bringen wird. Im Gegenteil. Damit trifft man den Nerv des israelisch-palästinensischen Konflikts. Jerusalem muss ein Ort des Friedens, der Gerechtigkeit und der Versöhnung sein.

Als zweites muss gewährleistet sein, dass der historische Status Quo der heiligen Stätten bewahrt und nicht verändert wird.

Und drittens, für uns Christen und für Muslime, liegt die Verwaltung der heiligen Stätten in Jerusalem in den Händen von König Abdullah II von Jordanien. Hätte Herr Trump gesagt, dass West-Jerusalem die Hauptstadt Israels ist und Ost-Jerusalem die Hauptstadt für die Palästinenser, wäre alles normal verlaufen. Aber er hat die Palästinenser wieder einmal ignoriert.

Munib Younan, Bischof von Jordanien und dem Heiligen Land: "Israelis und Palästinenser wollen Frieden, auch wenn Politiker etwas anderes sagen"Bild: ELCJHL/B.Gray

Was bedeutet Jerusalem für die palästinensische Gemeinde?

Jerusalem bedeutet uns Christen sehr viel: Es ist der Ort der Kreuzigung, der Auferstehung und seines Aufstiegs in den Himmel. Für die Muslime ist es die Stadt mit ihrer drittwichtigsten Moschee auf dem Haram al Sharif (Tempelberg, die Redaktion) und für die Juden ist es bedeutend wegen ihrer Tempel.

Jerusalem war immer ein Ort des Friedens und der Vielfalt für uns. Aber die Entscheidungen, die zuweilen in Jerusalem getroffen werden sind einseitig und nur für eine Nation, eine Religion gemacht. Und das macht uns Angst.

Der Konflikt in Jerusalem ist kein religiöser Konflikt. Es gibt keinen Streit darüber, weshalb alle drei Religionen Jerusalem als bedeutend ansehen. Es ist ein politischer Streit über die Souveränität. Wenn Muslime, Christen und Juden sich über Jerusalem einig sein können, können wir den Konflikt lösen. Jedes Narrativ ist richtig und emotional und wir müssen es akzeptieren. Das macht die Vielfalt dieses Ortes aus. Wir alle haben eine enge Bindung zu Jerusalem: Juden, Muslime, Christen. Das darf man nicht unterschätzen. Jerusalem ist nicht Berlin, Jerusalem ist nicht Washington.

DW: Was sagen Sie ihren Gemeindegliedern, wie helfen Sie ihnen durch diese Zeit?

Ich sage meinen Leuten: Jesus Christus wurde in einer turbulenten und problematischen Zeit in Bethlehem geboren. Er wurde nicht zu einer Zeit geboren, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschte. Und selbst in diesen schwierigen Zeiten, wenn Politiker falsche Entscheidungen treffen, sollten wir nicht ignorieren, das wir Gott in uns tragen. Unser Gott ist allumfassend, er liebt das Gute wie das Böse, er liebt Palästinenser wie Israelis, er liebt uns alle, Muslime, Juden und Christen, sogar die Nicht-Gläubigen.

Man darf Gott nicht zu einem Stammes-Gott machen, der nur für den einen und gegen den anderen ist. In der Weihnachtszeit singen wir das Lied "Gloria" (in excelsis Deo, d. Red.) - also Ehre sei Gott in der Höhe ... allen Menschen Frieden.

Und das ist auch meine Botschaft: Frieden wird kommen, Gerechtigkeit wird kommen, Freiheit wird kommen. Und ich sage meinen Mitmenschen eines: Wandert nicht aus, verlasst dieses Land nicht. Was wird aus Jerusalem ohne Christen? Es wäre nicht das gleiche Jerusalem. Bleibt in Eurem Land!

Einer aktuellen Studie zufolge wandern noch immer Christen aus - so wie in den letzten Jahrzehnten. Wenn Jerusalem so wichtig ist für Christen, warum verlassen sie die Stadt?

Es gibt meiner Meinung nach vier hauptsächliche Gründe dafür: Zunächst - es gibt keine Aussicht auf Frieden in naher Zukunft.

Zweitens: Die Maßnahmen der (israelischen, d. Red.) Besatzung sind eine weitere Ursache. Man muss nur schauen, was hier passiert: Die Zunahme von Siedlungen, die Israelisierung von Jerusalem, die Beschränkungen bei der Familienzusammenführung. Wenn jemand einen Ehepartner im Westjordanland heiratet, dann können sie nicht zusammen in Jerusalem leben.

Drittens: Die Arbeitslosigkeit vor allem unter jungen Leuten unter 30 Jahren ist sehr hoch. Und letztlich ist auch der Extremismus sowohl in Palästina als auch in Israel gewachsen. Es ist deshalb einfacher, nach Deutschland auszuwandern, in die USA, nach Australien, Kanada - dort kann man in Frieden leben, man ist freier und kann sich bewegen, wie man möchte.

Das macht uns ernsthafte Sorgen, als Kirche und als Kirchenvertreter: Je mehr Leute auswandern, desto schwächer wird die Gemeinde. Deshalb bitten wir unsere Mitmenschen: Bleibt hier. Aber wenn mein Sohn oder meine Tochter mich fragen würden, dann könnte ich sie heute kaum mehr daran hindern. Sie sagen: In Deutschland habe ich alle meine Rechte. Hier, zuhause, habe ich keine Rechte.

Und das ist es was wir hier brauchen, und das sage ich auch den Vertretern der internationalen Gemeinschaft: Die Zukunft der Christen in diesem Land kann nicht unter der (israelischen d. Red.) Besatzung sein - nicht im Krieg, nur im Frieden, durch ein Miteinander-Leben. Nur wenn wir das Land teilen, alle die gleichen Rechte haben, wird es den Menschen möglich sein, hier zu bleiben.

Wir Christen sind ein integraler Teil unseres Volkes, und die Ziele des palästinensischen Volkes sind auch unsere. Wir sind nicht nur hier als Christen, sondern als arabische Christen. Jerusalem ist wichtig für uns - nicht nur für uns alleine, aber auch für uns.

Die meisten Länder haben die Entscheidung von US-Präsident Trump kritisiert. Erwarten Sie, dass sich die internationale Gemeinschaft wieder mehr um diesen Konflikt kümmert?

Die internationale Gemeinschaft muss sich ernsthaft darum kümmern, Frieden nach Jerusalem, nach Israel, nach Palästina zu bringen. Sie sollte nicht einseitig sein. Sie sollte ein ehrlicher Vermittler sein. Und es ist an der Zeit, etwas zu tun und das so schnell wie möglich.

Erklärungen reichen einfach nicht mehr aus. Israelis und Palästinenser wollen Frieden, auch wenn Politiker etwas anderes sagen. Gebt den Palästinensern ihre Rechte, ein Land, ihre Hauptstadt in Ost-Jerusalem. Gebt Israel West-Jerusalem. Beide Nationen sind klug genug und könnten ein Segen für den gesamten Nahen Osten sein.

 

Munib Younan ist Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Jordanien und dem Heiligen Land. Er ist in Jerusalem geboren.

Die Fragen stellte DW-Korrespondentin Tania Krämer.

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