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Bitte impfen!

Judith Hartl
5. September 2017

In Deutschland gab es so gut wie keine Masern-Fälle mehr. Jetzt steigt die Anzahl wieder an. In diesem Jahr sind es schon mehr als doppelt so viele wie 2016. Warum? Weil wir zu wenig impfen, sagen Experten.

Montage Masern Virus
Bild: Courtesy of C. S. Goldsmith; William Bellini, Ph.D./CDC/dpa/Montage: DW

DW: Masernviren können das Gehirn befallen und können zu lebenslanger Behinderung oder sogar zum Tod führen. Die Weltgesundheitsorganisation hatte das große Ziel, die Masernviren auszurotten. Das ist bislang nicht gelungen. Und in Deutschland steigt die Anzahl der Fälle sogar wieder an. Warum?

Dr. Ole Wichmann, Robert Koch-Institut: Die Herausforderung bei Masern ist, dass es eine unheimlich ansteckende Erkrankung ist. Man muss, um sie zu auszurotten, Impfquoten von ungefähr 95 Prozent haben. Und das nicht nur in einer Altersgruppe, sondern über alle Altersgruppen verteilt - und das in allen Regionen. In Deutschland haben wir vor allen Dingen das Problem, dass wir vor 20 oder 30 Jahren nicht so gut geimpft haben und wir hier bei Jugendlichen und Erwachsenen größere Impflücken haben. 

Wenn man ans Impfen denkt, denkt man häufig zunächst an Kinder und Jugendliche, weil da ein Großteil der Impfungen stattfindet. Gegen welche Kinderkrankheiten muss man sich impfen? 

Ich mag das Wort Kinderkrankheiten nicht so, weil es darüber hinwegtäuscht, dass es ernstzunehmende Erkrankungen sind. Die typischen Erkrankungen, gegen die geimpft wird, sind Masern, Keuchhusten, Diphtherie. Im Kindesalter wird zum Beispiel auch gegen Pneumokokken geimpft, das sind Bakterien, die typischerweise im jüngeren Alter Lungenentzündungen hervorrufen.

Welche Impfungen würden sie darüber hinaus empfehlen?

Empfohlen sind die Impfungen gegen HPV bei Mädchen. Das sind Viren, die Gebärmutterhalskrebs hervorrufen. Das wird in Deutschland empfohlen für 9- bis 14-jährige Mädchen. Für Senioren, also alle Personen ab 60 Jahren, sind die Impfungen gegen Grippe empfohlen, aber auch die Impfung gegen Pneumokokken.

Jetzt könnte man ja sagen, ich bin ja für mein eigenes Leben verantwortlich, ist mir ja egal, ob ich krank werde. Aber wenn man sich nicht impfen lässt, gefährdet man auch andere Menschen um sich herum. Wieso eigentlich?

Das ist richtig und das ist eine der schönen Seiten der Impfung. Wir verhindern damit, dass Infektionserkrankungen von Mensch zu Mensch übertragen werden. Wenn wir jetzt einen relativ großen Anteil der Bevölkerung geimpft haben, verhindern wir quasi die Zirkulation dieses Erregers.

Es gibt Menschen, die haben sich regelrecht gegen das Impfen verschworen. Sie behaupten, dass Impfungen viele Nebenwirkungen haben, zum Beispiel Demenz oder Autismus verursachen und sogar tödlich sein können. Was sagen wissenschaftliche Untersuchungen dazu?

Zum einen muss man wissen, dass Impfstoffe ein Entwicklungsprogramm durchlaufen. Studien untersuchen dabei die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs. Dann gibt es eine Zulassungsbehörde, die sich diese Daten genau anschaut und erst basierend darauf die Impfstoffe zulässt. Auch nach der Zulassung gibt es Systeme, die kontinuierlich überprüfen, ob vielleicht ganz seltene Nebenwirkungen auftreten.

Aber natürlich kann man nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass Impfstoffe Nebenwirkungen haben. Die allermeisten bewegen sich aber in einem Bereich, der total tolerabel ist. Dazu gehören logischerweise Schmerzen am Arm - ein, zwei Tage nach der Impfung - manchmal wird er auch dick. Wirkliche Komplikationen sind jedoch äußerst selten.

Man kann aber nicht jede Impfung für jeden Menschen empfehlen, oder?

Richtig. Dafür gibt es in Deutschland die ständige Impfkommission, die sich auf nationaler Ebene alle Impfstoffe genau anschaut und entscheidet, welche Personengruppen von welcher Impfung besonders profitieren. Bei manchen Impfungen, wie zum Beispiel gegen Masern, würden alle davon profitieren, diese Erkrankung nicht zu bekommen.

Bei einer Grippeimpfung weiß man, dass durch Grippe vor allem ältere Personen und Menschen mit chronischen Grunderkrankungen besonders gefährdet sind. Da sagt man: OK, wir konzentrieren uns auf diese Personengruppen.

Es gibt das Argument, dass Kinder Infektionen durchmachen müssen, um ein gesundes Immunsystem zu entwickeln - deshalb solle man sie am besten gar nicht impfen.

Auf der einen Seite muss man wissen, dass wir eigentlich nur gegen ein Dutzend wirklich gefährliche Erkrankungen impfen. Und trotzdem ist der Körper permanent auch anderen Infektionen ausgesetzt - das Immunsystem wird dadurch schon trainiert.

Auf der anderen Seite ist ja gerade auch eine Impfung ein Training des Immunsystems, bloß dass der Mensch nicht krank wird. Bevor es Impfungen gegen Masern und so weiter gab, sind hunderte von Kindern jedes Jahr an diesen Erkrankungen gestorben.

Ein weiteres Argument von Impfgegnernlautet, dass viele Krankheiten gar nicht wegen Impfungen zurückgegangen sind, sondern wegen einer besseren Hygiene und einer besseren medizinischen Versorgung...

Mit Sicherheit sind viele Erkrankungen in unseren Breitengraden durch sauberes Wasser und eine verbesserte Medizin rückläufig oder zurückgegangen. Aber mit Sicherheit gehören die Impfungen als drittes Element dazu.

Man sieht immer wieder in Gegenden, wo aufgrund von Bürgerkriegen oder anderen Einflüssen die Impfquoten deutlich runter gehen, dass die Erreger, die Erkrankungen und die Todesfälle wieder zurückkommen.

Enthalten die Impfstoffe denn gefährliche Chemikalien und Verunreinigungen, die uns schaden können? Auch das ist ein Argument von Impfgegnern.

Nein! Gefährliche Substanzen oder Verunreinigungen gibt es nicht. Die Impfstoffe sind ja alle geprüft und sind entsprechend zugelassen.

Dr. Ole Wichmann ist Leiter des Fachgebiets Impfprävention, Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut in Berlin.

Das Gespräch führte Dr. Carsten Lekutat.

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