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Politik

Bizarres Drama um verschleppten Hongkonger Verleger

Esther Felden | Vivien Wong
14. Februar 2018

Das TV-Geständnis des verschleppten Hongkonger Verlegers Gui Minhai ist eine Farce. Davon ist Buchhändler Lam Wing-kee überzeugt. Er kennt die Situation aus eigener Erfahrung, wie er der Deutschen Welle berichtet.

Gui Minhai bei seinem TV-Interview am vergangenen Wochenende
Bild: South China Morning Post

Wochenlang fehlte von Gui Minhai jede Spur. Am 20. Januar war der chinakritische Verleger und Autor aus Hongkong im Zug unterwegs vom ostchinesischen Ningbo in Richtung Peking. Dort stand eine medizinische Behandlung an. Begleitet wurde Gui, der im Besitz eines schwedischen Passes ist, von zwei Diplomaten des skandinavischen Landes. Was dann passierte, liest sich wie das Drehbuch zu einem Thriller. Vor den Augen seiner Mitreisenden wurde Gui an einem Bahnhof von Sicherheitsbeamten in Zivil abgefangen, verhaftet und weggebracht.

Warum genau er verschleppt und wo er hingebracht wurde, das war zunächst unklar. Schon lange stand er unter Beobachtung. Gui war einer von fünf Buchhändlern und Verlegern aus Hongkong, die im Herbst 2015 innerhalb kurzer Zeit von chinesischen Behörden verschleppt wurden und für Monate von der Bildfläche verschwanden.

Nach dem Verschwinden der Buchhändler gingen die Menschen in Hongkong auf die Straße und forderten die Freilassung der fünf MännerBild: picture-alliance/dpa/J.Favre

In Hongkong hatte die Affäre um die verschwundenen Buchhändler damals große Sorgen um den Zustand von Bürgerrechten und Meinungsfreiheit ausgelöst. Seit der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkolonie 1997 an China wird Hongkong nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" regiert. Chinesische Staatsorgane dürfen dort eigentlich nicht eingreifen.

Nicht das erste Mal

Alle fünf betroffenen Buchhändler hatten für "Causeway Bay Books" gearbeitet, einem 1994 von Lam Wing-kee gegründeten Verlag mit eigener Buchhandlung. Bekannt wurde er dafür, dass dort Werke vertrieben wurden, die den Mächtigen in Peking so ganz und gar nicht gefielen: Es ging um sensible Themen wie die Politik Chinas oder auch das Privatleben der Spitzenpolitiker. Alle fünf Festgenommenen tauchten später in China wieder auf - mit einem reumütigen Auftritt vor laufender Kamera. Dort gaben sie zu Protokoll, mit ihrem Tun gegen chinesische Gesetze verstoßen zu haben. Tatsächlich seien sie nicht festgenommen worden, sondern hätten sich freiwillig in die Obhut der chinesischen Behörden begeben, um bei den Ermittlungen behilflich zu sein.

An der Freiwilligkeit dieser Aussagen gibt es bis heute erhebliche Zweifel - nicht zuletzt deshalb, weil Lam Wing-kee, ebenfalls einer der damals Inhaftierten, das Ganze später völlig anders schilderte. Alle fünf Männer waren zwischenzeitlich wieder auf freiem Fuß. Auch Gui Minhai. "Er wurde im Oktober 2017 unter der Auflage freigelassen, dass er China nicht verlassen darf", so Lam gegenüber der DW. Seitdem habe er in einer Art Hausarrest in Ningbo gelebt, seinen Wohnort habe er nicht ohne Genehmigung der Behörden verlassen dürfen.

Lam Wing-kee bei seinem Interview mit der DW im Februar 2018Bild: Vivien Wong

Mehrfach war Gui in den vergangenen Monaten aufgrund seines Gesundheitszustands nach Peking gereist. Bei der letzten Reise am 20. Januar schlugen dann die Behörden zu. Schweden, Deutschland und auch die EU forderten daraufhin Peking auf, den Verleger unverzüglich freizulassen. Doch alle Appelle verpufften ergebnislos.

Inszenierter TV-Autritt

Am vergangenen Wochenende dann nahm der mysteriöse Fall eine bizarre Wendung: Gui tauchte plötzlich wieder auf - in Polizeigewahrsam. Von ausgewählten Sendern in China und Hongkong wurde ein TV-Interview mit ihm ausgestrahlt.  Darin erhob er schwere Vorwürfe gegenüber Schweden. Die Diplomaten hätten ihn "angestiftet und bedrängt", das Land zu verlassen. Am Ende sei er ihnen "auf den Leim gegangen". Er selbst habe nie ausreisen wollen. Sein "wunderschönes Leben in China" sei von Schweden ruiniert worden.

Dem 53-jährigen Gui Minhai wird jetzt Staatsverrat vorgeworfen. Wie die Parteizeitung "Global Times" berichtet, stehe er unter dem Verdacht, "in Aktivitäten verwickelt zu sein, die die nationale Sicherheit gefährden, darunter die illegale Weitergabe von Staatsgeheimnissen an ausländische Gruppen". In Guis Umfeld wird vermutet, dass er zu diesen Aussagen gezwungen wurde.

Im Oktober 2015 verschwand Gui Minhai während eines Urlaubs in Thailand Bild: PEN International

Erzwungene Aussage?

Davon ist auch Lam Wing-kee überzeugt. "Ich halte es auf gar keinen Fall für ein freiwilliges Geständnis. Es muss unter Druck entstanden sein. Der Inhalt seiner Aussagen war meiner Meinung nach mit den chinesischen Behörden abgesprochen, wie ein auswendig gelernter Text." Während des Interviews wurde Gui Minhai teilweise flankiert von zwei Polizisten. Danach habe sich der Charakter des Interviews verändert, findet Lam.

"Im ersten Teil des Gesprächs wirkte Gui noch relativ entspannt und beantwortete Fragen der anwesenden Presse aus Hongkong. Im zweiten Teil, als die chinesische Polizei im Bild zu sehen war, wurde er auf einmal sehr nervös und wollte keine weiteren Fragen mehr beantworten. Es waren offenbar Fragen, mit denen die Polizei nicht gerechnet hatte." Fragen also, auf die es auch keine vorbereiteten Antworten gab.

Aus eigener Erfahrung

Der TV-Auftritt Gui Minhais weckt in Lam Wing-kee auch eigene Erinnerungen. Denn etwas Ähnliches hat er selbst nach seiner Festnahme im Oktober 2015 auch erlebt. Und im Gegensatz zu den anderen damals inhaftierten Buchhändlern ging er unmittelbar nach seiner Freilassung an die Öffentlichkeit, erzählte seine Version der Ereignisse. Bei einer Pressekonferenz in Hongkong ließ er eine regelrechte Bombe platzen.

Bei einer Pressekonferenz am 16. Juni 2016 präsentiert Lam Wing-kee seine eigene Version der Geschichte und spricht über seine Verschleppung und die HaftBild: FactWire/D. Young

Bei seinem TV-"Geständnis" habe es ein regelrechtes Drehbuch gegeben, so Lam. Sobald er davon abwich, sei die jeweilige Szene neu gedreht worden. Außerdem habe er sich niemals selbst gestellt. Tatsächlich sei er auf dem Weg zu seiner Freundin in China an der Grenze festgenommen, mit verbundenen Augen nach Ningbo verschleppt und dort fünf Monate in Einzelhaft gehalten worden. Physisch misshandelt worden sei er nicht, psychischen Terror habe er aber immer wieder erlebt. Und freigelassen worden sei er nur, weil er den Beamten eine Festplatte mit Kundendaten seines Verlages ausgehändigt hätte. Worte, die man in Peking sicher nicht gern hörte.

"Eine zu voreilige Aktion"

Vielleicht, so vermutet Lam, sei deshalb die Nervosität im Zusammenhang mit Gui Minhai auch jetzt besonders groß gewesen. Und die Sorge, auch er könnte reden. Doch die Angst der Behörden sei in diesem Fall unbegründet, meint er. "Gui Minhais Mutter lebt in der Volksrepublik, genau wie seine Frau, die deutsche Staatsbürgerin ist. Seine ganze Verwandtschaft ist dort. Deshalb hat er bis heute nichts gesagt, und er würde es auch im Ausland nicht tun, um sie nicht zu gefährden."

Bei Causeway Bay Books gab es auch Enthüllungsbücher über Spitzenpolitiker - bis hin zum Staatspräsidenten Bild: Imago/Xinhua/Xie Huanchi

Dennoch ist Lam Wing-kee überzeugt, dass Gui eigentlich vorhatte, das Land zu verlassen. Der Zeitpunkt für diesen Plan war seiner Meinung nach allerdings falsch gewählt. "Gui und die schwedische Regierung waren zu voreilig. Er war nur wenige Monate auf freiem Fuß. Eine Ausreise schon zu diesem frühen Zeitpunkt, das war zu leichtsinnig." Auch die Wahl des Transportmittels sei ein Fehler gewesen. "Es war keine gute Idee, mit dem Zug zur reisen. In China muss man sich beim Fahrkartenkauf immer ausweisen, auch für eine Bahnfahrt. Damit verrät man selbst seinen Reiseplan."

Wachsam, immer wachsam

Lam Wing-kee selbst hat seit seinem Auftritt bei der Pressekonferenz in Hongkong im Juni 2016 nichts mehr von den chinesischen Behörden gehört. Was aber nicht heiße, dass er nicht mehr unter Beobachtung stehe, sagt Lam. "Ich weiß, dass sie mich beschatten und meine Telefonate abhören. Ich bin immer in Alarmbereitschaft und gehe nur dahin, wo viele Menschen sind." 

Lam Wing-kee im Juni 2016 kurz nach seiner FreilassungBild: picture-alliance/AP Photo/Kin Cheung

In der kommenden Woche tritt Lam Wing-kee beim Genfer Menschenrechtsgipfel auf, spricht dort über das, was er erlebt hat. Für die Zukunft hat er bereits konkrete Pläne. Und die haben natürlich auch wieder mit Büchern zu tun. Für Lam war die Arbeit im Buchladen immer mehr als nur ein Beruf. Eher eine Berufung. Sogar geschlafen hat er in seinem Laden, jahrelang.

Jetzt plant er, einen neuen Buchladen zu eröffnen - und zwar in Taiwan. Die Frage, ob es auch dort kritische Bücher zu kaufen geben wird, die in Festland-China auf dem Index stehen, beantwortet er diplomatisch. Und gleichzeitig eindeutig. "Ich werde das Geschäftsmodell von Causeway Bay Books übernehmen und dort wieder aufgreifen. In meinen Augen gibt es in Hongkong und Taiwan keine verbotenen Bücher. Es gibt nur gute und schlechte Bücher."

 

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