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Black Lives Matter: Kampf um Englands Seele

Michael da Silva
13. Juni 2021

Wer hat schon gern die eigenen Fans gegen sich? Die Solidarität mit der "Black Lives Matter"-Bewegung haben Englands Team und Trainer Gareth Southgate nicht nur Freunde eingebracht. Die Spieler machen dennoch weiter.

Fußball England v Belgien - UEFA Nations League
Jordan Henderson setzt im weißen Trikot der "Three Lions" Zeichen Bild: Michael Regan/Getty Images

Einige Spieler der englischen Nationalmannschaft waren möglicherweise mit einem mulmigen Gefühl in ihr Eröffnungsspiel der Europameisterschaft gegen Kroatien gegangen. Sie wussten: Eine nennenswerte Minderheit der eigenen Fans ist ihnen gegenüber feindselig eingestellt. Doch spätestens nach dem knappen 1:0-Auftaktsieg gegen den Vizeweltmeister überwog die Begeisterung. Und auch vor dem Anpfiff, als die Engländer sich geschlossen auf ein Knie niederließen, gab es zwar vereinzelte Pfiffe, die aber im lauteren Applaus untergingen.

England ist eine der Nationen, deren Spieler beschlossen haben, vor ihren Spielen auf die Knie zu gehen. Sie wollen so ihre Ablehnung von Rassismus und ihre Solidarität mit der "Black Lives Matter"-Bewegung ausdrücken. Es ist ein einfaches, aber kraftvolles Symbol für die Unterstützung der Unterdrückten - und gegen die Unterdrücker.

Eine Geste, die jedoch von Tausenden von England-Fans abgelehnt wird. Der Kniefall bei den beiden Vorbereitungsspielen der Mannschaft in der englischen Stadt Middlesbrough wurde von Pfiffen und Buhrufen begleitet.

Verleumdungskampagne

Der Kniefall der Fußballer hat eine landesweite Debatte ausgelöst. Das dominierende Argument der Gegner lautet: "Black Lives Matter" sei eine "marxistische" Organisation. Eine Art Mythos, der einzig auf dem Interview mit Patrisse Cullors basiert, der Mitbegründerin der Bewegung, aus dem Jahr 2015. Sie hatte sich und andere Mitstreiter als "ausgebildete Marxisten" beschrieben.

Cullors konzentriert sich inzwischen auf andere Projekte. Ihr Wort vom Marxismus hat aber eine rechtsextreme Hetzkampagne begründet. Eine Entwicklung, die eine in Großbritannien dominierende rechte Presse und einflussreiche Figuren der politischen Rechten dankbar aufgenommen haben.

Nach den Spielen in Middlesbrough sah sich Englands beliebter Trainer Gareth Southgate veranlasst, auf der Website "Players' Tribune" einen offenen Brief an die englischen Fans zu veröffentlichen. Der Titel: "Dear England" - "liebes England". Mit eleganten Worten umriss Southgate genau, warum seine Spieler auf die Knie gehen - und dass diese Gründe nicht im Entferntesten damit zu tun haben, den westlichen Kapitalismus zu stürzen und eine neue kommunistische Ordnung zu errichten. So hatte es der "Hauptarchitekt" des Brexit und rechtsextreme Kommentator Nigel Farage diese Woche auf YouTube verkündet.

Voller Vorfreude: ein Straßenzug in Bermondsey im Süden LondonsBild: Tolga Akmen/Getty Images/AFP

Er behauptete darin nicht, dass schwarze Menschen keinen Platz in England hätten. Aber die 270.000 Abonnenten Farages konnten durchaus zwischen den Zeilen lesen. Farage schloss seine Aussage mit einer abschließenden Drohung und forderte Trainer Southgate auf, "sich auf den Fußball zu konzentrieren und nicht auf die Politik, sonst stehen uns ein paar wirklich, wirklich schreckliche, spaltende Wochen bevor".

Identitätskrise

"Ich verstehe, dass wir auf dieser Insel den Wunsch haben, unsere Werte und Traditionen zu schützen - was wir auch tun sollten. Aber das sollte nicht auf Kosten der Selbstreflexion und des Fortschritts gehen", schrieb Southgate in seinem offenen Brief - bevor der schottische Fußballverband am Freitag ankündigte, dass er aus Solidarität mit Englands Spielern bei der Begegnung just gegen England am 18. Juni seine "Politik des Nichtkniens" aufgeben wird.

"Unsere Spieler sind Vorbilder. Und über die Grenzen des Spielfelds hinaus müssen wir erkennen, welchen Einfluss sie auf die Gesellschaft haben können. Wir müssen ihnen das Selbstvertrauen geben, für ihre Mannschaftskameraden und die Dinge einzutreten, die ihnen als Menschen wichtig sind", so Southgate.

Nationale Selbstbeschädigung

Die Ironie der Geschichte: Die übellaunigen Fans müssten sich nur einmal ihre eigene Mannschaft genauer ansehen, um zu verstehen, was England im Jahr 2021 wirklich ist. Die Hälfte von Southgates Kader hätte auch andere Nationen repräsentieren können, von Irland bis Neuseeland, Jamaika bis Nigeria.

England stellt übrigens auch den zweitjüngsten Kader bei der EURO 2020. Ein Team, dessen Durchschnittsalter bei 24,8 Jahren liegt. Damit gehört die Mehrheit der Spieler zu einer Generation, die die Ungerechtigkeit von strukturellem Rassismus und Diskriminierung einfach nicht mehr akzeptieren will.

Etwa Marcus Rashford, Stürmer von Manchester United, der die britische Regierung wegen ihres Versagens bei der Bereitstellung von Nahrungsmitteln für unterprivilegierte Kinder angegriffen hat. Oder Liverpools Kapitän Jordan Henderson, der sich für die LGBTQ-Gemeinschaft stark gemacht hat. Nur zwei der Spieler, deren Taten und Gesten die englischen Fans stolz machen sollten. Eigentlich.

Die Fans könnten auf die Nationalspieler stolz sein: Jadon Sancho und Trent Alexander-ArnoldBild: Javier Garcia/BPI/Shutterstock/imago images

Stattdessen gibt es eine meist ältere Generation von England-Fans, die offenkundig nicht in der Lage ist, die gesellschaftlichen Veränderungen mitzugehen. Anstatt also Englands Weltklasse-Talente auf dem Spielfeld anzufeuern, entziehen sie der Mannschaft ihre Unterstützung, wenn dieses junge Team sie am meisten braucht. Oder, um es mit den Worten des meinungsfreudigen englischen Ex-Stürmers Gary Lineker zu sagen, der jetzt für die BBC kommentiert und twitterte:  "Wenn Sie die englischen Spieler ausbuhen, weil sie auf die Knie gehen, sind Sie Teil des Grundes, warum die Spieler nicht spielen können."

England ist mit einer aufregenden Mischung von Spielern bei der EURO am Start. Ihr Durchhaltevermögen, was die Geste gegen Rassismus angeht, kann beeindrucken - "demütig, stolz und befreit darin, ihr wahres Selbst zu sein", so Trainer Southgate. Es wäre schade, wenn einige Fußballfans die englische Nationalität und die dunkle Hautfarbe auch weiterhin nicht als eine Identität begreifen können. Es ist ein Akt britischer Selbstverletzung.

Adaption: Marko Langer