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Schwarze Fußballer sprechen über Rassismus

Jonathan Harding
15. Juni 2020

Drei Bundesliga-Profis berichteten der DW, wie sie Rassismus auf und neben dem Spielfeld erleben und was getan werden kann, um ihn zu stoppen. Die Antwort ist nicht einfach nur zu sagen: "Ich bin kein Rassist".

Bildkombo Fußballspieler | Josuha Guilavogui, Anthony Ujah und Jeremiah St. Juste
Josuha Guilavogui, Anthony Ujah, Jeremiah St. Juste (v.l.n.r.)

Anthony Ujah (29), geboren in Nigeria, Stürmer des 1. FC Union Berlin

Ich habe diesen Traum, diesen Wunsch. Ich bin nicht [Nelson] Mandela oder Martin Luther King Jr., aber ich kann unterscheiden, was gut und was falsch ist. Und eines weiß ich ganz sicher: Rassismus ist schlecht, weil wir alle in einer Welt leben und alle nur ein Leben haben. Es kostet nichts, zu jemandem nett zu sein, unabhängig von seiner Hautfarbe, seiner Rasse oder seiner Nationalität. Ich träume von einer Welt, in der ein weißes Kind zu seinen Eltern nach Hause kommt und sagt: "Papa, morgen hat die einzige Person of Color in meiner Klasse Geburtstag. Wir wollen ihr etwas schenken. Kann ich dafür zehn Euro haben?" Damit diese Person diese Liebe spüren kann und niemals denken muss, sie werde anders behandelt.

Ich lebe jetzt seit ich weiß nicht wie vielen Jahren in Deutschland und habe noch nie einen Schwarzen gesehen, der im Fernsehen die Nachrichten verliest. Wollen Sie mir etwa sagen, dass es in diesem Land noch niemals einen Schwarzen gegeben hat, der hier geboren wurde, keine Vorstrafen hat, in der Schule wirklich gute Noten hatte, studiert und alles gegeben hat, um sich für diesen Beruf zu qualifizieren? Aber er bekommt diesen Job immer noch nicht.

Wir reden hier über Vielfalt, Akzeptanz, Toleranz, nicht nur über eine Kampagne. Nehmen wir ein praktisches Beispiel. Wollen Sie mir vielleicht sagen, dass Jerome Boateng, egal, wie viele Jahre er noch bei Bayern München bleibt, egal, wie viele Trophäen er gewinnt, eines Tages Cheftrainer des Vereins sein wird - wenn er es will, sich dafür qualifiziert, seine Trainerlizenz erhält und einer der Besten ist? Nein. Aber ich habe Hoffnung für die Zukunft, ich bin optimistisch.

Wenn ein Kind mit seinen Eltern einem Schwarzen begegnet und die Eltern die Hand des Kindes ergreifen und die Straßenseite wechseln, erhält das Kind eine falsche Botschaft. Dann beginnt die Veränderung, denn dieses Kind speichert die Erinnerung, dass Schwarze schlechte Menschen sind und es irgendwie nicht in Ordnung ist, sich mit ihnen zu sozialisieren.

Es gibt sehr viel tun, denn diese Sache hat nicht in den sozialen Medien begonnen, also wird sie auch nicht dort enden. Es begann bei unseren Ur-, Ur-, Ur-, Ur-, Ur-Großvätern und setzte sich über viele Generationen fort. Deshalb muss man schon in der Schule ansetzen und tief in das System eindringen. Das System, das sagt, dass eine Person of Color nicht mein Lehrer sein kann oder mein Chef in der Firma. Das System, dass Schwarze vom Rampenlicht fernhält. Es ist dieses System, das sich ändern muss.

Jeremiah St. Juste (23), geboren in den Niederlanden, Verteidiger des FSV Mainz 05

Institutioneller Rassismus ist weltweit ein großes Problem, auch in den Niederlanden, und in einem noch viel größeren Ausmaß in den USA. Die Demonstrationen zeigen, dass die Menschen es nicht mehr ertragen können. Wirklich, es reicht! Es reicht eigentlich schon seit 400 Jahren, aber ich bin froh, dass die Bewegung nun so viel Schwung und Zugkraft gewonnen hat. Die Leute haben es satt, sie erheben ihre Stimme, gehen auf die Straße, demonstrieren. Das ist sehr gut. Ich hoffe, dass die Menschen weiterhin ihren Mund aufmachen, auch in Gegenwart von anderen, die das Problem leugnen, auch wenn sie in dieser Situation möglicherweise alleine sind. Ich hoffe, dass sich noch mehr Menschen zu Wort melden. Viele haben es bereits getan, aber noch nicht genügend, um das ganze Problem zu lösen.

Ich bin schon viele, viele Male angehalten worden, weil ich ein großes Auto fahre und man eben annimmt, dass ich als Schwarzer nicht in einem großen Auto fahren sollte. Der Rassismus findet sich bereits in den Schulen, er ist überall. Ich schäme mich, wenn ich Menschen, die nicht aus Holland kommen, vom "Zwarte Piet" [Helfer des Heiligen Nikolaus; in den Niederlanden wird der Zwarte Piet - Schwarzer Peter - traditionell mit schwarzem Gesicht dargestellt - Anm. d. Red.] erzählen muss. Wenn man es nur anspricht, gehen die Leute schon in die Defensive, sie fühlen sich sofort beleidigt. Es geht nicht um Schwarz gegen Weiß, sondern um jeder gegen Rassisten. So sollte es sein. Viele Menschen sind ignorant. Sie wissen nicht wirklich viel über die Situation. Sie können nicht nachfühlen, was People of Color empfinden. Das kann ich ja noch verstehen, aber sie können sich doch selbst erziehen. Das ist so wichtig. Ich habe viele Leute erlebt, die ihre Meinung zum Thema Rassismus und zum "Zwarte Piet" geändert haben.

Jeremiah St. Juste im Zweikampf mit Bayern-Torjäger Robert Lewandowski (r.)Bild: Imago Images/T. Frey

Es ist ein großer Fehler zu sagen: "Ich nehme keine Hautfarbe wahr." Sie sollten die People of Color auch als solche wahrnehmen. Wenn sie es nicht tun, ignorieren sie auch die Auseinandersetzungen, die Diskriminierung und den Schmerz, die damit einhergehen.

Jeder Aktivismus ist sinnlos, wenn sie nicht in den Spiegel schauen und sich fragen: "Bin ich vielleicht ein Teil des Problems?" Es kann schmerzhaft werden, die eigenen Verhaltens- und Sprachmuster zu überprüfen. Vielleicht kommen sie zu der Schlussfolgerung: "Verdammt, ich bin vielleicht rassistisch, rede rassistisch daher, bin Teil des Problems." Das ist unangenehm, aber nur so geht es. Erst wenn sie das Problem identifizieren, können Sie daraus lernen, sich selbst erziehen und dies auch an andere Leute weitergeben. Das ist unheimlich wichtig, um Rassismus zu überwinden.

400 Jahre, in denen People of Color um Veränderungen baten, haben nicht geholfen. 400 Jahre lang hat es nicht funktioniert. Menschen und Organisationen hören nicht zu, das System hört nicht zu, Politiker hören nicht zu. Was sollen wir tun? Ich bin nicht mit Gewalt einverstanden, aber es ist doch kein Wunder, dass die Menschen verrückt werden, weil sie es nicht mehr ertragen. Es ist einerseits traurig, andererseits bin ich aber hoffnungsvoll. Denn ich werde weiterhin meine Stimme erheben und versuchen, mich selbst besser zu erziehen, damit ich andere erziehen kann. Ich hoffe, dass ich einige Seelen berühren kann. Ich hoffe, dass überall auf der Welt Menschen ihre Meinung ändern werden.

Die Geschichtsbücher müssen neu geschrieben werden, denn sie lügen. Sie ermöglichen die Vorherrschaft der Weißen, indem sie nur ihre Perspektive zeigen. Rassismus ist in unserer Kultur so tief verwurzelt, dass es nicht ausreicht zu sagen: "Ich bin kein Rassist". Sie müssen sich aktiv darum bemühen, Ihre Ansichten und die Ansichten Ihrer Kinder zu ändern.

Josuha Guilavogui (29), geboren in Frankreich, Mittelfeldspieler des VfL Wolfsburg

Wenn man sich selbst als Fußballer und Teil einer Mannschaft sieht, müssen auch weiße Spieler schockiert sein. Wenn ich sehe, was in Italien passiert, tut es mir im Herzen weh; zu sehen, dass Blaise [Matuidi] weinte und dass seine Mannschaft [Juventus] reagierte, aber nicht stark genug [Matuidi wurde nach einem Tor in einem Spiel der Serie A im Dezember 2017 rassistisch beleidigt -Anm. d. Red.]. Als Patrick Vieira Jugendtrainer bei Manchester City war, wurde einer seiner Spieler rassistisch angegangen. Viera beschloss, seine gesamte Mannschaft vom Spielfeld zu nehmen. Diese Werte müssen von den Managern, dem Trainer und dem Kapitän weitergegeben werden. Jeder muss sein Engagement gegen Rassismus deutlich machen. Botschaften auf Armbinden oder Trikots sind gut, aber es gibt Möglichkeiten, es noch besser zu machen.

Josuha Guilavogui (r.) - hier mit Torwart Koen Casteels - ist seit 2018 Kapitän des VfL Wolfsburg Bild: Reuters/W. Rattay

Nehmen wir den Vorfall, bei dem Moussa Marega rassistischen Beleidigungen ausgesetzt war und als Affe bezeichnet wurde: Der Schiedsrichter wollte das Spiel nicht einmal abbrechen! Für solche Situationen müssen im Vorfeld Entscheidungen getroffen werden, zwischen der Vereinsleitung, dem Trainer und den Spielern. Ich habe mit meinem Mannschaftskameraden Maxi Arnold, mit dem ich befreundet bin, darüber gesprochen. Er sagte mir, wenn einer unserer schwarzen Spieler so behandelt würde wie Marega, würden alle das Spielfeld verlassen. Das wäre der logische Weg. Ich verstehe nicht, wie ein anderer Teamkollege einem Spieler nach einem rassistischen Vorfall sagen kann, er solle um jeden Preis auf dem Feld bleiben. So etwas darf man nicht ignorieren, sonst wird sich die Geisteshaltung nie ändern, und wir bleiben bei der Logik, dass es sich immer nur um Einzelfälle handele. Wir müssen diese Art von Übergriffen bekämpfen.

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