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Blairs Big-Brother-Demokratie

Nick Amies4. September 2006

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist Großbritannien zu einem doppelten Opfer geworden: Zum Opfer von Terroranschlägen und zum Opfer seiner eigenen Anti-Terror-Gesetzgebung.

Viele Briten wären bereit, Bürgerrechte gegen Sicherheit einzutauschenBild: AP

Kurz nach den Anschlägen, am 2. Oktober 2001, verkündete der britische Premier Tony Blair auf einem Labour-Parteitag: "Hier in diesem Land und überall in der Welt wird man Gesetze ändern - nicht um Grundfreiheiten zu verneinen, sondern um ihren Missbrauch zu verhindern und um die größte Freiheit von allen zu schützen: die Freiheit von Terror." Blair kündigte neue Auslieferungsgesetze und neue Asylregeln an. "Dieses Land ist stolz auf seine Tradition, denen Asyl zu gewähren, die vor Tyrannei geflohen sind", erklärte Blair "aber wir haben die Pflicht, dieses System vor Missbrauch zu schützen." Der Premierminister kündigte damals an, das System radikal überarbeiten zu wollen.

"Schulter an Schulter"

Gemeinsam gegen Terror: Tony Blair und George W. BushBild: AP

Infolge der Anschläge schwor Blair im Namen seiner Landsleute, "Schulter an Schulter" mit dem transatlantischen Verbündeten im neu ausgerufenen "Krieg gegen den Terror" zu kämpfen. Während er Truppen gegen El-Kaida und die Taliban nach Afghanistan schickte, begann für Blair ein anderer Kampf an der Heimatfront: Der Kampf um Großbritanniens Sicherheit, zur Beruhigung der verängstigten Nation. In den Vereinigten Staaten wie auch im Vereinigten Königreich wurden noch 2001 hastig Gesetze erlassen, um die Sicherheitslage zu verbessern: Washington verabschiedete den drakonischen PATRIOT Act (Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act), das Londoner Pendant nannte sich Anti-Terrorism, Crime and Security Act (ATCSA).

Weitreichende Befugnisse

Der ATCSA gab Innenminister David Blunkett die Möglichkeit, Menschen als mutmaßliche internationale Terroristen einzustufen und verdächtige Nicht-Bürger festzuhalten oder abzuschieben. Die in der Bevölkerung verbreitete Beunruhigung bestärkte die Regierung. Die Tatsache, dass die Europäische Menschenrechtskonvention bereits seit 1950 eine Ausnahme macht und diese Machtbefugnisse im britischen Einwanderungsrecht zulässt, trug ebenfalls dazu bei, dass sie relativ unkontrovers als Notwendigkeit akzeptiert wurden.

Mit der Verabschiedung des ATSCA bekam die britische Regierung zu ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg das Recht, Verdächtige ohne Anklage festzuhalten und ohne dem Verdächtigten das Recht einzuräumen, zu den Anschuldigungen Stellung zu beziehen. Die Regierung argumentierte, die nationale Sicherheit sowie die Arbeit der Geheimdienste sei gefährdet, würde man entsprechende Beweise in einem Gerichtsverfahren ausbreiten.

Der Anschlag in Madrid am 11. März 2004 - mit 192 Toten und 2050 Verletzten der bis dato schlimmste Terroranschlag in Europa - erschütterte den Kontinent und besonders stark waren die Schockwellen auf der Insel. Der Anschlag in Spanien wurde von den Gegnern des Irakkriegs und als Zeichen für ein verfehltes Vorgehen im Irak verstanden. In Großbritannien wuchs die Angst vor Vergeltung im eigenen Land. Schließlich stand man wie Spanien auf Seiten der Befürworter des Irakkrieges und des Kampfes gegen den Terror.

Gegenwind

Die Rufe nach konkreten Maßnahmen wurde nach Madrid erneut lauter. Im Dezember 2004 allerdings widerriefen die Law Lords (die Jusitzkommission des britischen Oberhauses) die Festsetzung von neun Terrorverdächtigen. Diese wurden unter Berufung auf den ATCSA ohne Anklage festgehalten. Die Law Lords legten dagegen ihr Veto ein, mit der Begründung, diese Maßnahme sei rechtswidrig und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Blair reagierte darauf mit einem Gesetz zur Terrorprävention.

Mehr Kontrollen - das Misstrauen wächstBild: AP

Basierend auf dem ATCSA wurde das Gesetz so konstruiert, dass es den Law Lords standhalten würde. Dem Innenminister, der inzwischen Charles Clarke hieß, wurden damit noch mächtigere Befugnisse in Bezug auf Terrorverdächtige übertragen. Das Gesetz erlaubte es Clarke, "Kontrollanweisungen" für Terrorverdächtige zu erlassen. Damit können Verdächtige unter Hausarrest gestellt werden. Der Zugang zu Mobilfunknetzen und dem Internet kann eingeschränkt werden. Außerdem müssen Besucher angemeldet werden, damit eine Überwachung durch die Geheimdienste ermöglicht werden kann.

Das Präventionsgesetz erfuhr starken Gegenwind von Seiten der Opposition, der Entwurf wurde mehrfach geändert und schließlich mit einer Klausel versehen, die eine erneute Prüfung nach einem Jahr vorsieht (Im Februar 2006 erklärte der Innenminister die Prüfung für unnötig und verschob sie auf 2007). Blair verteidigte das neue Gesetz mit der Begründung, es sei die oberste Priorität der Regierung, das Land vor Terror zu schützen. Alles andere, auch der Schutz von Grundrechten, sei sekundär.

Der Terror erreicht die Insel

Trotz erhöhter Sicherheitsbedingungen wurde London am 7. Juli 2005 Opfer von Terroranschlägen. Bei vier Selbstmordattentaten starben 52 Menschen, mehr als 700 wurden verletzt. Die Bedrohung war damit auch in Großbritannien real. Das Land hatte nun den verheerenden Beweis dafür, dass es nicht immun ist gegen Terrorismus. Erneut wurde eine Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze befürwortet und als Folge dessen entstand 2006 der höchst kontroverse Terrorism Act.

7. Juli 2005: Der Terror erreicht LondonBild: AP

Das neue Gesetz schuf neue Straftatbestände, wie Befürwortung und Verherrlichung von Terrorismus. Bestehende Straftatbestände wurden erweitert. Die strittigste Änderung war eine Heraufsetzung der Zeitspanne, in der Verdächtige ohne Prozess festgehalten werden dürfen. Die Regierung plante die bisherige Spanne von 14 auf 90 Tage heraufzusetzen. Zum ersten Mal musste Tony Blair eine Niederlage im Unterhaus einstecken - die Spanne wurde auf 28 Tage begrenzt.

Die britischen Anti-Terror-Behörden geben an, seit 9/11 rund ein Duzend Anschläge vereitelt zu haben, vier allein im letzten Jahr. Die britische Regierung betont, man habe das Land durch neue Gesetzgebung und die erweiterten Befugnisse sicherer gemacht. Menschenrechtsgruppen und Bürgerrechtler stellen die Frage, ob mit der Einschränkung von Grundrechten nicht ein zu hoher Preis für die Sicherheit gezahlt wurde. Andererseits wären laut einer Umfrage 73 Prozent der Briten bereit, ihre Bürgerrechte gegen mehr Sicherheit vor Terroranschlägen einzutauschen.