1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Bleibt Deutschland das "Bordell Europas"?

Rahel Klein
13. Februar 2021

Deutschland hat eines der liberalsten Prostitutionsgesetze innerhalb der EU. Doch die Befürworter eines Sexkaufverbotes werden lauter. Aber um den Nutzen eines solchen Verbotes wird heftigst gestritten.

Rotlichtviertel von Frankfurt Archiv 2003
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Wenn es nach Leni Breymaier ginge, könnten Bordelle während der Corona-Pandemie ruhig pleite gehen. Dass auch Bordellbetreiber Corona-Hilfen bekommen, weil das Geschäft mit der Sexarbeit seit rund einem Jahr so gut wie still steht, findet die SPD-Politikerin skandalös. Es könne nicht sein, dass der Staat "Kriminelle unterstützt, indem er Steuergelder an Bordelle ausweist, in denen Frauen mit Gewalt zur Prostitution gezwungen werden", sagte sie Ende vergangenen Jahres in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe. Diese und weitere kritische Äußerungen über die Sexbranche haben ihr rund 20 Strafanträge von rund 50 Bordellbetreibern aus ganz Deutschland eingebracht. Sie werfen der Politikerin üble Nachrede und Verleumdung vor.

Sexkaufverbot und "nordisches Modell"

Breymaier gehört zu einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten, die sich vehement für ein Sexkaufverbot in Deutschland einsetzen - nach dem sogenannten "nordischen Modell". Bei einem solchen Verbot werden die Freier kriminalisiert, nicht die Prostituierten. Flankiert wird die strafrechtliche Verfolgung des Sexkaufs beim nordischen Modell durch umfangreiche Ausstiegsprogramme für Sexarbeiterinnen, ihre Entkriminalisierung und breite gesellschaftliche Aufklärung.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier setzt sich für ein umfassendes Sexkaufverbot in Deutschland einBild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

In Deutschland wurde Prostitution im Jahr 2002 legalisiert, seit 2017 gibt es das Prostituiertenschutzgesetz, das die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen verbessern sollte. Bordelle brauchen eine Betriebserlaubnis, Prostituierte müssen sich registrieren lassen. Bisher sind in Deutschland allerdings nur rund 40.000 Anmeldungen eingegangen - bei einer geschätzten Zahl zwischen 200.000 und einer Million Prostituierten - je nach Statistik. Bei vielen gilt das Gesetz daher schon jetzt als gescheitert, da die überwältigende Mehrheit der Sexarbeiterinnen weiterhin im Untergrund arbeitet.

Deutschland - "Bordell Europas"

Bisher hat allerdings keine im Bundestag vertretene Partei ein Sexkaufverbot in ihr Programm aufgenommen. Dass Deutschland eines der liberalsten Prostitutionsgesetze in Europa besitzt und auch als "Bordell Europas" bezeichnet wird, führt Leni Breymaier auf den Einfluss der Sexbranche zurück. "Die Prostitutions- und Erotikindustrie hat bei uns eine starke und lautstarke Lobby", sagt sie im Gespräch mit der DW. Die Politikerin ist in ihrer Fraktion Berichterstatterin für Zwangsprostitution und im Verein "Sisters" aktiv, der sich ebenfalls für ein Sexkaufverbot einsetzt und freiwillige Prostitution als Märchen ansieht. Für Breymaier steht jedenfalls fest: "Wir sind nicht auf Augenhöhe, solange das eine Geschlecht das andere kaufen kann."

Osteuropäische Prostituierte auf einem Straßenstrich in Frankfurt am Main. Die Debatte, wie Menschenhandel und Zwangsprostitution am wirksamsten eingedämmt werden können, nimmt erneut an Fahrt auf. Bild: picture alliance/dpa

Die Debatte um striktere Prostitutionsgesetze hat nicht zuletzt in der Corona-Pandemie wieder an Fahrt aufgenommen. Im ersten Lockdown im Frühjahr vergangenen Jahres, als die Bordelle das erste Mal geschlossen wurden, setzten sich parteiübergreifend mehrere Bundestagsabgeordnete, darunter auch Breymaier, dafür ein, auch nach den Corona-Beschränkungen das Gewerbe weiter zu regulieren. Die Branche gerät zunehmend unter Druck. Auch die CDU/CSU-Fraktion würde das Prostitutionsgesetz gern verschärfen, die Europäische Union fordert schon seit Jahren, dass mehr passiert. Bereits 2014 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung, die den Mitgliedsstaaten die Einführung des nordischen Modells empfiehlt.

Schweden exportierte sein Sexkaufverbot

Schweden führte dieses Modell schon vor mehr als 20 Jahren ein und war damit das erste Land, das die Richtung der Kriminalisierung änderte. Mit der Bestrafung der Freier statt der Prostituierten sollte die Nachfrage nach gekauftem Sex ausgetrocknet werden. Einige europäische Länder sind dem Modell gefolgt und haben den Kauf von Sex ebenfalls verboten: Norwegen und Island im Jahr 2009, auch Finnland zog nach, England, Wales und Nordirland führten das Modell mit Abwandlungen ebenfalls ein, zuletzt auch Frankreich im Jahr 2016 und Irland ein Jahr später. Auch in Kanada und Israel gibt es ähnliche Prostitutionsgesetze. "Je mehr Länder sich dafür entscheiden, desto mehr kommt auch Deutschland unter Druck", glaubt SPD-Politikerin Breymaier.

Das schwedische Parlament hat als erste europäische Abgeordnetenkammer ein Gesetz verabschiedet, das nicht die Prostituierten kriminalisiert, sondern die Freier. Bild: picture-alliance/IBL Schweden/J. Jeppson

Mitte Februar verabschiedete das Europäische Parlament außerdem eine Entschließung, in der es die EU-Mitglieder auffordert, mehr gegen sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel zu unternehmen. Vor allem Freier, denen klar ist, dass sie die Dienste von sexuell ausgebeuteten Prostituierten in Anspruch nehmen, sollten härter bestraft werden, heißt es darin. Für Unterstützer eines Sexkaufverbotes könnten die Aufforderungen der EU ein weiteres Argument dafür sein, noch stärker für ihr Ziel zu werben. Denn für sie gehören Prostitution, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel untrennbar zusammen. Schränkt man die Prostitution ein, gehe der Menschenhandel zurück, so die Argumentation.

Zahlreiche Gegner des nordischen Modells

Das wiederum sehen zahlreiche Verbände und Beratungsstellen anders. Zu den Gegnern des nordischen Modells und eines Sexkaufverbots gehören unter anderem der Deutsche Frauenrat, die Deutsche Aidshilfe, die Diakonie Deutschland oder der Deutsche Juristinnenbund. In einem gemeinsamen Positionspapier warnten sie schon Ende 2019 vor einer Kriminalisierung der Prostitution - denn das schade nur den Menschen, die in der Branche tätig sind. "Sie erhöht das Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden oder sich mit sexuell übertragbaren Infektionen wie HIV zu infizieren. Stigmatisierung nimmt zu", heißt es in dem Papier. "Da Sexarbeit vermehrt im Verborgenen stattfindet, wenn Strafe droht, wird es für Fachberatungsstellen und Gesundheitsämter schwer, in Kontakt mit Sexarbeiter*innen zu kommen um sie über Rechte, Gesundheitsangebote und Ausstiegsmöglichkeiten zu informieren", heißt es weiter. Prävention werde so unmöglich.

Auch weisen die Verbände die Behauptung zurück, ein Sexkaufverbot dämme Prostitution und Menschenhandel ein. "Prostitution und Menschenhandel oder Zwangsprostitution müssen getrennt betrachtet werden", erklärte Susanne Kahl-Passoth vom Deutschen Frauenrat in dem Positionspapier. "Es gibt Frauen, die selbstbestimmt mit Prostitution ihr Einkommen verdienen. Statt Sexarbeit zu kriminalisieren, sollten die Arbeits- und Lebensbedingungen der Sexarbeiterinnen verbessert werden, so die Haltung der Verbände.

Kaum verlässliche Daten

Welche Auswirkungen ein Sexkaufverbot nach nordischem Modell auf sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel wirklich hat - darüber wird also überaus heftig gestritten. Schon die Frage danach, was Zwangsprostitution und was selbstbestimmte Sexarbeit ist, führt zu emotionalen Debatten. Ein weiteres Grundproblem in der Bewertung: die Datenlage. Wie viele Menschen im Bereich der Prostitution arbeiten, lässt sich nicht beziffern. Wie viele von ihnen freiwillig als Sexarbeiterinnen arbeiten und wie viele von gezwungen werden, ebenfalls nicht. Das macht es schier unmöglich, verlässliche Aussagen treffen zu können und führt dazu, dass Befürworter und Gegner eines Sexkaufverbots meist jene Studien heranziehen, die ihre jeweilige Position vermeintlich untermauern.

Julia steigt aus

03:57

This browser does not support the video element.

In einem Forschungsbericht der skandinavischen Forscherinnen Carlotta Holmström und May-Len Skilöbrei über die Auswirkungen eines Sexkaufverbots weisen die Forscherinnen auf die Grundproblematik innerhalb der Diskussion hin: "Die Wissensbasis über Prostitution ist in Schweden, wie auch anderswo, lückenhaft und einseitig." Eine vielzitierte statistische Querschnittanalyse der Universität Heidelberg kam vor Jahren zwar zu dem Schluss, dass Länder, in denen Prostitution gesetzlich erlaubt ist, sich stärker im Fokus von Menschenhändlern befinden. Doch auch an der Studie gab es Kritik an Empirie und Aussagekraft.

Objektive Betrachtung kaum möglich

Die schwedische Regierung feiert ihr Modell jedenfalls offen als Erfolg. Seit Einführung des Gesetzes im Jahr 1999 soll die Zahl der Prostituierten um die Hälfte gesunken sein. Auch die Gewalt gegen Frauen und der Menschenhandel sollen sich durch das Sexkaufverbot reduziert haben. Doch Wissenschaftlerinnen wie die schwedische Historikerin Susanne Dodillet ziehen die Aussagen in Zweifel. Das Problem sei, "dass Fakten und Forschung sie nicht belegen können", schreibt sie in einer Stellungnahme vor dem Landtag in Nordrhein-Westfalen von Anfang Januar. Darin verweist Dodillet im Gegenteil sogar auf Berichte, wonach das Sexkaufverbot zu wachsender Gewalt gegenüber Prostituierten und heftiger Stigmatisierung führe.

Eine objektive Betrachtung, ob ein Sexkaufverbot nach nordischem Modell Sexarbeiterinnen schützt, sowie illegale Prostitution und Menschenhandel eindämmen kann, scheint angesichts der mangelhaften Datenlage und der ideologisierten Debatte also kaum möglich.

Für Leni Breymaier steht trotz allem fest: Sie wird sich weiterhin für ein Sexkaufverbot in Deutschland einsetzen. "Auch wenn es irgendwo freie, selbstbestimmte Frauen gibt, die sagen: 'Ich mache das gerne'. Selbst wenn es die gibt, rechtfertigt deren Recht der freien Berufswahl nicht das Leid der vielen anderen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen