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Bleischwere Kunst voller Geschichte

Sabine Oelze15. Dezember 2015

Er mag Stroh, Blei und riesige Formate: Das Centre Pompidou widmet Anselm Kiefer jetzt eine große Werkschau. Der Künstler hat sich wie kein anderer mit den Mythen deutscher Geschichte auseinandergesetzt.

Bildergalerie Ausstellung Anselm Kiefer
"Palette am Seil" (1977)Bild: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, Munich

Anselm Kiefer ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und einer der gefragtesten Künstler der Welt. Dabei ist er auch ein unbequemer Mann: einer der tief bohrt - so tief, bis es weh tut. Als Anselm Kiefer nach seinem Studium an der Kunsthochschule in Karlsruhe und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Joseph Beuys damit anfing, erste Kunstwerke der Öffentlichkeit zu präsentieren, ging es ihm auch darum, eine persönliche Schuldfrage zu klären: seine eigenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus.

Kiefer, der im März 1945, zwei Monate vor der offiziellen Kapitulation Deutschlands, im schwäbischen Donaueschingen zur Welt kam, trug die Last des Krieges schwer mit sich herum. Als einer der ersten machte er sie auch in seiner Kunst zum zentralen Thema. In Deutschland kam das zunächst gar nicht gut an. Durch seine Abschlussarbeit an der Hochschule heimste er sich durchweg negative Reaktionen ein. Kiefer zog damals durch Europa und ließ sich dabei filmen, wie er den Hitlergruß in aller Öffentlichkeit aufführte. Damit handelte er sich den Vorwurf ein, Neofaschist zu sein. Kiefer wollte allerdings nur für sich selbst herausfinden, welche Spuren der Nationalsozialismus bei ihm hinterlassen hat.

Anselm Kiefer (2012)Bild: JOEL SAGET/AFP/Getty Images

Vergangenheitsbewältigung

Anselm Kiefer war der erste Künstler der Nachkriegsgeneration, der die Nazivergangenheit in der Kunst so explizit zum Thema machte. Es war sein persönliches Anliegen, herauszufinden, was passiert ist. In den Schulen handele man das Thema in einem Halbjahr ab - das reiche nicht, hat Kiefer einmal in einem Interview gesagt. Er wollte herausfinden, wie er sich selbst verhalten hätte.

Vergangenheitsbewältigung, die germanische sowie antike Mythologie und später auch die jüdische Mystik wurden zu seinen Leitthemen. In den 1970er Jahren schuf er eine Serie heroischer Sinnbilder: Landschaftsbilder aus verbrannter Erde oder verkohlten Büchern, die an die Schrecken und Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs erinnern sollten.

"Palette am Seil" (1977)Bild: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, Munich

Destruktive Energie und heilende Kraft

Mit seiner Kunst stemmte sich Kiefer den Einflüssen des Abstrakten Expressionismus genauso entgegen wie denen der Pop Art oder des Minimalismus. Stattdessen entwickelte er eine eigene Bildsprache, die stark von seinem Lehrer Joseph Beuys beeinflusst war. Während Beuys auf die Kraft von Fett und Filz setzte, verwendete Anselm Kiefer Blei, Erde und archaische Materialien. Die Schwere dieser Materialien verleihen seinen Werken eine Aura von Melancholie und Destruktivität. Andererseits glaubt Kiefer an die heilende Kraft der Kunst. Wie ein Alchemist bringt er in seinen Vitrinen - von denen im Centre Pompidou allein vierzig zu sehen sind - Steine, Metalle oder Pflanzen zusammen.

Gefeiert wurde Anselm Kiefer zunächst in den USA. Im Deutschland der 1970er Jahre war die Zeit für eine Konfrontation mit der Vergangenheit offensichtlich noch nicht reif. Lieber die Augen verschließen anstatt das Verdrängte aufzuarbeiten, lautete das Diktum auch in der Kunst. 1980 vertrat Kiefer die Bundesrepublik dann aber im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig. Dreimal wurde er ab 1982 auf die Weltkunstschau Documenta in Kassel eingeladen.

Größte Kiefer-Retrospektive seit 30 Jahren in Frankreich

Die Franzosen verehren den Deutschen, der sich 1993 in ihrem Land niedergelassen hat. Immer wieder schufen sie Platz in ihren Museen, um seine großformatigen Installationen und Gemälde zu präsentieren. Doch eine derart umfangreiche Ausstellung wie jetzt hat es seit dreißig Jahren nicht mehr gegeben. Fast 150 Kunstwerke, davon sechzig Gemälde, die zu den Meisterwerken von Kiefer gehören, sind im Centre Pompidou zu sehen. Außerdem Installationen, Vitrinen und Arbeiten auf Papier sowie einige der ersten Künstlerbücher.

Kiefer in seinem AtelierBild: Renate Graf

Der Besucher kann sich thematisch oder chronologisch geordnet durch Kiefers Werke bewegen. Schlüssel-Arbeiten aus dem Frühwerk wie Resurrexit, Quaternität (beide 1973), Varus (1976), Margarethe (1981) und Sulamith (1983), in denen es um den Holocaust geht, sind genauso zu sehen wie jüngere Werke, die um die Kabbala und die jüdische Mystik kreisen. Die Retrospektive ist vom 16. Dezember 2015 bis zum 18. April 2016 in Paris zu sehen.

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