Forschungsreaktor
31. Oktober 2006Mit Neutronen lassen sich Werkstücke, Halbleiterchips oder Kunststoffe bestrahlen und regelrecht durchleuchten. Das Problem: Neutronen werden per Kernreaktor erzeugt. In Deutschland aber sind Reaktoren ziemlich unbeliebt. Deshalb haben sich Forscher der TU München jede Menge Kritik eingehandelt, als sie in Garching bei München einen neuen Forschungsreaktor bauten, den FRM-II.
Jahrelang gab es Streit um die Genehmigung. Nun aber läuft seit gut einem Jahr der Routinebetrieb. Winfried Petry, wissenschaftlicher Direktor in Garching, wird nicht müde, die Vorteile seines Forschungsreaktors anzupreisen: "Die Garchinger Quelle ist die modernste, die wir heute weltweit haben von diesen Forschungsreaktoren. Also wirklich eine Spitzen-Neutronenquelle."
Spannend für die Autoindustrie
Der FRM-II dient weder als Kraftwerk noch soll er die Kerntechnik weiterentwickeln. Stattdessen nutzt ihn die Wissenschaft als eine Fabrik für Neutronen. Neutronen sind winzige Kernteilchen mit einer besonderen Eigenschaft, wie Petry betont: "Neutronen sind für uns wie Licht." Die Neutronen entstehen bei der Kernspaltung im Reaktor. Die Forscher lenken sie durch Röhren zu den Messständen. Dort treffen die Neutronen auf die Proben. Und weil Neutronen elektrisch neutral sind, können sie sehr tief ins Material eindringen und dort erkunden, ob das Material zum Beispiel winzige Poren oder Risse besitzt.
Spannend ist das unter anderem für die Automobilindustrie. Man lässt den Motor in einem Neutronenstrahl laufen - ein Film nimmt in Millisekunden-Schritten auf, wie der Motor läuft. "Dadurch können wir den mikrometerfeinen Film der Ölschmierung sehen", erläutert der Wissenschaftler. "Wir sehen wirklich, wie die Ölschmierung den Kolben kühlt."
Chipsproduktion
Auf ähnliche Weise durchleuchten die Forscher auch einzelne Werkstücke wie Turbolader oder Kurbelwellen, um deren Qualität zu prüfen. Zum Beispiel kann es passieren, dass, nachdem ein Bauteil geschmiedet wurde, in diesem Bauteil mechanische Spannungen auftreten. Das Werkstück ist regelrecht verspannt und droht im rauen Alltagsbetrieb schnell kaputtzugehen, sagt Winfried Petry. Seine Gegenmaßnahme: "Man hält es bei uns in den Neutronenstrahl, und zwar völlig zerstörungsfrei. Dann misst man die Eigenspannungen. Und das sagt dem Ingenieur, was er beim Schmiedeprozess falsch gemacht hat, und er kann das Produkt verbessern."
Aber mit dem Münchener Reaktor wird nicht nur geforscht, sondern auch produziert - und zwar für die Chipindustrie. Mit einem Trick dotieren - also spicken - die Experten reines Silizium mit Phosphor und machen es dadurch überhaupt elektrisch leitfähig, sodass man es zu Computerchips weitererarbeiten kann.
Vorbeugung gegen Missbrauch
Anderen Fachleuten hingegen geht's mehr um grundlegende Erkenntnisse - und die Grundlagenforschung. Sie interessieren sich zum Beispiel dafür, wie im Detail die Wand einer biologischen Zelle aufgebaut ist und wie sie funktioniert. Insbesondere wenn sich auf den Membranen etwas tut, wenn sich dort Atome hin- und herbewegen, lässt sich das mit Neutronen verfolgen, sagt Reinhard Kampmann vom Forschungszentrum GKSS bei Hamburg. "Und das ist für Biologen extrem wichtig."
Doch einen Wermutstropfen gibt es für Petry und seine Leute: Zurzeit läuft der Reaktor mit hochangereichertem Uran - was sich potenziell als Sprengstoff für Atombomben missbrauchen ließe. Deshalb haben sich die Forscher verpflichtet, im Jahre 2010 detaillierte Pläne für Brennelemente mit weniger hoch angereichertem Uran vorzulegen. Um trotzdem möglichst viele Neutronen zu ernten, soll das Uran in diesen neuen Brennelementen zwar weniger angereichert, dafür aber dichter gepackt sein als zuvor - keine einfache Aufgabe. Und dann hätte der Münchener Reaktor auch im kommenden Jahrzehnt dieselbe Leistungsfähigkeit wie heute, würde aber nicht mehr mit waffenfähigem Uran laufen.