Papst Reformen
12. April 2013Es sind Worte wie Ausrufezeichen: Die katholische Kirche vergesse, das Evangelium zu verkündigen. Sie stehe in der Gefahr, nicht aus sich selbst herauszugehen, ja, nur um sich selbst zu kreisen. Es gebe einen "Geist des theologischen Narzissmus".
Was nach der Kritik einer kirchlichen Basisgruppe klingt, ist fast päpstliches Wort. Denn der argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio äußerte die Kritik zum Zustand der Kirche im sogenannten Vorkonklave, den Beratungen der in Rom versammelten Kardinäle vor der Wahl des neuen Papstes. Vor dem Osterfest machte einer der Kardinäle die Aufzeichnungen Bergoglios öffentlich - mit Zustimmung von Papst Franziskus. Es ist ein nachdrücklicher Appell zu einem Richtungswechsel der Kirche.
Die Mahnung zu einer Rückbesinnung auf den genuinen Auftrag der Kirche wird die seit Langem schwelende Debatte um die kirchliche Botschaft und um die Frage von Reformen neu ankurbeln. Denn seit Ende vorigen Jahres erinnert die katholische Kirche - häufig recht ritualisiert - an das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965). Mit dem Treffen machte sich die katholische Kirche an die Aussöhnung mit der modernen Welt. Sie sorgte weltweit für Aufsehen und schürte Hoffnungen. Hoffnungen, die häufig noch nicht erfüllt sind.
Im Oktober 1958 hatte ein Konklave den schon 76-jährigen Angelo Giuseppe Roncalli zum Papst gewählt. Der entschied sich für den Namen Johannes XXIII. und kündigte, knapp vier Monate im Amt, am 25. Januar 1959 das Konzil an. Alle katholischen Bischöfe der Welt sollten Fragen des Glaubens in Zeiten der Moderne debattieren und etwaige Veränderungen beschließen. Eine Herausforderung, die er ihnen im Zuge umwälzender weltweiter Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg zumutete.
Neue Schritte
Mit insgesamt 16 Dokumenten versuchte das Konzil eine Wiederannäherung an die Fragen der Zeit und brachte umfassende kirchliche Reformen. Die ersten Worte des Dokuments "Gaudium et Spes" über die Kirche in der Welt von heute zeigen beispielhaft den Sprachstil, der viele Zeitgenossen damals beeindruckte: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände..." Da formulierten Bischöfe eine Nähe zum Menschen, die seitdem für die Kirche Verpflichtung und durchaus auch verfehlter Maßstab ist. Und die Konzilsväter fanden eine Sprache, die in kirchlichen Dokumenten seitdem kaum mehr erreicht wurde.
Kardinal Walter Kasper, bei Konzilsbeginn 29 Jahre alter Priester, bewertet im Rückblick die Aufbruchstimmung des Konzils als "Erfüllung einer Sehnsucht". Das Konzil habe die Kirche als eine charismatische Größe betont und eben nicht primär institutionell gesehen. Der nun 80-Jährige, der beim jüngsten Konklave als ältester der wahlberechtigten Kardinäle dabei war, wünscht sich eine Rückbesinnung auf das Konzil und die geistliche Dimension der Kirche.
Aber daraus spricht auch eine Ernüchterung über zwei gegenläufige Entwicklungen der vergangenen 50 Jahre: das Wiedererstarken der römischen Kurie hier, der Ruf nach Reformen von Seiten der kirchlichen Basis dort. Letztlich ringt die katholische Kirche bis heute um die konkrete Bestimmung von Kontinuität und Wandel, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einhergingen. So ist sie in ihrem theologischen Kern nach dem Konzil die gleiche wie vor dem Konzil. Es ist keine neue, aber eben eine erneuerte Kirche in der Spur der Tradition.
Kontroverse Debatten und Neuerungen
Zu den Neuerungen des Konzils, die binnenkirchlich während der vergangenen Jahre immer wieder diskutiert und von konservativen Kreisen kritisiert wurden, gehörten die betonte Einbeziehung der Gläubigen in die nun muttersprachliche Liturgie, die Betonung der staatlichen Religionsfreiheit, die Aufwertung des Bischofskollegiums gegenüber dem Papst oder die Abkehr von Antijudaismus und der neue Respekt gegenüber dem Judentum.
Hinter den konkurrierenden Flügeln steht nicht zuletzt ein Gegensatz, der während der Konzilsarbeit immer wieder aufflammte. Da war auf der einen Seite - bei den konservativen Kräften - eine konsequente Ausrichtung an lehramtlichen Verlautbarungen der zwei, drei Jahrhunderte vor dem Konzil, auf der anderen Seite die betonte Rückführung auf die Heilige Schrift und Texte der ersten frühchristlichen Jahrhunderte. Dieser Gegensatz bleibt. Dabei hatte Johannes XXIII. bereits in seiner Ankündigung des Konzils die Bedenkenträger angesprochen. Er nannte sie "Unheilspropheten", "die zwar von großem Eifer zeugen, doch nicht von übermäßigem Sinn für Klugheit und für das rechte Maß". In den modernen Zeiten sähen sie nur Unrecht und Niedergang und verhielten sich, "als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt.
Gewisse Nähe zum Konzilspapst?
Ähnlich deutlich sind nun die Worte des neuen, gleichfalls 76-jährigen Papstes. Da bleibt abzuwarten, in welche Richtung sein Plädoyer für eine Rückbesinnung die Kirche ziehen wird. Denn er ist lebensgeprägt von der Erfahrung von Armut, sozialer Ausgrenzung und struktureller Ungerechtigkeit. Neuerungen im Bereich der Moraltheologie oder der kirchlichen Disziplinierung sind ihm dagegen eher fremd. Daran werden sich europäische Zuhörer gewiss gewöhnen müssen.
Der Berliner katholische Theologe Rainer Kampling rechnet damit, dass aktuelle deutsche Streitigkeiten um - beispielsweise - die weitere Beschäftigung gleichgeschlechtlicher oder geschiedener Mitarbeiter in kirchlichen Kindergärten den Papst kaum beschäftigen werden. Es werde eines der größten Probleme des beginnenden Pontifikats, die Kirche im "Nord-Süd-Konflikt" unterschiedlicher Erwartungen und Herausforderungen zusammenzuhalten. Wie er das konkret gestalten wolle, lasse sich erst nach einer ersten Enzyklika und anstehenden Personalentscheidungen im Vatikan erkennen. Ähnliches galt übrigens auch bei Johannes XXIII..
Einer der wenigen deutschen Bischöfe, die Bergoglio als Erzbischof von Buenos Aires besuchten und kennenlernten, ist übrigens evangelisch. Der württembergische Landesbischof Frank Otfried July bekam 2009 einen Eindruck vom Wirken des Jesuiten an der Spitze des argentinischen Hauptstadtbistums. Und er betont dessen Willen zur Zuwendung zu den Menschen. Franziskus Herz schlage für die Armen und die Nähe der Kirche zu den Armen.