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Blindes Vertrauen

14. März 2010

Bei den Paralympischen Spielen sind die Biathleten wie Goldmedaillengewinnerin Verena Bentele auf ihre Helfer und ihr Gehör angewiesen. Wie schwer das ist, erfahren auch die Journalisten bei Trockenübungen.

Die Biathletin Verena Bentele und ihr Begleitläufer Thomas Friedrich bei der Siegerehrung (Foto: dpa)
Die Biathletin Verena Bentele und ihr Begleitläufer Thomas Friedrich freuen sich über ihr GoldBild: picture alliance/dpa

Erst ist es ein bedächtiges, im Sekundentakt wiederkehrendes Klopfgeräusch. Dann wird der Rhythmus schneller und die Tonlage immer höher. Bis es letztlich zu einem unangenehm schrillen, durchgehenden Pfeifton übergeht. Und dann: bumm - Treffer.

Oder eben auch nicht. Denn mit geschlossenen Augen beim Biathlon die Scheiben zu treffen, ist alles andere als leicht. Beim ersten Versuch sind alle fünf Schuss daneben.

Dabei sind die Bedingungen perfekt: Kein Wind, kein schneller Puls, kein ohrenbetäubender Lärm der Zuschauer. Denn der Schießstand ist nur eine Simulationsanlage, die im Deutschen Haus in Whistler zu Demonstrationszwecken aufgebaut wurde. Aber Verena Bentele, die die erste Goldmedaille für das deutsche Team bei den Paralympics 2010 geholt hat, hat tröstende Worte parat: "Es ist schon schwer, auf jeden Fall. Das hat man ja auch bei mir beim Wettkampf gesehen, ich hab ja auch dreimal danebengeschossen."

Nicht sehen, dafür aber gut hören können

Verena Bentele mit ihrem Begleitläufer Thomas FriedrichBild: picture alliance/dpa

Dieses Simulationsgerät dient natürlich einem Zweck: Es soll Nichtbehinderten den Behindertensport näher bringen. Die Schwierigkeiten, die Herausforderungen der jeweiligen Sportart und Behinderung demonstrieren. Und die sind beim Biathlon als sehbehinderter oder blinder Athlet enorm, da das Ziel ja nicht zu sehen ist. So sind die Sportler auf eine bestimmte Technik und ein gutes Ohr angewiesen. Sobald sie das Gewehr in Richtung Scheiben richten, sendet es ein Infrarotsignal aus. Das wird in ein Tonsignal umgewandelt, das die Athleten über Kopfhörer hören. Je höher und durchgehender die Töne, desto größer die Wahrscheinlichkeit auf einen Treffer.

Doch nicht nur beim Schießen, auch beim Laufen müssen die Biathleten hochkonzentriert sein, erklärt Verena Bentele: "Ich sehe die Strecke ja nicht, also muss ich sie nachempfinden." Vor jedem Wettkampf läuft die erfolgreichste deutsche Nordische Skiläuferin deshalb mit ihrem Begleitläufer Thomas Friedrich die Loipe ab. "Ich muss mir im Kopf merken, wann ein Berg anfängt, wann und wie stark ich in die Kurve gehen muss, wann kommen Passagen, wo ich vorsichtig sein muss." Begleitläufer Thomas, der etwa zwei Meter vor ihr fährt, gibt während des Wettkampfes nur noch kleinere Kommandos wie "Hopp", "links" oder "rechts". Das klappt nur bei einem eingespielten Team: "Bei uns passt es menschlich sehr gut. Vertrauen ist das A und O."

Folgenschweres Missverständnis

Verena Bentele beim SchießenBild: picture alliance/dpa

Wie wichtig Vertrauen ist, hat Verena Bentele bei den Deutschen Meisterschaften im Januar vor einem Jahr schmerzlich erfahren müssen. Die Studentin der Literaturwissenschaften überhörte an diesem Tag während der Fahrt ein Kommando; sie kann sich nicht daran erinnern, dass es überhaupt gegeben wurde. Sie verpasste eine Kurve, fuhr einen steilen Abhang hinunter und zog sich schwere Verletzungen zu. Neben einem Kreuzbandriss im Knie und verletzten Händen waren die Leber und eine Niere in Mitleidenschaft gezogen. Letztere so schwer, dass sie entfernt werden musste.

Viel schlimmer als die Verletzungen war seitdem aber die Angst. "Ich hatte lange überlegt, ob ich überhaupt wieder Sport machen will." Doch Familie und Freude sprachen ihr Mut zu. Und das Wichtigste überhaupt: Sie fand einen neuen Begleitläufer, dem sie vollkommen vertraute - Thomas Friedrich. Er hatte vorher ihren ebenfalls blinden Bruder Martin betreut. Nun scheint die von Geburt an blinde Verena Bentele sogar noch stärker als früher. Mit deutlichem Vorsprung holte sie ihre insgesamt achte Goldmedaille bei ihren dritten Spielen. "Das Gefühl, wenn man als Erster über die Ziellinie fährt, ist toll. Das ist so unglaublich, dass es geklappt hat. Ich kann das gar nicht beschreiben, dass muss man einfach selbst erleben."

Das ist leider nur einigen wenigen talentierten Sportlern vorenthalten. Aber beim Ausprobieren des Simulationsgerätes gab es auch etwas Tolles zu erleben - und etwas zu gewinnen. Zwar keine olympische Goldmedaille, dafür aber Demut und Geduld.

Autorin: Sarah Faupel

Redaktion: Wolfgang van Kann

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