Nobelpreisträgertreffen in Lindau
3. Juli 2014 3. Juli
Auch in diesem Jahr läuft in Lindau wieder alles seien geregelten Gang: Derselbe Tagesablauf, dieselben Events - aber neue Themen, und zum Großteil dieselben Nobelpreisträger. Eine Sache aber ist anders: Zum ersten Mal sind im diesem Jahr mehr Frauen als Männer unter den Nachwuchsforschern.
Ja, das ist noch immer ein Thema. Beim Science Breakfast "Women in Science" geht es allerdings etwas oberflächlich zu. Zum Beispiel wird besprochen, dass Frauen sich nicht unterkriegen lassen und den Mann an Ihrer Seite sorgfältig auswählen sollten. Dass eine "80 Stunden-Woche" mit Kind und Beruf oft nicht genug gewürdigt würde. Dass die Einstellung von Eltern, Lehrern und Bekannten: "Sowas macht ein Mädchen nicht" schon im jungen Alter das spätere Leben beeinflussen kann, etwa nicht in die Wissenschaft zu gehen.
Aber ist das Credo "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg" überall so einfach umzusetzen?
Beim Nachfragen im Anschluss an die Veranstaltung sind die Meinungen verschieden. Vielerorts spielt es keine Rolle, ob nun ein Mann, oder eine Frau eine wissenschaftliche Stelle besetzen. In anderen Teilen der Erde sieht das aber anders aus. Dort, wo Bildung nicht selbstverständlich ist - wo erst gar kein Weg für Frauen in die Wissenschaft führt, um dort Stellen zu besetzen. Wie war das? Laut UN-Zahlen geht nur eines von drei Mädchen zur Schule. Hier braucht es dringend noch mehr als einen eisernen Willen und Frauenpower.
2. Juli
Manchmal macht es in Lindau den Eindruck als würde die Zeit stehen bleiben. Zumindest in der Stadt an sich: Winzige Gassen, alte, schiefe Häuschen und Geschäfte, die schlicht den Namen "Drogerie", "Bodensee-Weine" oder "Geschenkidee" tragen. Eigentlich praktisch. Da weiß man, was man hat.
Manche junge Nachwuchsforscher dürften hier wohl aber auch eine Art Kulturschock bekommen - denn einige von Ihnen kommen aus richtigen Megastädten. Sie können es gar nicht glauben als sie vor dem alten Rathaus der Stadt stehen, wo gleich die Master Class des israelischen Nobelpreisträgers und Biochemikers Aron Ciechanover stattfinden soll.
Das Rathaus ist 1422 erbaut - ursprünglich im gotischen Stil. Heute hat es aber - nach einem Umbau im Jahr 1576 - mehr von der Renaissance. Die Räume in dem Gebäude sind etwas erdrückend -mit dunklem Holz, und wenig Licht.
Bei der Master Class von Ciechanover geht es unter anderem um das Sammeln von wissenschaftlichen Journals im Internet. Ein Nachwuchsforscher hält einen Vortrag dazu, wie man sie Bündeln und für alle zugänglich machen könnte, sodass andere Forscher sich schnell einen Überblick darüber verschaffen können, was in der großen, weiten Forschungswelt so vor sich geht.
Ciechnover kann sich nicht zurückhalten. "Ich weiß nicht, ob ich stolz - oder es mir eher peinlich sein soll", sagt er. "Also zu meiner Zeit gab es da ein großes Ding - eigentlich überall - das nannte sich Bibliothek." Er habe dort viel, viel Zeit verbracht. Nicht mit dem Suchen, sondern mit dem Lesen. Er gerät ins Schwärmen. "Noch heute bin ich süchtig nach dem Duft von Papier. Aber vielleicht muss man damit aufgewachsen sein." "Memories of an old guy" nennt er das.
Auch in Lindau ist der Fortschritt also unaufhaltsam. Wenn nicht bei der Stadt selbst, dann zumindest bei ihren Besuchern. Papier und Stift gibt es zwar heute auch noch, viele der Nachwuchsforscher ziehen aber das Tablet für Notizen und Recherchen vor.
1. Juli:
Der sogenannte Spirit of Lindau - der Geist von Lindau - da ist er wieder. Jedes Jahr liest oder hört man davon und mag ihn vielleicht für eine Legende halten. Aber, wenn man hier bei der Nobelpreisträgertagung selbst einmal dabei ist, spürt man vielleicht auch, dass da wirklich etwas ist - etwas Besonderes.
Meistens dauert es eine kurze Weile, bis dieses spezielle Gefühl entsteht. Warmwerden muss man mit Lindau, und sich auf den Geist einlassen. Und dann macht es irgendwann "klick": Man fühlt sich heimisch, geht auf Fremde zu als wären es gute Bekannte, und redet über Gott und die Welt. Wenn dann auch noch das Wetter stimmt - so wie heute - ist Lindau genau wie es sein sollte.
Man macht viele Begegnungen auf der Bodensee-Insel. Einige bleiben einem besonders in Erinnerung. Heute zum Beispiel Anowara Begum aus Bangladesch. Sie hat Public Health an der "Asian University for Women" studiert. In ihrer Heimat ist sie viel herumgekommen, erzählt sie, aber wirklich im Ausland ist Anowara jetzt zum allerersten Mal in ihrem Leben. 23 Jahre jung ist sie, und ihr nächstes Ziel: "Ich möchte einen Job finden, vielleicht in Deutschland, vielleicht in irgendeinem anderen Land, und irgendwann nach Bangladesch zurückkehren, und die Menschen dort an meinen Erlebnissen teilhaben lassen."
Ein anderer, sehr amüsanter Zeitgenosse, war Stan Wang - mein Sitznachbar in einer Master Class. Vorsichtshalber hatte er sich eine Kugel Schokoladeneis mitgenommen, um den fast zwei Stunden langen Vortragsmarathon besser zu überstehen. Zwischendrin fällt ihm auf, dass es eindeutig zu wenig Eiscreme war. Er würde sich gut als Klassenclown machen - ein sehr sympathischer. Auf die Frage, wo er herkommt, meint er nur: "Frag nicht. Ich bekomme gar nicht mehr richtig in die Reihe, wo ich überall gelebt habe."
30. Juni:
Das "International Get-Together" ist Tradition in Lindau. Jedes Jahr - immer am Montagabend - verwandelt sich die Inselhalle zu einem riesigen Dinnersaal. Ob dieses organisierte - internationale - Zusammenkommen wirklich sein - oder vielmehr unter diesem Motto stehen müsste? Wahrscheinlich nicht. Denn die ganze Tagungswoche an sich ist ohnehin schon ein internationales Get-Together. Es ist ganz normal, dass man Leute aus aller Herren Länder trifft. Grundsätzlich wird erst einmal Englisch gesprochen, egal, wer aufeinander trifft. Denn das versteht in der akademischen Welt wohl jeder.
Teilweise wird aber auch feinste "Wissenschaft" gesprochen. Richtiger Kauderwelsch. Das versteht man dann nicht immer. Jedenfalls nicht mehr die Normalos, etwa wir Journalisten. Lauscht man zum Beispiel den Gesprächen zwischen Nachwuchsforschern oder Nobelpreisträgern, ist das nicht immer auch gleich verständlich - trotz Fremdsprachenkenntnissen. Es kommt aufs Thema an.
Jedenfalls ist die Internationalität wohl ein Alleinstellungsmerkmal, dass Lindau ausmacht und auch gut macht: Denn nicht nur der Austausch von harten Forschungsfakten ist das Einmalige an Lindau, auch das Aufeinandertreffen von Kulturen, Meinungen und Gewohnheiten. Das alles macht das Treffen zu einer ganz speziellen Erfahrung. Es zählen andere Dinge.
Ad hoc ein Beweis dafür: Heute Abend spielt Deutschland gegen Algerien. In Lindau aber ist die Fußball-Weltmeisterschaft kein Thema. Das International Get-Together läuft ab wie immer: Reden und Show-Acts, Dinner, zu guter letzt die Polonaise. An den großen Leinwänden vorne prangt lediglich das Tagungs-Logo.
30. Juni:
Damit hat Hans Rosling zweifelsohne recht. Gut erzählen, das kann er! Ob über Statistiken, eine bessere Welt oder sein Privatleben. Wohl kaum hätten wir im Anschluss an die Eröffnungsveranstaltung der Lindauer Nobelpreisträgertagung wohl fast eine Stunde geplaudert. So viel Zeit nimmt sich nicht jeder für seine Fans - geschweige denn für Journalisten.
Als einen Fan kann man sich aber mit Sicherheit bezeichnen, sobald man Rosling einmal live erlebt hat. Bei mir war es gestern in Lindau so weit. Vorher kannte ich den schwedischen Medizinprofessor und Statistiker nur aus dem Internet - wo er unter Datenvisualisierern und Statistik-Geeks schon lange als Koryphäe gilt. (Wer noch nie etwas von Rosling gehört hat, bitte #link:http://www.youtube.com/watch?v=hVimVzgtD6w:hier# die Lücke schließen.)
Gestern, bei der Präsentation seiner "Ignorance Study" ging es um Gesundheits- und Gesellschaftsstatistiken, was in der Programmvorschau erst einmal sehr trocken klang. "Interaktive Präsentation" waren die einzigen Schlagwörter, die hoffen ließen - und dann auch wirklich nicht enttäuschten. Einmal auf der Bühne, erweckte Rosling die trockensten, statistische Daten zum Leben:
Es ploppten Punkte auf, die - wie Gummibälle - an der Zeitleiste entlang hüpften. Rosling mit einem gelben, dicken Zeigestab in Form eines Fingers immer hinterher.
Man spürt seine Leidenschaft, mit der er das Publikum ansteckt. Obwohl er nur schnöde Zahlen präsentiert, erzählt er gleichzeitig eine spannende - wahre - Geschichte: Denn es geht nur um Fakten, die er die Leute richtig verstehen lassen und damit den Blick der Menschen auf die Welt verändern will.
Er sei allerdings nicht fasziniert von Zahlen und Daten, stellt er im Interview klar. "Ich bin fasziniert von den Menschen." Die Daten, so Rosling, seien nur eine Möglichkeit, zu verstehen, wie ihr Leben ist. Zum Beispiel: "Was ist es, das das Leben für alle Menschen auf der Erde besser machen kann? Und warum variiert es überhaupt, wie entwickelt es sich, und warum kann man manche Dinge nicht aufhalten?" Um solche Fragen zu beantworte, seien Daten hilfreich.
Zu Hause in Schweden - wenn er mal nicht in der Welt unterwegs ist, um dieselbe zu erklären - sei er ganz normal. Nicht außerordentlich strukturiert, nicht außerordentlich chaotisch. Ganz normal eben. Er mag es zum Beispiel, mit seinen Enkeln durch den Wald zu irren. Was er fürchtet? Dass wir die Welt nicht rechtzeitig verstehen, um sie zu einem besseren Ort zu machen. "Es geht nicht um das Hier und Heute. Aber meine Enkel werden zum Beispiel noch eine ganze Weile länger mit dieser Welt klarkommen müssen." Das sagt Rosling viel weniger euphorisch, als man es von ihm vor Hunderten Zuschauern bei seinen Vorträgen gewohnt ist.
29. Juni:
Ein paar Highlights gab es während der Eröffnung, die man am besten selbst gesehen haben sollte. Reine Erzählungen reichen - wie man ja oftmals merkt - nicht immer aus, um das Gegenüber mit der eigenen Begeisterung anzustecken.
Besonders nicht, wenn es dabei um den überaus charmanten Alexander Gerst geht. Er grüßte gestern die jungen Nachwuchsforscher in Lindau per Videonachricht von der Raumstation ISS: Ihr Forschergeist mache jeden einzelnen von ihnen zu einem "Kolumbus des 21. Jahrhunderts", meint Gerst. Davon hat er sich schon selbst überzeugt. Denn der deutsche ESA-Astronaut war im letzten Jahr Gast bei der Lindauer Nobelpreisträgertagung und konnte sich da ein genaues Bild von dem sogenannten "Spirit of Lindau" machen. Zum Beweis lässt er im Video sein verwahrtes Namensschildchen durch die Raumkapsel schweben.
Okay, wie gesagt - Erzählungen reichen nicht immer. Aber glücklicherweise gibt es das Video mittlerweile auch im Netz : #link:http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/videos/33638/greetings-from-gerst:Hier geht es zur Grußbotschaf aus dem Weltall#.
29. Juni 2014:
Es ist wieder so weit: Heute beginnt die Nobelpreisträgertagung in Lindau - das 64. "Lindau Nobel Laureate Meeting".
In diesem Jahr sind Medizin und Physiologie die Schwerpunkte des Treffens. Es stehen also Themen wie Krebsforschung, Immunologie, HIV und Aids sowie Infektiologie auf dem Tagesplan.
Um hierzu etwas von ihren großen Vorbildern zu lernen und sich auszutauschen, sind Hunderte junge Wissenschaftler, Post-Docs und Studenten aus der ganzen Welt in die Bodensee-Stadt gekommen. 37 Nobelpreisträgern stehen in diesem Jahr Rede und Antwort.
Das Besondere: Jeder der Nachwuchswissenschaflter darf nur ein einziges Mal in seinem Leben an der Tagung in Lindau teilnehmen - sofern er nicht irgendwann den Nobelpreis gewinnt, und dann als ein Laureat wieder eingeladen wird. Eine spezielle Komission beschäftigt sich im Voraus der Tagung ausführlichst mit den Bewerbungen und Vorschlägen der jungen Leute, und wählt dann die talentiertesten, außergewöhnlichsten Nachwuchsforscher aus.
Ach, und noch eine Gruppe, die sich glücklich schätzen kann: Journalisten. Denn die dürfen ebenfalls jedes Jahr wieder teilnehmen. Nachdem im letzten die "Grüne Chemie" im Fokus der Berichterstattung stand, ist es bei dieser Tagung die Medizin - mit neuen Nachwuchswissenschaftlern, neuen Nobelpreisträgern und anderen Themen. Die Spannung ist also mindestens genauso groß wie beim ersten Mal! Los gehts, #lnlm14!