Nach mehr als zehn Jahren eine neue Scheibe von den Stones! Sie klingt, als hätte man alte Aufnahmen von Songs der größten Bluesmusiker aus den 1960ern restauriert. Dürfen die Stones sowas nachspielen? Sie müssen.
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61 Jahre Rolling Stones
Ihr erstes Konzert spielten sie am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club. Sechs Jahrzehnte später rocken die Rolling Stones immer noch die Bühnen dieser Welt. Und Mick Jagger wird 80.
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Die Stones feiern ihr 60-jähriges Jubiläum
Vier Teenager traten am 2. Juli 1962 im Marquee Club in der Londoner Oxford Street vor rund 100 Zuschauern auf die Bühne. Vorher hatten sie nur in Garagen gespielt. Sie traten als Ersatz für Alexis Korner an, weil der Blues-Musiker das vereinbarte Konzert aufgrund von gleichzeitig stattfindenden TV-Aufnahmen abgesagt hatte. Seitdem haben die Rolling Stones eine beispielhafte Karriere hingelegt.
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Die Anfänge: Rhythm & Blues
Mick Jagger und Keith Richards kennen sich schon aus der Schulzeit. 1962 gründen sie die Rolling Stones. Mit dabei beim ersten Konzert in London: Tony Chapman am Schlagzeug, Dick Taylor am Bass und Ian Stewart am Piano. Kurz darauf wird umbesetzt. Auf dem ersten Album "The Rolling Stones" (1964) spielt Brian Jones die zweite Gitarre, Bill Wyman den Bass und Charlie Watts die Drums.
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Bad Boy Band
1964 sind die Beatles mit ihren Feel-Good-Songs bereits auf dem Sprung zur Weltkarriere. Andrew Loog Oldham, damals Manager der Stones, will mit den "Rollenden Steinen" einen Gegenpol zu den Fab Four schaffen. Sie sollen sich als die "Bad Boys" der Musikszene einen Namen machen. Bei ihrem ersten TV-Auftritt in der Show "Ready Steady Go" wirken die Jungs allerdings noch ziemlich brav.
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Image-Wandel gelungen
Ein Jahr später kommen die Rolling Stones ins Westfälische: Im eher konservativen Münster spielen sie am 11. September ihr erstes Deutschlandkonzert. Die Polizei hat Mühe, die ausflippenden Fans im Zaum zu halten. Die meisten Münsteraner betrachten die Stones allerdings eher argwöhnisch. Dabei haben die Westfalen noch Glück - in Berlin zerlegen die Fans die Waldbühne geradezu.
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Sex, Drugs & Rock'n'Roll
Keine andere Rockband entspricht in den 1960er-Jahren mehr diesem Klischee als die Stones. Die Kombination von Rockmusik, freier Liebe und Drogenkonsum gehört einfach dazu. Stones-Gitarrist Brian Jones machen die Drogen aber leider krank. Im Juni 1969 verlässt er deshalb die Band. Kurze Zeit später ertrinkt er unter mysteriösen Umständen in seinem Swimmingpool.
Im Mai 1965 sind die Steine zum dritten Mal in den USA auf Tour. Erneut spielen sie überwiegend Coverversionen US-amerikanischer Hits. Sie haben noch zu wenig eigene Nummern. Eines Nachts fällt Keith eine Melodie ein und er zupft sie auf seiner Gitarre. Er findet sie so magisch, dass er sie aufnimmt und Mick vorspielt: Die Hookline ihres ersten Welthits "Satisfaction" ist geboren.
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Schock in Altamont
Das "Altamont Free Concert", initiiert vom Stones-Management, soll eine Gegenveranstaltung zu Woodstock sein. Neben den Stones auf der Bühne: u.a. Santana, Crosby, Stills, Nash & Young, Jefferson Airplane. Als die Stones auftreten, gibt es Rangeleien im Publikum. Immer wieder muss das Konzert unterbrochen werden. Als Aufpasser fungieren die immer aggressiver werdenden Hells Angels.
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Das Ende der Hippie-Ära
Die Stones spielen gerade "Under my Thumb", als vor der Bühne ein Mann zusammenbricht. Ein Hells Angel hat ihn mehrfach in den Rücken gestochen. Fassungslos steht die Band auf der Bühne. Später spielt sie das Konzert zu Ende. "Wenn Woodstock der Traum war", sagt der britische Fotograf Eamon McCabe später, "dann war Altamont der Albtraum." Die Hippiezeit ist an diesem 6.12.1969 endültig vorbei.
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1973 noch mit Mick Taylor (2.v.l.)
Die Siebziger bringen den Stones eine Menge Ärger. Vor allem wegen Steuerzahlungen. Die Band flüchtet nach Frankreich, wo sie 1972 mit "Exile On Main St" ein Album aufnimmt, das viele für die beste Stones-Platte überhaupt halten. 1974 steigt Gitarrist Mick Taylor aus und wird durch Ron Wood ersetzt.
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Die bösen 1970er
Äußerlich halten sie dem Rock'n'Roll die Stange, intern aber brodelt es. Keith Richards' Drogensucht bringt ihm eine Verhaftung und einen Entzug, Mick Jagger hat seinen eigenen Kopf. Musikalisch sind die Rebellen zum Establishment übergelaufen - sie springen auf mehrere Züge auf und versuchen sich in anderen Genres wie Funk (Miss You, 1978) und sogar Disco (Emotional Rescue, 1980).
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Geniale Liveband
Was auch immer zwischen den Bandmitgliedern geschehen ist: Anfang der 1980er raufen sie sich zusammen und machen das, was sie am besten können: live spielen. Als Band sind sie so gefragt, dass sie locker ganze Fußballstadien füllen - so auch 1982 in Deutschland, wo sie legendäre Shows gespielt haben, von denen jeder heute noch erzählt, der sie damals gesehen hat.
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Life und roh
Auch nach dem Ausstieg des Gründungsmitgliedes Bill Wyman 1993 machen die Stones einfach weiter und rutschen ins nächste Jahrtausend. Immer wieder wird von Abschiedstourneen gesprochen, doch immer wieder heißt es auch: eine Tour geht noch. Egal wie alt sie sind - ihre Livegigs sind ein Garant ihres Erfolges. 2003 rocken sie beispielsweise Moskau.
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Die "Herumtreiber"
Die Stones treiben sich auf der ganzen Welt herum. 2006 freuen sich die japanischen Fans über das Konzert in der Großstadt Saitama, nördlich von Tokio. Etwas später spielen die Stones in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Der Bandname ist wohl vom Blues-Hit "Mannish Boy" von Muddy Waters inspiriert worden. Dort gibt es die Textzeile "I'm a rolling stone" - ein "Herumtreiber".
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Ein Mann, ein Gesicht
Mick Jagger ist nicht das einzige Charaktergesicht der Stones. Aber er zelebriert es am meisten. Auch mit fast 80 Jahren zieht er die wildesten Grimassen, wuselt wie ein verrückt gewordenes Aufziehmännchen mit ungebremster Energie über die Bühne, ist sich auch als Urgroßvater nicht zu schade für seinen Hüftschwung und prägt als Frontmann das Bühnenbild der Rolling Stones seit nunmehr 60 Jahren.
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Charlie Watts stirbt
Und dann erkrankt Charlie Watts an Krebs. Er gilt nach einer Strahlentherapie als genesen und geht weiter mit den Stones auf die großen Touren, viele Jahre noch. Zum letzten Mal sitzt er im August 2019 im Rahmen der "No Filter"-Tour am Schlagzeug, zwei Jahre später stirbt er 80-jährig im Krankenhaus. Die Stones haben ihren Ruhepol, ihr Rückgrat verloren.
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Der neue Mann an den Drums
Steve Jordan wollte nur für ein paar Gigs einspringen und mit den Stones die "No Filter"-Tour zu Ende spielen. Doch nun sitzt er weiterhin im Maschinenraum der dienstältesten Rockband. Wobei er mit seinen 65 Jahren das Küken der Band ist und den Altersdurchschnitt erheblich senkt. Auch bei der Sixty-Europa-Tour 2022 war der Neue an den Drums unverzichtbar.
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"Hate to see you go" - sinngemäß: Ich will nicht, dass du gehst. Dieser Songtitel von der neuen Rolling Stones-Platte "Blue & Lonesome" scheint auch das Motto der alten Herren aus London zu sein. Die Stones sind wieder - nein, immer noch - da. Ohne neuartigen Schnickschnack. Die Songs könnten auch aus den Anfängen der Band sein, damals in den frühen 1960er Jahren: astreiner Chicago-Blues mit kleinem Schlagzeug, virtuos gespielter Blues-Harp und kratzigen Gitarren, hübsch getrennt auf dem rechten und dem linken Stereokanal. Mick Jagger rotzt in altbekannter Manier Texte wie "Komm zurück, Baby, Baby, bitte geh nicht…" ins Mikrofon und klingt fast wie früher. Dabei ist der Mann inzwischen 73 Jahre alt.
Erstes Studioalbum seit 2005
Wen hören wir denn da, bitte? Eine Band, die sich nach ihrer Jugend zurücksehnt? Die Stones selbst nennen es eher so: "Die Leidenschaft für Bluesmusik war immer das Herz und die Seele der Rolling Stones." Was sie sicherlich in den letzten fünf Jahrzehnten das eine oder andere Mal vergessen haben. Warum auch nicht, es ist ganz natürlich, dass sich eine Band mit einer so langen Geschichte in vielen Musikrichtungen austobt. Doch der rote Faden aus Blues und Rock'n'Roll war nie ganz verschwunden. Und jetzt fahren sie nochmal ordentlich auf. Songs von Blues-Urgesteinen wie Howling Wolf, Jimmy Reed oder Willie Dixon sind zu hören, als Gastmusiker darf Eric Clapton in die Saiten hauen.
Verantwortlich für den rudimentären Sound des Albums war Produzent Don Was, der die Stones seit mehr als 20 Jahren im Studio begleitet. Die Aufnahmen zu "Blue & Lonesome" waren in nur drei Tagen im Kasten. Alle hätten die Songs direkt und live eingespielt und die Stücke seien nicht nachbearbeitet worden, erzählt Was dem französischen "Figaro". "Man hört Charlie Watts' Schlagzeug durch das Mikrofon von Mick Jagger. Die Platte klingt sehr trocken und authentisch, sie hat die Essenz von dem eingefangen, was die Stones sind." Nämlich eine Bluesband. Eric Clapton ist eher zufällig dazu gekommen. Er hat gerade im Studio nebenan produziert und spielte dann spontan bei zwei Songs mit.
Die Großen des Blues
Das neue Album "Blue & Lonesome" der Rolling Stones ist eine Hommage an die Großen des Blues - und eine Rückbesinnung auf ihre eigenen Wurzeln. Denn die lagen auch bei den Stones im Blues.
Bild: picture-alliance/jazzarchiv/H. Schiffler
Mathis James Reed (1925–1976), genannt Jimmy Reed
Von Mississippi ging er 1943 nach Chicago und schuf eine ganze Reihe von Hits. Sein Stil: eingängige, tanzbare und leicht sing- und spielbare Lieder. Seine Musiker-Kollegen lachten den alkoholabhängigen Künstler aus - es gab den Sprichwort: "Keiner mochte Jimmy Reed außer den Menschen". Auf Elvis Presley und die Rolling Stones übte er großen Einfluss aus.
Marion Walter Jacobs (1930–1968), genannt Little Walter
Er war der Erste, der die Harmonika elektroakustisch verstärkte und wird wegen seines Innovationsreichtums mit Django Reinhardt, Charlie Parker und Jimi Hendrix verglichen. Nach seinem Hit "Juke" im Jahr 1952 folgten 14 weitere Top Ten-Hits. Ebenso ausschweifend wie der Klang seiner Harmonika war auch sein selbstzerstörerisches Leben: Er starb im Alter von 37 Jahren an den Folgen einer Schlägerei.
Chester Burnett (1910–1976), genannt Howlin' Wolf
Mit seiner rauen, kräftigen Stimme machte er seinem Künstlernamen alle Ehre. Sein meist verkauftes Album "The London Howlin' Wolf Sessions" entstand 1970; beteiligt waren Eric Clapton und die Rolling Stones. Der Schallplattenproduzent Sam Phillips, der später Elvis Presley, Jerry Lee Lewis und Johnny Cash entdeckte, sagte einmal, Wolf sei der tiefgründigste Künstler, mit dem er je gearbeitet habe.
Bild: Getty Images/Hulton Archive
Johnny Lamont Merrett (1943–2002), genannt Little Johnny Taylor
Nicht mit Johnnie Taylor zu verwechseln, wurde dieser Sänger in Gregory, Arkansas, geboren, ging 1950 nach Los Angeles, ließ seinen Gospel-Background hinter sich und widmete sich fortan dem Blues. Sein größter Hit war "Part Time Love" (1963). Er trat bis zu seinem Tod im Jahr 2002 auf. Sein Vokalstil, spontan und eindringlich, ist unverwechselbar.
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Otis Hicks (1913–1974), genannt Lightnin' Slim
Bodenständige Country-Blues und ein rauer, expressiver Gesangsstil sind seine Markenzeichen - und auch die düstere Stimmung seiner Lieder. In seinem ersten Hit "Bad Luck Blues" heißt es: "Wenn es kein Pech gäbe, gäbe es für mich doch gar kein Glück." Der Bauernjunge aus Louisiana lernte Gitarre von seinem älteren Bruder und verkörperte bis zu seinem Tod den lässigen Louisiana-Blues-Stil.
Bild: Ace Records
Otis Rush (*1935)
Mit 81 Jahren ist er der einzige noch lebende Blues-Musiker, der von den Stones auf ihrem neuen Album gecovert wird. Er ist für seine Furcht einflößenden Gitarrenriffs berühmt, aber auch für seine ausdrucksstarke Tenorstimme. Der Linkshänder spielt die Gitarre nur verkehrt herum oder auf dem Kopf. 1994 nahm er nach langer Pause ein Studioalbum auf und gewann vier Jahre später einen Grammy.
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Insgesamt zwölf Stücke sind auf "Blue & Lonesome zu hören" - die Auswahl kam ganz spontan und unwillkürlich. "Wir haben in unserem Leben genug neue Songs geschrieben", sagt Mick Jagger im Interview. "Also meinte ich: 'Lasst uns doch mal einen Blues spielen'". Das taten sie - und es klang so gut, dass sie nicht mehr damit aufhören wollten. Mick schlug einen Song nach dem anderen vor - und so entstand diese erstaunliche Sammlung auf dem neuen Stones-Album.
Alter hindert keinen echten Rock'n'Roller
Viele betagte Rockmusiker drehen nochmal auf, vielleicht auch, weil sie einfach nichts anderes tun wollen. So touren sie durch die Weltgeschichte und bespielen die größten Festivals. Denn eine berühmte Band zieht Leute, auch wenn die Falten tief, die Augenringe groß und die Mähnen grau und schütter geworden sind. Während Musik-Ikonen wie Lemmy Kilmister, David Bowie oder Leonard Cohen die Bühne verlassen haben, machen die anderen Senioren weiter, als wollten sie Alter, Krankheit und Tod den großen Mittelfinger zeigen. AC/DC, die Scorpions und Udo Lindenberg auf Dauertour. Metallica, Sting und die Stones mit neuem Album. Selbst der alte Elektroniker Jean-Michel Jarre hat sich soeben nochmal selbst aus dem Hut gezaubert. Und dann wurde noch die totgeglaubte Rockband Aerosmith wiederbelebt und beglückt die Welt 2017 mit der "Aero-Vederci Baby!"-Tour.
Die Stones als Blues-Coverband
Die Stones-Geschichte schreibt, dass der Blues der Anfang war, der Grund, warum sich Mick Jagger und Keith Richards dazu entschlossen, eine Band zu gründen. Blues und Rock'n'Roll waren die Grundsteine für die Karriere der jungen Band aus dem Londoner Stadtteil Richmond. Die Stones katapultierten die Musik der Schwarzen mitten hinein ins weiße Publikum. Wild, trotzig, ursprünglich. Keith Richards und Brian Jones schrieben den Blues mit ihren kompromisslosen Gitarrenriffs fort, während Charlie Watts cool und wie ein Uhrwerk dazu trommelte. Mick Jagger zeigte von Anfang an den Macho mit der Scheißegal-Haltung. Ohne Jagger gäbe es ihn vielleicht heute gar nicht: den unangepassten Rock'nRoller, der laut und wütend, narzisstisch und selbstbewusst sein Innenleben in die Welt hinausspeit.
Mehr als 50 Jahre später setzen die Stones den Helden ihrer Jugend ein musikalisches Denkmal, indem sie deren Songs covern. Und das vielleicht gar nicht mal so gut. Aber weh tut es auch nicht, was sie dort fabriziert haben. Nach mehr als 50 Jahren, 24 Studioalben, 23 Liveplatten, insgesamt 93 Singles und unzähligen Best-Ofs kann man getrost sagen: Die Stones haben genug abgeliefert. Jetzt können sie machen, was sie wollen.